Turbo für Energiewende in SH

Windkraft: Das bringt der Konsens von Habeck und Günther wirklich

Windkraft: Das bringt der Konsens von Habeck und Günther wirklich

Windkraft: Das bringt der Konsens von Habeck und Günther wirklich

SHZ
Kiel
Zuletzt aktualisiert um:
Repowering erhöht die Energieausbeute, weil moderne Anlagen größer und leistungsfähiger sind als alte. Foto: Katja Frick Foto: 90037

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Statt mehr Flächen für Windkraft erstmal gucken, ob Repowering an alten Standorten nicht noch stille Reserven heben kann: Was bringt dieser Minimalkonsens von Robert Habeck und Daniel Günther? Ein Experten-Check

Wenn nun doch möglichst viele Alt-Standorte von Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein dauerhaft gesichert werden sollen – dann könnte das rein rechnerisch ein Potenzial für die jährliche Stromversorgung von einer Million Haushalten heben. Das schätzt Holger Arntzen, Windkraft-Experte bei der Netzwerkagentur Erneuerbare Energien (EE.SH), auf Anfrage unserer Redaktion.

Die Agentur mit Sitz in Husum arbeitet mit Fördergeldern vom Land. Sie unterstützt Schleswig-Holstein-weit Unternehmen dabei, die Energiewende mit wirtschaftspolitischen Zielen zu verknüpfen.


Mit der Öffnungs-Perspektive für die Altstandorte waren Bundesenergieminister Robert Habeck (Grüne) und Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) jetzt bei Habecks Antrittsbesuch in Kiel vor die Presse getreten. Aber was dieser Minimalkonsens für die weitere Energiewende konkret bedeutet – das blieb bei dem Polit-Termin vollkommen offen.


„Es ist nicht der ganz große Hieb, aber es ist ein begrüßenswertes Signal“, urteilt Arntzen. „Damit verliert die Windkraft weniger Flächen, die eigentlich unstrittig sind.“

Für ein Drittel aller Windräder tickt noch die Uhr

Immerhin 975 Windräder stehen heute außerhalb der Flächen, die das Land Anfang 2021 als so genannte Windvorranggebiete für die Zukunft ausgewiesen hat. Für rund ein Drittel der jetzigen Standorte tickt deshalb die Uhr. Diese neue Gebietskulisse in Form von Regionalplänen war das Ergebnis eines zähen Abwägungsprozesses. Die gesamte Fläche Schleswig-Holsteins war dabei auf ihre Eignung für Windenergie neu überprüft worden. Zugleich wollte das Land mit den Regionalplänen Windkraft arrondieren – also statt versplittert in der Landschaft stehende Anlagen lieber pro Standort viele Windräder bündeln. Deshalb finden sich plötzlich so viele alte Mühlen außerhalb eines Vorranggebiets wieder. Laut bisherigen Regionalplänen sind ihre Standorte für die Öko-Energie verloren, wenn die jeweilige Anlage das Ende ihrer Lebensdauer erreicht.

Rund 500 Anlagen ohne detaillierte Änderung von Kriterien ersetzbar

Wenn die Politik jetzt umschwenkt – dann geht Arntzen davon aus, dass sich rund die Hälfte dieser Bestandsanlagen außerhalb der Windvorranggebiete „repowern“, also durch neue Anlagen ersetzen lässt. Das ergäbe also, ausgehend von heute knapp 1000, rund gerechnet einen Gewinn von 500 Anlagen. Der Experte legt für jede moderne Mühle eine Leistung von rund 4,5 Megawatt zu Grunde. Bei bis zu 2500 Volllaststunden pro Anlage und Jahr macht das 7,5 Gigawatt Strom – der Verbrauch von rund einer Million Haushalte. Oder ein Beitrag zur noch bevorstehenden Wärmewende oder der grünen Umstellung von Industriebetrieben.

Strompreis-Hoch verzögert Motivation zum Repowern

Allerdings hält es Arntzen für möglich, dass sich das vollständige Repowering all dieser Bestandsanlagen über zehn Jahre hinziehen kann. Auch andere Branchen-Kenner sind sich mit ihm einig: Für Betreiber, die eine laufende Anlage haben, ist die Motivation, in neue zu investieren, aktuell moderat. Die Strompreise sind so durch die Decke gegangen, dass sich ein Windrad sehr lukrativ weiter laufen lässt auch wenn es aus der garantierten Einspeisevergütung des Erneuerbare Energien-Gesetzes gefallen ist.


Materialknappheit hat neue Windräder signifikant verteuert. Jedes Megawatt verlangt Investitionen von um die 1,2 Millionen Euro. Was indes auch bedeutet, wenn das Repowering sukzessive kommt: „Das wird die Konjunktur beflügeln“, ist sich Arntzen sicher. „Türme, Fundamente, Netzanschlüsse von Windkraftanlagen: davon bleiben sehr viele Aufträge in der Region.“

Rechtsänderungen gelten als zweischneidiges Schwert

Wenn Arntzen damit rechnet, dass außerhalb der Vorranggebiete nur rund die Hälfte der Anlagen repowert werden kann, liegt das daran, dass sich seit ihrem Entstehen mancherlei Rechtsvorschriften verändert haben: Mindestabstände zur Wohnbebauung zum Beispiel sind größer geworden. Schall wird mittlerweile etwas anders berechnet. An dem ein oder anderen Standort könnten seltene Vogelarten, die sich dort vor Jahren vielleicht nicht aufgehalten haben, einer Neugenehmigung entgegenstehen. Wenn für solche und andere Details Vorschriften gelockert würden, betont man bei der Netzwerkagentur Erneuerbare Energien, könnten sich Chancen für noch mehr Altanlagen ergeben. So haben es auch Habeck und Günther angedeutet, ohne allerdings anzureißen, wo genau sie Stellschrauben sehen.



Arntzen warnt nur vor einem: Mit möglicherweise wieder niedrigeren Abständen zur Wohnbebauung möge man doch vorsichtig sein. Er sorgt sich zum einen, dass das der Akzeptanz nicht förderlich wäre. Und zum anderen auch darum, dass das ein juristisches Beben auslösen könnte. „Wenn die Kriterien für einige Flächen aufgeweicht werden, dann öffnet das vielleicht die Büchse der Pandora.“ Arntzens Befürchtung: Dann würden Investoren auch für andere Standorte auf ähnlich günstige Regeln klagen.

Bevor das Fragezeichen für die neu definierten Vorranggebiete auslöst, wäre ihm deren ungestörte Bebauung wichtiger. Denn wenn man den erwarteten Zugewinn an Windenergie durch die neue Vorranggebiete in die Rechnung mit einbezieht, dann sieht er durch die Öffnungs-Perspektive für mehr Altstandorte ein Plus von nur etwa 15 Prozent.

Mehr lesen