Vor 100 und vor 50 Jahren

Einsteins Erbe, neuer Name DSSV und Hunger in Europa – was damals wichtig war

Einsteins Erbe, neuer Name DSSV und Hunger in Europa – was damals wichtig war

Einstein, DSSV und Hunger – was damals wichtig war

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
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Das heutige Deutschtown in Pittsburgh, ein Stadtteil im Norden der Stadt in Pennsylvania. Rechts noch deutlich die alte Bebauung der deutschen Einwanderer zu erkennen. Siehe Donnerstag, 2. März 1922. Foto: Canusa Touristik

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Was hat im März vor 100 und vor 50 Jahren für Schlagzeilen gesorgt? Jürgen Ostwald hat im Archiv die Zeitungen durchforstet und aufgelistet, was die Menschen 1922 und 1972 bewegt hat.

Foto: DN

Mittwoch, 1. März 1922
Deutsche Handelsluftschiffe für Amerika
Der Handelskammer der Vereinigten Staaten wurde die Bildung einer Großgesellschaft zu Betreibung der Handelsluftschifffahrt in den Vereinigten Staaten mitgeteilt. Geplant ist die Errichtung von regelmäßigen Verkehrslinien mit Groß-Luftschiffen eines veränderten Typs eines deutschen starren Systems. Die Luftschiffe sollen in Deutschland fabriziert und in den Vereinigten Staaten zusammengestellt werden. Kommerzienrat Schütte von den Schütte-Lanz-Werken, der augenblicklich mit einem größeren Stab von Ingenieuren  in Amerika weilt, um die Einzelheiten dieses Planes auszubauen, erklärt, es sei beabsichtigt, einen großen Teil der Luftschiffwerft nach den Vereinigten Staaten zu verlegen. Die ersten Luftschiffe sollen eine Größe von vier Millionen Kubikfuß haben. Es ist beabsichtigt, Linien über den Stillen Ozean und nach Südamerika aufzunehmen, eventuell auch einen Dienst zwischen Nordamerika und Europa einzurichten.

 

Donnerstag, 2. März 1922
Die deutsche Sprache in den Vereinigten Staaten
Die deutsche Sprache wird in den Vereinigten Staaten wieder mehr erlernt. Wie der „Sonntagsbote“ in Pittsburgh berichtet, hat die Fakultät des Bryn Mawr College in Philadelphia, wohl die berühmteste Frauenuniversität des Landes, unter Vorsitz der Präsidentin, der liberal gesinnten M. Carrie Thomas, beschlossen, dass, sobald die nötigen Vorbereitungen getroffen werden können, sich alle Studentinnen des College einer Prüfung im Deutschen als Bedingung der Graduierung unterziehen müssen und dass Bestimmungen hierfür schleunigst ausgearbeitet werden sollten.

Das College besteht noch heute. Absolventinnen waren etwa die Schauspielerin Katharine Hepburn oder die Politikerin Eleanor Dulles, die Schwester des amerikanischen Außenministers John Foster Dulles. Der „Sonntagsbote“, eine von mehreren deutschsprachigen Zeitungen in Pittsburgh, erschien von 1878 bis 1942.

 

Freitag, 3. März 1922
Hoyerschleuse. Der Dampfer „Freya“, der jetzt sechs Wochen lang eingefroren gewesen ist, konnte sich losarbeiten, sodass er die Fahrt nach Sylt unternehmen konnte.
Der Raddampfer „Freya“ bediente von 1904 (in diesem Jahre wurde er erbaut) bis 1927 (in diesem Jahr wurde der sog. Hindenburgdamm eingeweiht) die Route Hoyerschleuse-Munkmarsch. Im März 1922 ging die wochenlange Kälteperiode (Vereisung der Ostsee) langsam zu Ende. Der Raddampfer „Freya“ darf nicht verwechselt werden mit dem gleichnamigen Raddampfer, der heute von Kiel aus Tagesfahrten auf dem Nord-Ostsee-Kanal anbietet.

Vom wochenlangen Eisbarrieren befreit, konnte die „Freya“ ihren Fährdienst nach Sylt wieder aufnehmen. Foto: gfr.

Freitag, 3. März 1922
Apenrade. Auf Anregung des „Apenrader Deutschen Schulvereins“, der als Organisation der deutschen Eltern angesehen werden darf, hat sich die Schulkommission der Stadt in ihrer letzten Sitzung mit dem Plan der Errichtung einer deutschsprachigen Mittelschule befasst und diesen Antrag im Prinzip angenommen. In ihrem Aufbau und Lehrplan soll sich die zu errichtende deutsche Mittelschule der dänischen Mittelschule anpassen. Die Unterrichtssprache wird das Deutsche sein, daneben wird aber auch ein genügender Unterricht in der dänischen Sprache erteilt werden.

 

Dienstag, 7. März 1922
Tondern. Im hohen Alter von 94 Jahren verstarb vor einigen Tagen der in Tondern noch wohlbekannte Schuhmacher Dircks in Hamburg. Schon vor einer Reihe von Jahren zog er nach dort, um in Ruhe bei seinen nächsten Anverwandten seinen Lebensabend zu verbringen.

Der alte Dircks war noch ein sogenannter Sechstalermeister, das heißt, seine erste Arbeitszeit lag noch in den Tagen der Zunft, wo jeder sich seinen Meisterbrief durch Erlegung von sechs Talern erwerben musste.

Er war der letzte Kampfgenosse von 1848/51 aus Tondern; unter den Klängen des Schleswig-Holstein-Liedes gestaltete sich die Beisetzung zu einer ergreifenden Trauerfeier.

 

Mittwoch, 8. März 1922
Tondern. Der Abbruch der Luftschiffhalle soll, wie es nach der „Neuen Tondernschen Zeitung“ heißt, bis zum 4. November beendet sein. Dem Abbruchsgebot ist der oberirdische Teil der Halle und die Gasanstalt verfallen. Das Fundament der Halle braucht nicht zerstört zu werden, ebenso dürfen die Wohngebäude und auch der Fliegerschuppen stehen bleiben.

Ob das auf den Plan deutet, eine Militärfliegerabteilung nach Tondern zu verlegen? Dann könnte die dänische Presse ja nur noch mehr Grund als im vorigen Jahre beim Deutschen Heimatfest von „der ganzen dänischen Heeresmacht“ in Tondern sprechen.

 

Freitag, 10. März 1922
Gespenster. Das Eheproblem
Der Sonderburger Theaterverein hat sich eine große Aufgabe gestellt, deren Lösung mit einiger Spannung entgegengesehen werden darf. Ibsens „Gespenster“ sollen in den nächsten Wochen aufgeführt werden, ein Theaterereignis, welches einen neuen Beweis von dem Ernst der Darsteller und ihrem künstlerischen Streben liefert. Der Verein hofft dadurch auch denen, welche kein Interesse für Komödien und dergleichen haben, einen Dienst zu tun. Zur Vorbereitung auf die Ibsensche Handlung lassen wir hier auf Wunsch eine eingehende Betrachtung dieses Dramas  folgen, aus den Kanzelreden des Bremer Martini-Pastors Emil Felden über Henrik Ibsens Schauspiele.

Es ist hier schon öfter darauf hingewiesen worden, dass die Sonderburger Zeitung unter den bestehenden vier deutschsprachigen nordschleswigschen Tageszeitungen die liberalste war. Ihr Chefradakteur, von dem die obigen Zeilen stammen, ließ es zu, dass der Theaterverein, deren führende Köpfe aus den Abbauklassen der deutschen Schulen stammten, einen Text von Emil Felden abdrucken konnte. Das wäre z. B. in Schmidt-Wodders täglichem Sprachrohr in Tondern völlig unmöglich gewesen. Emil Felden war Pfarrer in einer Bremer Arbeitergemeinde. Der Erste Weltkrieg hatte ihn zu einem Pazifisten gemacht. Felden, ein Studienfreund Albert Schweitzers,  kämpfte gegen den zunehmenden Antisemitismus. Als Mitglied der SPD war er Mitglied der Bremer Bürgerschaft, in der Partei aber wegen seines Pazifismus umstritten. Sein Buch über Ibsens Schauspiele mit dem Titel „Alles oder nichts! Kanzelreden“ war bereits 1911 bei Eugen Diederichs erstmals erschienen und erlebte bis 1919 vier Auflagen. Der Text für die Sonderburger Zeitung war umfangreich, sodass er, was ungewöhnlich war, über zwei Tage verteilt werden musste.

 

Dienstag, 14. März 1922
Der Hunger unter den deutschen Wolga-Kolonisten
Die „Frankfurter Zeitung“ meldet aus Moskau: Der bisher im Hungergebiet von Kasan arbeitende Sanitätszug begab sich, nachdem er in Moskau mit aus Deutschland bezogenen Medikamenten neu versorgt wurde, nach Saratow, um einige Monate  im Gebiet der deutschen Kolonisten Hilfe zu leisten. Er führt diesmal größere Mengen Lebensmittel mit sich, die von den in Deutschland lebenden ehemaligen Wolga-Kolonisten gespendet wurden. Die Lage der deutschen Wolga-Kolonisten wird täglich verzweifelter. Die Epidemien verbreiten sich in erschreckendem Umfange. Auch Pesterkrankungen werden festgestellt. Die letzten Lebensmittel sind verbraucht. Nur eine rechtzeitige Versorgung des Gebiets mit Saatgetreide kann eine Wiederholung der gegenwärtigen Katastrophe im nächsten Jahr verhüten.

In Saratow war einige Jahre zuvor der aus Apenrade stammende spätere Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, für die deutschen Kolonisten tätig.

 

Montag, 27. März 1922
Aufruf
Unendlich groß ist die Not in Österreich. Durch den Krieg der wertvollsten agrarischen Erzeugungsgebiete verlustig, ist es jetzt nicht in der Lage, seine Bevölkerung zu ernähren, sodass hunderttausende dahinsiechen und einem grässlichen Hungertode entgegensehen. Am schlimmsten leiden die Industrie-Städte, und vor allem ist es Wien und das anschließende Industriebecken, wo Krankheit und Tod eine schreckliche Ernte halten. Die am stärksten von der Not Betroffenen ist naturgemäß die Kindergeneration, sie, deren Körper sich entwickeln, auswachsen sollen zu neuen Menschen. Es ist ein furchtbares Bild, das auszumalen die Feder sich sträubt. Wenn man die Schuljugend vergleicht mit Kindern gleichen Alters auf dem Lande oder anderer Länder, dann sieht man mit Schrecken, dass diese bleichen, engbrüstigen, eingefallenen Körperchen um Jahre in der Entwicklung zurückgeblieben sind.

„Und eine solche Jugend soll das arme, zusammengebrochene Österreich wieder aufbauen!“ Der Gedanke ist unfasslich. Wir wollen daher unsererseits bestrebt sein, die armen unterernährten Kinder zur Erholung etwa drei Monate auf dem Lande und da unterzubringen, wo die Not nicht mehr so groß ist. In großzügiger Weise haben die nordischen Länder Dänemark, Schweden, Norwegen, wie auch Holland, Italien, Rheinland und die Schweiz Tausende von österreichischen Kindern aufgenommen und wie lieb und dankbar diese Kinder sind, beweist die Tatsache, dass sie immer wieder von ihren Pflegeeltern eingeladen werden. Zurzeit weilt auch in Sonderburg eine Kommission der österreichischen Kinderhilfe, welche österreichische Kinder unterbringen soll. Das hierorts gebildete Komitee bittet daher, dieses Hilfswerk nach Möglichkeit zu unterstützen. Mögen sich die Familien, deren Lage geeignet ist, Kinder aufzunehmen, recht zahlreich melden. Sie werden sich dadurch Dankbarkeit der kleinen Kinderherzen sowie deren Eltern auf alle Zeit sichern.

Anmeldungen von Kinderplätzen werden im Büro der österreichischen Kinderhilfe, Gewerkschaftshaus, Sonderburg, entgegengenommen, woselbst über alle diesbezüglichen Fragen bereitwillig Auskunft erteilt wird. Auch werden daselbst Spenden zur Deckung der mit der Beförderung verbundenen Unkosten gerne in Empfang genommen.

 

Bürgermeister J. H. Kock

Justizrat Alexandersen

A. Eriksen

Der Vorsitzende des Gewerkschaftskartells Sonderburg: J. Philippsen

Die Übersicht vom Herbst 1922 zeigt die große Hilfsbereitschaft der dänischen Bevölkerung Foto: Königliche Bibliothek, Kopenhagen
Foto: DN

Donnerstag, 2. März 1972

Es lässt sich wieder leben auf Helgoland
„Die Wiedergewinnung und der Neuaufbau Helgolands vor 20 Jahren waren für uns  ein Symbol dafür, dass die Heimatliebe und die praktische Vernunft eine Chance in den ungelösten Lebensfragen unseres Volkes haben“, erklärte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Dr. Stoltenberg gestern Abend bei einem Festball auf Helgoland. Anlässlich der Übernahme Helgolands vor 20 Jahren durch die deutsch Verwaltung war gestern Ministerpräsident Dr. Stoltenberg einen Tag lang Ehrengast auf der Nordsee-Insel. Er trug sich dort auch in das Goldene Buch der Stadt ein.

 

Freitag, 3. März 1972
Damen- und Herrenfriseure müssen auf Beschluss des Monopolrats (in Kopenhagen) vom 1. April an in ihren Geschäften Preisschilder so aushängen, dass Kunden sich informieren und Preise vergleichen können.

 

Mittwoch, 8. März 1972
Herzog-Hans-Bier von Fuglsang gibt es in ganz Nordschleswig
Vor und während des Haderslebener Stadtfestes wird es in ganz Nordschleswig ein spezielles Herzog-Hans-Bier von der Brauerei Fuglsang geben. Dies wurde Montag zwischen Festausschuss und Brauerei abgesprochen. Das Herzog-Hans-Bier wird auf dem Etikett das Konterfei des Haderslebener Herzogs tragen.

Das Porträt des Herzogs auf den damaligen Flaschen der Marketing-Idee kann man nun als Original des 16. Jahrhunderts auf der noch bis zum 22. Mai laufenden Ausstellung zum 500-jährigen Geburtstag des Herzogs im Haderslebener Museum bewundern.

 

Mittwoch, 22. März 1972
Seit 1947: „Deutscher Schul- und Sprachverein für Nordschleswig“
Am 23. März 1947 hielt der Deutsche Schulverein eine bedeutsame Generalversammlung in Tingleff ab. Sie stand im Zeichen des entschlossenen Willens der deutschen Elternschaft in Nordschleswig, allen Widrigkeiten und Schwierigkeiten zum Trotz den Wiederaufbau des deutschen Schulwesens durchzusetzen. Man verfügte zwar nicht über Mittel, Schulen aufzubauen, aber man fasste, wie „Der Nordschleswiger“ damals meldete, wesentliche Beschlüsse. Unter anderem beschloss die Versammlung, den Namen des Vereins in „Deutscher Schul- und Sprachverein in Nordschleswig“ zu ändern. Man einigte sich über die Herausgabe eines deutschen Kinderblattes „Nis Puck“. Schließlich erörterte man zum ersten Mal den Gedanken einer deutschen Nachschule in Nordschleswig.

Der 23. März 1947 ist der eigentliche Gründungstag des neuen bzw. erneuerten Vereins. Er kann also heute auf ein 75jähriges Bestehen zurückblicken.

 

Montag, 27. März 1972
Weiterhin Wählermehrheit für dänischen EWG-Eintritt
Es gibt weiterhin eine Mehrheit für den dänischen Eintritt in die EWG, aber die Gruppe der Wähler, die nicht wissen, wie sie am 2. Oktober stimmen soll, wächst. Das zeigt eine Gallup-Untersuchung, die Sonntag in „Berlingske Tidende“ veröffentlicht wurde. Die Gruppe der Unentschlossenen ist von 27 Prozent bei der Befragung im Februar  auf 30 Prozent im März gestiegen.

 

Dienstag, 28. März 1972
Die Enteignungen für den Bau der Autobahn auf Ostfünen zwischen Odense und Nyborg begannen gestern. Mit 225 Grundbesitzern muss für die 22 km lange Strecke verhandelt werden. Am Weihnachtsabend 1976 soll die Autobahn dem Verkehr übergeben werden.

 

Mittwoch, 29. März 1972
Albert Einsteins Nachlass soll veröffentlicht werden
Die amerikanische Princeton-Universität will den umfangreichen literarischen Nachlass Albert Einsteins veröffentlichen. Wie die „New York Times“ berichtet, wird der Umfang der von Einstein hinterlassenen Privatbriefe, Notizhefte und wissenschaftlichen Manuskripte auf rund 20 Bände geschätzt. Die redaktionelle Bearbeitung des Materials, für die ein Physik-Professor der Yale-Universität in Aussicht genommen ist, soll mindestens fünf Jahre in Anspruch nehmen.

Der Kern der Einstein-Papiere wurde nach Hitlers Machtübernahme  von Einsteins Stieftochter Ilse in Berlin sichergestellt und insgeheim über Kurierpost der französischen Botschaft dem Nobelpreisträger, der sich damals in Belgien aufhielt, zugestellt.

Die Ausgabe „The Collected Papers of Albert Einstein“ ist noch nicht abgeschlossen. Nach langjährigen Vorarbeiten erschien der erste Band erst 1987. Im vergangenen Jahr erschien Band 16, der die Schriften der Berliner Jahre vom Juni 1927 bis zum Mai 1929 umfasst. Viele Schriften Einsteins sind aber bereits online greifbar, ebenso eine große Zahl der Briefe.

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