Bent Blüdnikow

Historiker: Rettung dänischer Juden kostete andere Menschenleben in Europa

Historiker: Rettung dänischer Juden kostete andere Menschenleben in Europa

Historiker: Rettung dänischer Juden kostete andere Menschenleben in Europa

DN
Kopenhagen
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Im Hause von Berlingske: Der bekannte Journalist und Historiker Bent Blüdnikow im Gespräch mit mit Siegfried Matlok Foto: DK4

Der jüdische Historiker und Journalist Bent Blüdnikow ist dankbar für die Rettung seines Vaters und für die Tatsache, dass sich im Oktober 1943 rund 7.000 dänische Juden in Schweden in Sicherheit bringen konnten. Im Interview mit Siegfried Matlok sagt er, dass die berühmt gewordene Rettung jedoch nicht nur als reine Heldentat gesehen werden kann.

Sein Vater konnte unter dramatischen Umständen erst im zweiten Versuch vor den Nazis nach Schweden flüchten. Sein Sohn, der jüdische Historiker und Journalist Bent Blüdnikow, ist dankbar für die Rettung seines Vaters und für die Tatsache, dass sich im Oktober 1943 rund 7.000 dänische Juden in Schweden in Sicherheit bringen konnten.

Aber er lässt die weltweit berühmt gewordene Rettung nicht nur als reine Heldentat gelten – im Gegenteil: Blüdnikow kritisiert die Hintergründe und bezweifelt z. B.  die edlen Motiven des deutschen Diplomaten Georg-Ferdinand Duckwitz, der von vielen Dänen als Juden-Retter gefeiert wird. In der Sendung „Dansk-tysk med Matlok“ auf DK4 unterstrich Blüdnikow, natürlich habe die Zusammenarbeits-Politik der dänischen Regierung vom 9. April 1940 bis zur Beendigung am 29. August 1943 den dänischen Juden Sicherheit gewährt. Es gab im Lande keine Anti-Judengesetze und niemand musste in Dänemark den Judenstern tragen. Aber diese Zusammenarbeits-Politik hatte nach seiner Ansicht einen hohen, ja vielleicht sogar einen zu hohen Preis.

Blüdnikow: Zusammenarbeits-Politik verlängerte den Krieg

Zwar konnten rund 7.000 dänische Juden nach Schweden fliehen, aber gleichzeitig hat die Zusammenarbeits-Politik den Krieg verlängert und damit den Tod vieler anderer Menschen in Europa gekostet. Die deutsche Besatzungsmacht konnte durch die Zusammenarbeits-Politik den für Deutschland lebenswichtigen Lebensmittel-Export  aus Dänemark  aufrechterhalten, und außerdem konnte Nazi-Deutschland aus Sicherheitsgründen sowohl Soldaten als auch Polizisten im friedlichen  Dänemark sparen und sie so an anderen Fronten einsetzen.

Er könne natürlich nicht genau beurteilen, wie lange der Krieg durch die dänische Zusammenarbeits-Politik verlängert worden sei, wenn man wie in Norwegen gleich am 9. April 1940 den Krieg gewählt hätte. Aber selbst wenige Stunden hätten nicht nur viele Juden in anderen Ländern retten können, so Blüdnikow, der im Interview mit Siegfried Matlok den dänischen Historikern vorwirft, dass sie ihre Geschichte nur im nationalstaatlichen Rahmen sehen, dass sie aber in ihrer Beurteilung die internationalen Aspekte und Konsequenzen nicht beachten.

 

Best war viel zu klug für die Dänen

Gestützt auch auf ausländische Geschichtsforschung, ist der langjährige Berlingske-Journalist der Meinung, dass der deutsche Reichsbevollmächtigte Werner Best und „seine rechte Hand“, der Schiffahrtssachverständige Georg-Ferdinand Duckwitz, sich durch ihre Hinweise an dänische Stellen über die bevorstehende  Judenaktion auch selbst „eine Hintertür“ zum Überleben geöffnet haben. Best sei auch vor dem Hintergrund seiner blutigen SS-Vergangenheit ein zynischer Schreibtisch-Mörder gewesen, aber der Jurist Best war sehr klug, ja viel zu klug für den dänischen Staatsminister Erik Scavenius und für die Dänen, die der offiziellen Rettungsversion von Duckwitz und Best geglaubt haben. Best habe stets engen Kontakt zu SS-Reichsführer Heinrich Himmler gepflegt, der schon ab Ende 1942 auch die Judenfrage in Geheimverhandlungen mit den Westmächten über ein Kriegsende zu nutzen versuchte. Best führte ein Doppelspiel, das aber – paradox genug – den dänischen Juden ihre Rettung brachte.

Tagebücher für Blüdnikow kein Beweis

Auch die Tagebücher von Georg-Ferdinand Duckwitz, die u.a. seine handschriftlichen Notizen über die dramatische Zeit während der Juden-Flucht nach Schweden enthalten, sind für  Blüdnikow  kein Beweis. Im Gegenteil, sie sind unglaubwürdig und waren nur „eine Lebensversicherung“ für den deutschen Diplomaten. Duckwitz habe als frühes Mitglied der Nazi-Partei – so sein Vorwurf – auch nichts vermerkt über die Verbrechen an den Juden in anderen Ländern, über die er durch seine Kanäle  durchaus informiert gewesen sei. Blüdnikow fordert deshalb im DK4-Interview endlich eine Herausgabe der Tagebücher von Georg-Ferdinand Duckwitz für die Geschichtsforschung.

Im Interview äußert sich Blüdnikow auch über den stark zugenommenen Antisemitismus. Er macht dafür vor allem die Zuwanderung aus muslimischen Ländern verantwortlich.  Nach dem Terroranschlag auf die jüdische Synagoge in Kopenhagen lebe er als dänischer Jude mit seiner Familie zwischen Hoffen und Bangen und stelle sich manchmal die Frage, ob sich die Geschichte von einst doch wiederholen könne.
 

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