Gesellschaft

Landesblindengeld – nirgendwo niedriger als in SH

Landesblindengeld – nirgendwo niedriger als in SH

Landesblindengeld – nirgendwo niedriger als in SH

shz.de/Kay Müller
Kiel
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Verlor aufgrund einer Netzhauterkrankung ihr Augenlicht: Regina Thoms-Zander. Foto: Staudt

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Der Landtag in Kiel streitet über die Erhöhung des Landesblindengeldes. Eine blinde Frau aus St. Peter-Ording erzählt, warum das nötig ist.

Bevor sie rausgeht, zückt Regina Thoms-Zander ihr Smartphone. Denn das Gerät sagt ihr, wie spät es ist und was das Wetter gerade für Kapriolen schlägt. Natürlich könnte die 64-Jährige auch auf die Uhr oder aus dem Fenster schauen, aber wozu? Regina Thoms-Zander ist blind.

Sozialauschuss im Landtag debattiert

Deshalb geht sie an diesem Donnerstag raus und nimmt sechs Stunden Fahrt von ihrem Wohnort St. Peter-Ording nach Kiel auf sich, um bei der Sitzung des Sozialausschusses im Landtag dabei zu sein, wenn es um eine Erhöhung des Landesblindengeldes geht. Denn das liegt seit 2013 bei 300 Euro im Monat – so wenig wie in keinem anderen Bundesland. „Das finde ich ungerecht: Das Leben ist doch für uns in Schleswig-Holstein nicht günstiger als in anderen Bundesländern“, sagt Thoms-Zander. Der Bundesschnitt liegt bei 470 Euro, im Norden beziehen nicht mal 3000 Menschen Landesblindengeld.

Blinde Menschen haben Mehrkosten, wie aus einer umfangreichen schriftlichen Anhörung von Verbänden hervorgeht, die der Ausschuss heute durch mündliche Stellungnahmen ergänzen will. Und die dürften eindeutig ausfallen. „Eingefrorene Leistungssätze bedeuten über die Jahre eine Verringerung der Leistungserbringung“, erklärt etwa Klaus Wißmann, Leiter des Landesförderzentrums Sehen in Schleswig. Behinderte Menschen seien davon gerade in Inflationszeiten besonders betroffen. Dabei hätten Sehbehinderte ohnehin schon höhere Kosten als Nicht-Behinderte.

Warum, das kann Regina Thoms-Zander überall in ihrer Wohnung zeigen. „Bei mir muss alles fühl- oder hörbar sein“, sagt sie und deutet auf den Boiler, den sie mit Klebemarken versehen hat, um fühlen zu können, auf welche Temperatur er eingestellt ist. Ihr Zollstock hat Erhebungen, damit sie die Zahlen tasten kann. Geräte für Blinde sind oft Sonderanfertigungen in geringer Stückzahl – und damit vor allem eins: teuer. „Ich will doch das Blindengeld nicht für meine Enkel, sondern ich brauche das für mein Leben“, sagt Thoms-Zander, die sonst nur ihre Rente als Masseurin und Yoga-Lehrerin zur Verfügung hat.

Große Sprünge kann sie sich damit nicht leisten, wie etwa die Rückfahrt mit einem Taxi aus Husum, wo sie abends gern Vorträge oder Konzerte besucht. „Da fährt dann keine Bahn mehr – und anders komme ich nicht nach Hause.“ Doch wenn sie das drei Mal im Monat macht, ist das Blindengeld aufgebraucht.

Thoms-Zander hat das Glück, dass ihr Mann Rüdiger sehen kann, und ihr viele Dinge des Alltags erleichtert. Aber sie möchte unabhängig bleiben. Und dann sagt sie einen besonderen Satz: „Je unabhängiger man sein will, desto teurer wird das Leben.“ Das gelte gerade für Alleinstehende, die etwa Hilfe beim Putzen oder Einkaufen benötigten. „Das kostet alles.“

Drei Szenarien für ein neues Landesblindengeld

Schwarz-Grün hat im Koalitionsvertrag vereinbart, das Landesblindengeld zu erhöhen. „Über die Höhe entscheidet der Landtag“, heißt es aus dem Sozialministerium von Aminata Touré (Grüne). Auf Bitten der Fraktionen gebe es drei Modelle: Eines, das sich auf den nächsthöheren Wert des Landes Brandenburg bezieht, eines, das eine Anpassung unter Berücksichtigung des „allgemeinen Inflationsausgleichs“ vorsieht und eines, das das Landesblindengeld auf den bundesweit Mittelwert vorsieht.

Förderung in Berlin mehr als doppelt so hoch wie in Schleswig-Holstein

Letzteres wäre Regina Thoms-Zander am liebsten. Dass sie in ihrer neuen Heimat Nordfriesland nur halb so viel Blindengeld bekommt, wie in ihrer alten Heimatstadt Berlin, aus der sie 2014 an die Nordsee gezogen ist, dafür hat sie nur einen Satz: „Das hat etwas Abwertendes.“

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