Digitalisierung

Wir müssen ganz neue Wege gehen

Wir müssen ganz neue Wege gehen

Wir müssen ganz neue Wege gehen

Nordschleswig/Apenrade
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Gwyn Nissen
„Nordschleswiger“-Chefredakteur Gwyn Nissen Foto: Karin Riggelsen

Es ist ein historischer Tag: Die deutsche Tageszeitung in Dänemark, „Der Nordschleswiger“, erscheint am 2. Februar zum letzten Mal. Danach geht es primär digital weiter – mit neuen Möglichkeiten und Angeboten.

Liebe Leserinnen und Leser,

Dienstag erscheint die letzte Ausgabe der Tageszeitung „Der Nordschleswiger“. Nach 75 Jahren ist es Zeit geworden, neue Wege zu gehen. Die Überschrift haben wir übrigens aus der ersten Ausgabe des „Nordschleswigers“ vom 2. Februar 1946 übernommen. Damals musste die deutsche Minderheit in Nordschleswig nach dem Zweiten Weltkrieg ganz neue Wege gehen.

Unsere heutige Zeit ist mit den damaligen Umständen keineswegs vergleichbar. Die gesamte Minderheit stand damals vor einem Neubeginn – auch „Der Nordschleswiger“. Alles musste damals von Grund auf neu aufgebaut werden. Heute geht es der deutschen Minderheit finanziell gut, und die Kämpfe und die Streitigkeiten im Grenzland, die die Zeitung über die Jahrzehnte eng begleitet haben, sind schon lange Geschichte. Die Minderheit und ihre Zeitung werden in Dänemark und Deutschland respektiert für das, was sie sind, nämlich ein Mehrwert unserer Region.

Das ist auch ein Verdienst der journalistischen Arbeit des „Nordschleswigers“. Wir waren stets das Kitt der Minderheit, haben Ostküste und Westküste, Politik und Kultur, Jung und Alt in Nordschleswig zusammengebunden. Wenn zwei sich treffen, kommt der Dritte vom „Nordschleswiger“, hat es immer geheißen. Das stimmt sogar heute noch in vielen Fällen. Wir sind immer für die deutsche Minderheit in Nordschleswig da gewesen – und wir werden auch in Zukunft immer für die Minderheit da sein. An unserer Rolle wird sich nichts ändern.

Wir müssen als Minderheit und jetzt ehemalige Tageszeitung allerdings wieder neue Wege finden. Die Minderheit ist in vielen Belangen ein Spiegel der Gesellschaft und verändert sich: Sie schrumpft wie die übrige Bevölkerung in Nordschleswig, das Minderheitenleben ist heute anders als vor 25 oder 50 Jahren, das Produkt Tageszeitung ist unter Druck, und wir können als Minderheitenzeitung unseren Markt nicht einfach erweitern. Es gibt eben nur eine deutsche Minderheit in Nordschleswig.

Das alles ist ein giftiger Cocktail für die kleinste Tageszeitung Dänemarks – trotz der jahrzehntelangen großzügigen finanziellen Unterstützung aus der Bundesrepublik Deutschland durch den Bund Deutscher Nordschleswiger und der guten Partnerschaft mit dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag.

Die stets sinkenden Abonnentenzahlen haben die Minderheit und den „Nordschleswiger“ zum Handeln gezwungen. Die Entscheidung war nicht unumstritten und nicht leicht, aber der neue Weg der Digitalisierung ist ein notwendiger Schritt in die Zukunft. Der digitale „Nordschleswiger“ ist kein halbherziger Ersatz für eine Zeitung. Es ist ein neues, ganz anderes Medium mit vielen Vorteilen und Möglichkeiten für Leserinnen und Leser jeglichen Alters.

In Dänemark ist die Digitalisierung weit vorangeschritten. Die digitale Infrastruktur ist vor allem in unserem Landesteil einmalig – nicht nur für Dänemark, sondern für weite Teile der Welt. Außerdem ist ein Großteil der Bevölkerung in Dänemark bereits seit Jahren digital – das gilt auch für die Minderheit. Daher glauben wir daran – und erleben heute schon –, dass wir mit dem digitalen „Nordschleswiger“ eine viel größere Präsenz erreichen als jemals zuvor.

Wir bieten unseren Leserinnen und Lesern an, diesen Weg mit uns zu gehen – auch wenn sie heute noch nicht digital sind. Viele geplante Schulungen sind während der Corona-Zeit ausgefallen – aber wir holen sie nach, für alle, die die digitale Welt und somit auch den neuen „Nordschleswiger“ für sich entdecken wollen.

Wir haben zwar auch weiterhin einen 14-täglichen „Nordschleswiger“ mit den wichtigsten Nachrichten auf Papier für nicht digitale Leserinnen und Leser, aber wir fordern alle Angehörigen, Nachbarn und Freunde dazu auf, nicht digitale Leserinnen und Leser an die Hand zu nehmen.

Wir können die Enttäuschung über die fehlende Tageszeitung durchaus nachvollziehen. Das wird unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die über Jahrzehnte diese Zeitung gelebt haben, am Mittwoch genauso gehen.

Doch die Freude darüber, was kommt, überwiegt. Daher ist dies kein schwarzer Tag für den „Nordschleswiger“ und die deutsche Minderheit. Im Gegenteil: Wir beweisen Mut, Tatendrang und sind dabei innovativ.

Wir sind davon überzeugt, dass wir digital auf dem richtigen Weg sind. Zeitungen sind – leider mit zu wenigen Ausnahmen – vor allem ein Vergnügen für ältere Generationen geworden. Die digitalen Möglichkeiten werden dagegen generationenübergreifend genutzt. Für Jung und Alt sind wir heute und in Zukunft ein ständiger Begleiter für die, die ein Smartphone bei sich, ein Tablet oder einen Computer zu Hause haben.

Unsere Nachrichten werden von frühmorgens bis spätabends und auch an den Wochenenden von denselben Journalisten aktualisiert, die bisher für die Papier-Zeitung verantwortlich waren. Sie sitzen immer noch vor Ort, sie berichten aus den Schulen und Kindergärten, von Veranstaltungen und aus dem Minderheitenleben, und sie sind dabei, wenn gefeiert und getrauert wird.

Wir leben und lieben die Minderheit – und wir werden auch weiterhin ihr konstruktiv-kritischer Begleiter sein. Mit anderen Worten: Wir sind nicht weg, wir sind nur woanders, und wir wollen sogar noch näher an Nordschleswig und unsere Leserinnen und Leser.   

75 Jahre „Der Nordschleswiger“ – das erfüllt uns mit Stolz und Ehrfurcht, denn ohne dieses Fundament wäre es gar nicht möglich, heute neue Wege zu gehen. An dieser Stelle gilt mein Dank daher allen jetzigen und früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des „Nordschleswigers“ für ihren unermüdlichen Einsatz.

Vor allem aber gebührt unser Dank den vielen treuen Leserinnen und Lesern – seit der ersten Ausgabe am 2. Februar 1946. Wir müssen neue Wege gehen – aber es müssen nicht getrennte Wege sein. Denn wir gehören zusammen – die deutsche Minderheit und „Der Nordschleswiger“.

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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Wenn Minderheiten als Gefahr für andere dargestellt werden“