Zukunft der EU
EU-Wahl zwischen Fakten und Gefühlen
EU-Wahl zwischen Fakten und Gefühlen
EU-Wahl zwischen Fakten und Gefühlen
Fakten haben es derzeit nicht leicht in der EU– die Menschen legen ihr Augenmerk instinktiv auf die Krisen und Probleme anstatt auf die tatsächlichen Erfolge. Das sagt Direktor der Denkfabrik Europa, Bjarke Møller. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was die Menschen in der EU bewegt – und was sich nach der Wahl verändern wird.
Du sagst, es sind vor allem Krisen, Konflikte und Streitigkeiten, die die Sicht der Bürger auf Europa prägen. Was läuft da falsch?
Wir brauchen verantwortungsvolle Politiker und Medien, die nicht nur die Dramen und die Sorgen in den Mittelpunkt stellen. Die Zahl der Migranten und illegalen Zuzügler ist drastisch gesunken, unter anderem wegen der EU-Absprache mit der Türkei und weil man Übereinkünfte mit Regimen auf der anderen Seite des Mittelmeeres getroffen hat. Man hat seit 2015 eine Verringerung von über 90 Prozent der illegalen Migranten über das Mittelmeer erreicht – und das ist der EU geschuldet!
Aber sobald eine Person ausländischer Herkunft eine Straftat begeht, wird das überall geteilt und verbreitet. Das Problem ist: Die Angst vor einer Wiederholung der Flüchtlingskrise und Terror sitzt tief in den Menschen. Das sind Gefühle, an die immer wieder appelliert wird. Obwohl die Fakten eine andere Sprache sprechen: 2017 sind europaweit 68 Menschen durch Terror umgekommen. Da sterben im dänischen Straßenverkehr mehr Personen. Europa hat also mit Gefühlen zu kämpfen, nicht unbedingt mit Fakten.
Die Migration scheint unter Kontrolle, vielen Staaten verzeichnen Wirtschaftswachstum – sterben die Themen der rechtspopulistischen Parteien in Europa damit nicht aus?
Egal ob Orbans Partei oder die von Le Pen: Sie werden alles tun, um zu dramatisieren! Die Menschen in Europa wünschen sich Recht und Ordnung – und das Vertrauen darin ist bei vielen 2015 zerbrochen. Das ist heute noch in den Köpfen der Menschen und daran wird appelliert. Hier braucht es Geduld, damit die Wirklichkeit für sich sprechen kann. Und die Leute müssen lernen, zwischen Wirklichkeit und Gefühlen zu unterscheiden.
Wie wird sich das Parlament nach der Wahl verändern? Die Prognosen sind: 70 Prozent der Parteien im Parlament werden pro europäische Parteien sein. Und vielleicht 30 Prozent nationalistische.
Das neue Parlament wird nach der Wahl so sein, dass die große Koalition, die wir seit Jahrzehnten hatten, zwischen Christdemokraten und Konservativen und Sozialisten, nicht länger die Mehrheit haben wird. Sie müssen also den Grünen zuhören und auch den Liberalen. Es wird ein Parlament, das über die Parteigrenzen hinweg arbeiten muss. Das ist positiv! Spannend wird, ob die nationalistischen Parteien beginnen, im parlamentarischen Feld zu agieren und beginnen, Lösungen und Reformen zu suchen. Das wäre ein großer Fortschritt.
Du hältst nichts davon, die Zusammenarbeit mit rechtspopulistischen Parteien von vornherein abzulehnen, diese Parteien von der Zusammenarbeit auszuschließen?
Ich denke nicht, man sollte von vornherein irgendeine Partei ausschließen. Demokratie ist, dass man versucht, einen Kompromiss zu finden und die Sorgen zu sehen, die die Bevölkerung hat. Einige als unmoralisch im Vorfeld auszuschließen, nein, davon halte ich überhaupt nichts. Das was paradox ist: Die EU könnte ja der größte Rettungsanker für einige der Sorgen der nationalistischen Parteien werden, Beispiel Zustrom der Migranten und Flüchtlinge aus Dritte-Welt-Ländern.
Die EU hat gezeigt, dass man handlungsfähig an den Außengrenzen ist, man hat eine gemeinsame Küsten- und Grenzwehr geschaffen, und die könnte man noch mehr stärken. Gemeinsamer Schutz der Außengrenzen und Unterstützung für die Lebensumstände in Afrika. Das wäre weitaus effektiver, wenn wir das als Europa gemeinsam machen! Wenn die einzelnen Länder Grenzkontrollen durchführen, ist das ineffektiv und teuer und es bringt auf Dauer nichts.
Die Nationalparteien sollten also aufhören, zu schreien und zu rufen und gegen die EU zu wettern und sich stattdessen ins Spiel einmischen und zeigen, dass sie Vorschläge haben, wie Reformen durchgeführt werden können. Natürlich sollten die pro-europäischen Parteien fundamentale Werte verteidigen.
Aber wenn man den Rechtspopulisten die Tür vor der Nase schließt und nicht mit ihnen zusammenarbeiten will, dann werden die nie lernen, Verantwortung zu übernehmen und Lösungen aufzuzeigen. Und ich habe durchaus die Hoffnung, dass das möglich ist, ansonsten werden die Gräben in Europa immer tiefer gezogen. Demokratie bedeutet, keine Partei im Parlament auszuschließen.
Die Menschen haben Angst vor der Zukunft haben und sich zurücksehnen. Obwohl es uns so gut geht. Es ist paradox.
Bjarke Møller
Viele Europäer wünschen sich „die alten Zeiten“ zurück. Hast du eine Erklärung dafür?
Kein Zweifel, wir leben in einer Zeit in der die, die laut rufen und problematisieren, alle Aufmerksamkeit erhalten. Leute reagieren instinktiv auf Konflikte. Das Problem ist: Wenn wir immer in dieser Kampfzone leben und denken, dass sich die Welt in Auflösung befindet, kriegt man eine sehr schwarze Sicht.
Aus Untersuchungen wissen wir, dass zwei Drittel der Europäer der Meinung sind, dass die Welt früher ein besserer Ort war als heute. Dasselbe gilt auch für die Dänen, hier sind es 64 Prozent, die Nostalgiker sind. Die Menschen haben Angst vor der Zukunft haben und sich zurücksehnen. Obwohl es uns so gut geht. Es ist paradox.
Wir hatten nie mehr Wohlstand und mehr Sicherheit, nie so gute Bedingungen und so viel Freiheit wie heutzutage in Europa, dem sichersten Kontinent auf der ganzen Welt. Also wenn man seinen Blick von den Kampfzonen wegnimmt und darauf sieht, wie sich die Welt eigentlich entwickelt hat, sollten die Leute sehen können, dass sie etwas haben, worauf sie stolz sein können.
Wir sollten stolz auf Europa sein. Dass wir so weit gekommen sind. Früher haben wir gegeneinander Krieg geführt. Jetzt haben wir tatsächlich ein recht gutes Leben.