Bundesweite Razzia gegen Neonazis

Schlag gegen rechtsextremistische Vereinigungen: Durchsuchungen auch in Schleswig-Holstein

Schlag gegen rechtsextremistische Vereinigungen: Durchsuchungen auch in SH

Schlag gegen rechtsextremistische Vereinigungen auch in SH

SHZ
Kiel
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Bei der Razzia 2003 in Schleswig-Holstein stellte die Polizei Waffen und ein Schild der kriminellen Neonazi-Gruppe „Combat 18“ sicher. Foto: Horst Pfeiffer/dpa

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Die Bundesanwaltschaft geht seit den Morgenstunden gegen mehrere rechtsextremistische Vereinigungen vor. In elf Bundesländern werden 61 Objekte durchsucht, darunter auch eines in Schleswig-Holstein.

Ermittler gehen seit dem Morgen in elf Bundesländern gegen mutmaßliche Rechtsextremisten vor. Vier Personen aus dem Umfeld der Eisenacher Kampfsportgruppe „Knockout 51“ seien festgenommen worden, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Mittwoch.

Für Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang ist die Razzia „ein wichtiger Schlag gegen die gewaltbereite rechtsextremistische Szene und ein großer Erfolg der Sicherheitsbehörden“.

Eine Durchsuchung auch in Schleswig-Holstein

Wie Carola Jeschke, Sprecherin des Kieler Landeskriminalamts, sagte, hat es in Schleswig-Holstein eine Durchsuchung gegeben. Zum Ort wurden zunächst keine Angabe gemacht.

In Eisennach (Thüringen) wurden Leon R., Maximilian A. und Eric K. festgenommen, in Rotenburg an der Fulda (Hessen) Bastian A. Insgesamt richten sich die Ermittlungen gegen 46 Beschuldigte.

Ermittlungen gegen die rechte Szene liefen seit September 2019

Auslöser der bundesweiten Razzia sind laut Bundesanwaltschaft Ermittlungen gegen Mitglieder von zwei Gruppen, die im September 2019 begonnen hätten: Die „Atomwaffen Division Deutschland“, bei der es sich um eine rechtsextremistische terroristische Vereinigung mit Ursprung in den USA handele, sowie die terroristische Vereinigung „Sonderkommando 1418“. Einer der damals Verdächtigen sei der heute festgenommene Leon R. gewesen, mutmaßlicher Gründer und Rädelsführer der rechten Kampfsportgruppe „Knockout 51“, die Ermittler als kriminelle Vereinigung einstufen.

Die Kontakte von Leon R. zu einem anderen Beschuldigten hätten dann zur Einleitung von weiteren Ermittlungen geführt. Dabei sei es um den Verdacht des Verstoßes gegen das Verbot der Vereinigung „Combat 18 Deutschland“ gegangen. Diese Gruppierung ist seit Oktober 2020 verboten.

Auch der militärische Abschirmdienst war eingebunden

In die Ermittlungen des Bundeskriminalamts (BKA) war auch der Militärische Abschirmdienst eingebunden. Im Einsatz sind achthundert Polizeibeamte des BKA, der GSG9 der Bundespolizei und der Landeskriminalämter von Bayern, Berlin, Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen sowie Einsatzhundertschaften aus Nordrhein-Westfalen und Bayern.

Leon R. soll Anführer der kampfsportgruppe „Knockout 51“ sein

Leon R. ist laut den Ermittlern Anführer der von Eisenach aus agierenden Gruppierung „Knockout 51“. Maximilian A., Eric K. und Bastian A. sollen dort ebenfalls Führungspositionen bekleiden. Die Behörden sind sich sicher: Bei der Gruppierung handelt es sich um eine rechtsextremistische Kampfsportgruppe, die unter dem Deckmantel des gemeinsamen körperlichen Trainings junge, nationalistisch gesinnte Männer anlockt, diese bewusst mit rechtsextremem Gedankengut indoktriniert und für Straßenkämpfe ausbildet. Die Trainings sollen unter der Leitung Leon R. in Eisenach regelmäßig in den Räumlichkeiten der Landesgeschäftsstelle der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) stattfinden.

„Knockout 51“ soll insbesondere in Thüringen aktiv und zudem überregional mit anderen rechtsextremistischen Akteuren in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg vernetzt sein. Diese Verbindungen sollen auf persönlichen Kontakten von Leon R. zu der dort jeweils etablierten rechtsextremen gewaltbereiten Szene beruhen.

Beschuldigte versuchten, einen „Nazi-Kiez“ zu schaffen

Die strafrechtlichen Vorwürfe: Spätestens seit März 2020 soll die Vereinigung auf die Begehung von erheblichen Straftaten ausgerichtet sein. Hierzu gehören laut Generalbundesanwalt vor allem Körperverletzungsdelikte, die sich in erster Linie gegen Angehörige aus dem linken Spektrum richteten, aber auch gegen die Polizei und sonstige Personen, die nach der rechtsextrem und rassistisch geprägten Weltsicht der Gruppierung bekämpft werden dürften.

Jedenfalls für Auseinandersetzungen mit „Linken“ sei dabei auch der Einsatz von Hieb- und Stichwaffen vorgesehen, sagte die Sprecherin. In Eisenach hätten die Mitglieder von „Knockout 51“ versucht, einen „Nazi-Kiez“ zu schaffen und sich dort als Ordnungsmacht zu etablieren. Seit Ende April oder Anfang Mai 2021 habe die Gruppe „Kiez-Streifen“ durchgeführt. „Dabei ging es einerseits um die Demonstration von Abwehrbereitschaft gegen potentielle Übergriffe aus dem linken Lager, zugleich aber auch um die gezielte Provokation von Gewalt sowie den aktiven Kampf gegen den politischen Gegner.“ Leon R., Maximilian A., Bastian A. und Eric K. sollen dabei zwischen Februar 2021 und Januar 2022 mehrfach andere Personen zum Teil schwer verletzten haben.

Angriffe auf Polizisten bei Corona-Demonstrationen

„Um die kriminellen Zwecke der Vereinigung zu verwirklichen, besuchten Mitglieder von ,Knockout 51‘ überdies zwischen Ende August 2020 und Ende März 2021 mehrere Protestveranstaltungen gegen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf, darunter in Leipzig und in Kassel“, so die Sprecherin. Dort sei es zu gewalttätigen Zusammenstößen mit eingesetzten Polizeikräften und linken Gegendemonstranten gekommen.

Ende November 2021 habe Leon R. zum Schein die Auflösung der Vereinigung verkündet. Seitdem seien Anwärter in die Jugendorganisation der NPD, die „Jungen Nationalsozialisten“ eingetreten.

Verbotene Gruppe „Combat 18“ im Geheimen weitergeführt

Die Ermittlungen gegen weitere rechte Gruppierungen: Bei 21 Beschuldigten, die der verbotenen Gruppe „Combat 18“ zugerechnet werden, wurde ebenfalls durchsucht. Bei der heutigen Razzia geht es um den Verdacht, dass die Beschuldigten die Vereinigung trotz des Verbots im Geheimen als Rädelsführer aufrechterhalten haben. Die Sprecherin: „Dieser Verdacht stützt sich darauf, dass mehrere Zusammenkünfte der Beschuldigten festgestellt wurden.“ Anlässlich dieser Pflichttreffen seien „Leistungsmärsche“ und die Aufnahmeverfahren von Anwärtern absolviert worden, die neben einer praktischen Aufnahmeprüfung auch eine Art theoretische Prüfung mit Fragen zum Nationalsozialismus vorsahen.

„Combat 18“ war auch in Schleswig-Holstein aktiv

„Combat 18“ war zwischen 2001 und 2003 auch in Schleswig-Holstein aktiv und hatte geschätzte 20 bis 30 Mitglieder. Als ihr Anführer galt Klemens Otto, den Verfassungsschützer damals als bekannten norddeutschen Neonazi einstuften. Bei einer Razzia 2003 wurden sechs Schusswaffen sichergestellt. Gegen fünf Hauptverdächtigen, darunter Klemens Otto und der heutige „Bandido“-Rocker Peter Borchert, wurden Haftbefehle erlassen.

2007 schoss ein „Combat 18“-Mitglied in einem Dortmunder Supermarkt einen Mann aus Tunesien nieder und verletzte ihn lebensgefährlich. Der Täter, Robin S., bekam acht Jahre Haft, schrieb von dort der der NSU-Terroristin Beate Zschäpe persönliche Briefe. Er soll auch jetzt zu den Beschuldigten gehören.

„Atomwaffen Division Deutschland“ tauchte erstmals 2018 auf

Bei der Gruppe „Atomwaffen Division Deutschland“ handelt es sich nach Einschätzung der Ermittler um eine terroristische Vereinigung. Sie ist ein Ableger der seit 2015 in den USA bestehenden gleichnamigen Gruppe, sei offen rassistisch, antisemitisch, verherrliche Gewalt und befürworte die Entfachung eines Waffenkrieges. Die Gruppe tauchte erstmals 2018 im Internet auf. Anschließend habe die Gruppierung bis Ende März 2019 mittels Flugblattaktionen vor allem an Universitäten in Berlin und Frankfurt versucht, junge deutsche Männer ihre Ziele zu gewinnen. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen zehn Beschuldigte.

„Sonderkommando 1418“ agierte als Chatgruppe im Internet

Bei der Gruppe „Sonderkommando 1418“ handelt es sich nach Erkenntnissen der Behörden um eine zwischen Herbst 2019 und Februar 2020 von Deutschland aus im Internet agierende Chatgruppe. Deren Ziel sei es gewesen, Anhänger für terroristische Anschläge zum „Rassenkrieg“ und zur Zerstörung bestehender demokratischer Systeme unter Ersetzung durch ein neofaschistisches System zu gewinnen. Hier wird gegen fünf Beschuldigte ermittelt.

Verdächtige werden dem Ermittlungsrichter vorgeführt

Leon R., Maximilian A., Eric K. und Bastian A. werden heute und morgen dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorgeführt, der ihnen die Haftbefehle eröffnen und über den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden wird.

Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang sagte: „Das zuletzt intensivierte Maßnahmenpaket der Bundesregierung gegen den Rechtsextremismus zeigt Wirkung. Gegen Nachfolgebestrebungen verbotener Organisationen gehen wir ebenso konsequent vor wie gegen die rechtsextremistische Kampfsportszene.“

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