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„Polen und Ungarn sind die Problemländer der Minderheiten“
Polen und Ungarn sind die Problemländer der Minderheiten
Polen und Ungarn sind die Problemländer der Minderheiten
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Die Machthaber in Warschau und Budapest benutzen die Minderheiten, um ihre eigene Machtposition zu sichern oder auszubauen. Damit bringen die Staaten die Instrumentalisierung der Minderheitenfrage wieder in die politische EU-Arena, mahnt Jan Diedrichsen an.
Minderheitenpolitik sollte überparteilich und am politischen Konsens orientiert sein. Dies ist ein Idealbild, das im deutsch-dänischen Grenzland mit einigen Aussetzern in den vergangenen Jahren gut funktioniert hat.
Doch die Minderheiten können einen solchen Idealzustand nur bedingt selbst herbeiführen. Alles steht und fällt mit den Staaten, in denen sie leben. Die Macht zum Guten und zum Schlechten liegt bei den sogenannten Herbergsstaaten. Es ist daher auch entscheidend, dass diese Staaten sich nicht auf Kosten von Minderheiten profilieren, Wählerstimmen abzugreifen versuchen oder offene Rechnungen mit der EU oder Nachbarstaaten begleichen.
Doch leider gibt es für eine solche Instrumentalisierungspolitik immer wieder Beispiele. Falls es noch Zweifler geben sollte, dann sind Warschau und Budapest derzeit klassische Negativbeispiele, wie man nicht agieren sollte – nämlich auf Kosten der Minderheiten Populismus zu betreiben.
Beispiel 1: Polen
Wir hatten bereits von dem staatlich sanktionierten Tiefschlag gegen die Minderheitenpolitik in Polen berichtet: Die rechte polnische Regierung kürzte im Februar 2022 die Finanzierung für den muttersprachlichen Unterricht der deutschen Minderheit in Polen. Das Parlament kappte die Förderung um ein Fünftel. Die deutschen Minderheitenschulen sollten künftig 40 Millionen Zloty weniger erhalten, das sind zehn Millionen Euro.
Doch es ging dem Staat dabei nicht primär ums Geld, sondern es war ein heftiger Wink Warschaus in Richtung Berlin: Bildungsminister Przemyslaw Czarnek forderte Deutschland auf, die polnische Minderheit in der Bundesrepublik so zu behandeln, wie dies Polen mit der deutschen Minderheit praktiziere. Deutschland vertritt die Haltung, dass es keine polnische Minderheit in Deutschland gibt, die den Status einer autochthonen (alteingesessenen) Minderheit für sich reklamieren könnte.
Von der rechtspopulistischen PIS-Partei wird Deutschland im Wahlkampf immer als der böse Nachbar stilisiert. Was passt da besser, als die deutsche Minderheit im Lande im Wahlkampf gegen ihren Willen mit den Finanzkürzungen „einzubinden“?
Die deutsche Minderheit hat trotz verständlicher Verärgerung wegen der diskriminierenden Kürzung besonnen reagiert und versucht, einen Kompromiss zu finden. Man war in Oppeln daher erfreut, als einige Monate später derselbe Przemysław Czarnek bei einem Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Minderheit verkündete, dass die Kürzungen so bald wie möglich wieder aufgehoben werden würden.
Doch bis heute – sechs Monate später – hat sich niemand im polnischen Bildungsministerium oder andernorts gerührt. Nun geht die deutsche Minderheit in die Offensive und hat eine öffentlichkeitswirksame Kampagne unter dem Titel „Gebt den Kindern die Sprache zurück“ gestartet. Auf Werbetafeln wird auf den Missstand aufmerksam gemacht. Auch am schlesischen Autonomiemarsch in Kattowitz wurde mit einem Transparent an die Reduzierung der Stundenzahl für Deutsch als Minderheitensprache erinnert. Junge Angehörige der deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Schlesien trugen ein Transparent mit der Aufschrift: „Diskriminierung ist keine Lösung. Gebt uns den Deutschunterricht zurück!“
Es ist beschämend, dass es so weit kommen musste, denn natürlich hat die Regierung in Warschau die Verpflichtung (auch de jure), sich angemessen um die Förderung der deutschen Minderheit zu kümmern.
Beispiel 2: Ungarn
Victor Orbán und seine Fidesz haben in Europa kaum noch Verbündete oder Freunde übrig – sogar ebenfalls rechte Regierungen wie Italien oder Polen wollen so wenig wie möglich mit dem Provokateur in Budapest zu tun haben. Immer wieder instrumentalisiert Orbán die Minderheitenfrage, sei es mit Blick auf die ungarische Minderheit in der Ukraine (seine jüngsten Äußerungen zur Ukraine sind an Schäbigkeit kaum zu überbieten) oder in Bezug auf die Ungarn in Rumänien. Diese können sich vor der „Solidarität“ aus Budapest kaum retten. Einmal im Jahr reist Orbánins Szeklerland nach Rumänien. Mit seiner traditionellen Rede an der Freien Sommeruniversität Bálványos in Siebenbürgen schürt er die Spannungen. Während seines letzten Auftritts machte er sich über das politische System Rumäniens lustig und verspottete die EU.
Man stelle sich vor, Mette Frederiksen würden die Aarsmøder nutzen, um sich über Deutschland lustig zu machen und dabei den territorialen Status Südschleswigs infrage stellen. Orbán erklärte, dass das Szeklerland und Siebenbürgen keine rumänischen Gebiete seien und machte damit deutlich, dass es ihn nicht im Geringsten interessiert, was er damit anrichtet.
Neben dem aggressiven Geschrei der rumänischen Gegen-Demonstrierenden sind die Ungarn und die Rumänen, für die das Szeklerland die Heimat ist, die eigentlichen Verlierer des Orbán-PR-Auftritts. Denn sie bleiben in einem nationalistisch aufgeheizten Klima zurück, wenn Orbáns Staatskarosse bereits wieder Richtung Budapest abrauscht.
Instrumentalisierung der Minderheitenfrage wieder salonfähig?
Man soll mich nicht missverstehen, dies ist keine Verteidigung der Minderheitenpolitik Rumäniens, und natürlich haben die Ungarn in Rumänien Anrecht auf eine dem europäischen Standard entsprechende Autonomielösung. Aber wer denkt, diese würde in greifbare Nähe rücken, solange Orbán die territoriale Integrität seiner Nachbarn infrage stellt, ist bestenfalls blauäugig.
Für die Minderheiten in Europa sind die angeblichen Minderheitenfreunde in Budapest und Warschau derzeit ein großes Problem, denn sie lassen die Instrumentalisierung der Minderheitenfrage wieder in die politische EU-Arena treten. Es hat Jahrzehnte gedauert, diese zu verbannen. Verlierer sind in diesem Spiel am Ende immer die Minderheiten.