50 Jahre EU: Einer wird gewinnen

De Gaulle und 5.000 Stück Großvieh

De Gaulle und 5.000 Stück Großvieh

De Gaulle und 5.000 Stück Großvieh

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Nordschleswig
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Dänemark wollte in die EWG eintreten, doch politisch gab es einen internen Kampf: Alt-Kommunist Aksel Larsen (im Vordergrund) stemmte sich dagegen, während Außenminister Per Hækkerup um die Gunst Deutschlands buhlte. Foto: Erik Petersen/Ritzau Scanpix

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Das unterentwickelte Nordschleswig hofft auf EWG-Mitgliedschaft. Was dahintersteckt, weiß Seniorkorrespondent Siegfried Matlok in der Serie „50 Jahre EU“ zu berichten.

Als Stadtrat ist Stephan Kleinschmidt Teil des Verwaltungsvorstands im Flensburger Rathaus. Dieser ist so etwas wie die Stadtregierung Flensburgs. Ihm gehören neben Kleinschmidt der Oberbürgermeister Fabian Geyer, Bürgermeister Henning Brüggemann als sein Stellvertreter und Dezernentin Karen Welz-Nettlau an.

Während der Oberbürgermeister direkt von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt gewählt wird und Dezernentin Welz-Nettlau eine Laufbahn-Beamte auf Lebenszeit ist, werden der Bürgermeister und der Stadtrat für eine Amtszeit von sechs Jahren von der Ratsversammlung gewählt.

Zwei wichtige Personalentscheidungen beeinflussten 1965 die europapolitische Debatte auch in Dänemark: Bundekanzler Ludwig Erhard bleibt nach der Bundestagswahl Bundeskanzler, und in Frankreich wird Präsident de Gaulle wiedergewählt. Erhard gilt als ein Freund Dänemarks, der die dänischen EWG-Pläne unterstützt, während de Gaulle seit seinem Veto am schwarzen 18. Januar 1963 für Großbritannien und Dänemark die europäische Tür ins viel gelobte Paradies versperrt.

An der pro-europäischen Haltung der dänischen Regierung hatte sich nichts geändert: Sie hielt weiterhin daran fest, einen Beitritt nur gemeinsam mit Großbritannien zu befürworten. Außenminister Per Hækkerup war Ende 1965 zu Gast in Bonn, um bei seinem deutschen Amtskollegen Gerhard Schröder für einen Brückenschlag zwischen EWG und EFTA zu werben. Die Bundesregierung unterstrich, sie sei an einer Koordinierung beider Wirtschaftsblöcke interessiert und dankte der sozialdemokratischen Regierung in Kopenhagen vor allem für ihre klare Haltung gegenüber der Sowjetunion in der deutschen Frage.

EWG empfiehlt Dänemark Industrialisierung

Auf deutschen Wunsch hin hatte der EWG-Ministerrat eine Studie über die Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen Dänemark und der EWG ausarbeiten lassen. „Die EWG kann Dänemark vorerst nicht helfen“, hieß es im Bericht, der jedoch auch Chancen für die Lösung der dänischen Exportprobleme sah: „Aber nur in dem Maße, wie Dänemark zunehmend vom Agrarland zum Industrieland wird, um auch das chronische Defizit in der dänischen Handelsbilanz zu verringern.“

Dänemarks Anteil am Im- und Export der EWG wurde auf zwischen 2 und 4 Prozent beziffert: Jedes halbe Jahr trafen sich deutsche und dänische Regierungsbeamte, um vor allem für die Landwirtschaft und deren Rinder-Export Lösungen zu finden, da die EWG-Importe oft zulasten Dänemarks gingen. 1965 schickte Dänemark immerhin jede Woche rund 5.000 Stück Großvieh über die deutsch-dänische Grenze in die Bundesrepublik.

Für Nordschleswig genauso wie für Südschleswig ist die Grenze, die sich von Ruttebüll bis Krusau trennend durch den Raum des alten Herzogtums Schleswig zieht, seit eh und je ein Bremsklotz. Seitdem die Krusau-Grenze von 1920 auch noch die Trennungslinie zwischen zwei großen Märkten, der Freihandelszone der sieben und dem Gemeinsamen Europäischen Markt der sechs bildet, ist die Situation noch ernster geworden, beschrieb „Der Nordschleswiger“ die ernste europäische Lage im Grenzland.

Tonderns Bürgermeister warnt

Der Vorsitzende des Nordschleswigschen Wirtschaftsrates, Tonderns konservativer Bürgermeister Johs. Paulsen, malte die Landschaft noch düsterer: Er bezeichnete „Nordschleswig als Ganzes als ein unterentwickeltes Gebiet“. Nach seinen Worten habe Nordschleswig ein doppeltes Standort-Problem, und deshalb sei Nordschleswig dringend daran interessiert, dass der Weg nach Zentraleuropa als Brücke freigemacht wird.  

Um auch für die Zukunft gerüstet zu sein und um vor allem eine Abwanderung der Jugend zu vermeiden, wagten Paulsen und die Nordschleswiger einen bildungspolitischen Sprung nach vorn. Dänische Persönlichkeiten warben gemeinsam mit Vertretern der deutschen Minderheit im Gottorp-Saal der Haderslebener Kaserne für Hadersleben als Standort einer kommenden vierten oder fünften dänischen Universität.

Eine dänische Universität in Nordschleswig sollte allerdings heute kein Kampfinstrument sein. Als Grenzland-Universität werde sie jedoch eine wichtige Aufgabe als Mittler gegenüber dem Süden haben, lautete die gemeinsame Empfehlung. Doch schon wenige Wochen später entschied sich der Planungsrat der Regierung gegen Nordschleswig – und für Esbjerg, Aalborg und Roskilde.

Rotes Kabinett gefährdet Krags Europa-Projekt

Die Hoffnungen auf ein dänisches EWG-Europa ruhten weiterhin auf den Schultern des im November 1966 wiedergewählten Staatsministers Jens Otto Krag. Seine Minderheits-Regierung wurde zwar bestätigt, doch sie war erstmalig parlamentarisch abhängig von einer Partei links von den Sozialdemokraten – von den Volkssozialisten im sogenannten „roten Kabinett“ unter Führung des Alt-Kommunisten Aksel Larsen. Und der war – wie viele seiner Anhänger –  wahrlich kein Freund der EWG.

Was nun, Dänemark?

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