Serie über Expertenrat in der Pandemie

Corona: So wirbt eine Kieler Jura-Professorin für die Impfpflicht

Corona: So wirbt eine Kieler Jura-Professorin für die Impfpflicht

So wirbt eine Kieler Jura-Professorin für die Impfpflicht

SHZ
Kiel
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Kerstin von der Decken Foto: fju/shz.de

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Die Kieler Staats- und Europarechtlerin Kerstin von der Decken sieht keine Alternative zu einer Impfpflicht. Sie sieht darin eine gewisse Parallele zur Abwehr von Gefahren durch Alkoholisierte im Straßenverkehr.

Sie ist Juristin mit Leib und Seele - doch das bedeutet nicht, dass Kerstin von der Decken deshalb den Umgang mit Corona zuvorderst mit haufenweise zusätzlichen Paragraphen bewältigen wollte. Neue Vorschriften sieht sie eher als Ultima Ratio. „Bevor man mit zusätzlichen Pflichten kommt, muss man mildere Mittel anwenden“, lautet ein Credo der Professorin der Kieler Christian-Albrechts-Universität. Gerade das ergebe sich aus dem Recht selbst: Alles, was obendrauf gepackt wird, muss abgewogen werden gegen die kaum vermeidbare Kehrseite, namentlich die Beschränkung von Grundrechten.

Ein europaweiter Blick und die Schlussfolgerungen

Ein bisschen neidisch guckt die 53-Jährige deshalb manchmal nach Spanien. „Dort hat man eine sehr hohe Impfquote, auch ohne an der juristischen Schraube zu drehen. Die Spanier sind mehr als wir Deutschen in der Familie zusammen, haben deshalb ein höheres Verantwortungsgefühl. Wir hingegen begreifen uns mehr als Individualisten.“

Diesen Eindruck entnimmt sie nicht nur einfach den Medien, sondern auch persönlichem Kontakt mit Kollegen auf der iberischen Halbinsel. Sprachlich profitiert sie dabei davon, dass sie in Mexiko-City aufgewachsen ist. Die Staatsrechtlerin ist spezialisiert auch auf Europarecht und Internationales Recht. „Dadurch habe ich permanent einen Blick in andere Staaten.“

Diese ausgeprägte Perspektive von außen habe wohl mit zu ihrer Berufung ins Corona-Beratergremium der Landesregierung beigetragen, glaubt von der Decken. Juristen sitzen – anders als etwa Mediziner – ja sonst ohnehin schon viele in Staatskanzlei und Ministerien. Die Professorin erlebt den Praxisbezug ihrer Mitwirkung in der Runde als „großartig“. Und keinesfalls sei es so, dass die Mitglieder der Runde einfach nur Monologe halten und Fragen beantworten. „Wir diskutieren auch untereinander, und das zum Teil kontrovers.“

Eine Parallele zur Gefahrenabwehr im Straßenverkehr

In Deutschland hingegen führt für die Kielerin an einer Impfpflicht kein Weg mehr vorbei. „Die freiwilligen Angebote waren das mildere Mittel, aber es hat von der Impfquote her nicht gereicht.“ Von der Decken argumentiert mit der Schutzpflicht des Staates: „Es geht darum, ob jemand, da ungeimpft, eine Gefahr für andere darstellt.“ Es sei doch auch akzeptiert, dass der Staat etwas gegen Betrunkene im Straßenverkehr unternehme, etwa durch Wegnahme des Führerscheins, Bußgelder oder je nach Folgen auch strafrechtlich. Die wesentlich geringere Viruslast von Geimpften sprechen nach Ansicht von der Deckens ebenso für die Immunisierung wie die Annahme, dass umso weniger Mutationen entstehen, je weniger Übertragungen es gibt.

„Und der Eingriff durch das Impfen an sich ist doch fast nichts im Verhältnis zu den Eingriffen, die eine ungebremste Pandemie für Millionen von Menschen darstellt, ob wirtschaftlich, psychisch, entwicklungsmäßig oder in der Bildung.“ Man könne ja die Wahl des Impfstoffs freistellen und mit einer Befristung bei der Pflicht arbeiten.

Die juristische Messlatte hängt stets von der Situation ab

Wie es ansonsten mit den Corona-Maßnahmen weitergehen sollte? Den 19. März als Datum für die Aufhebung von fast allen, so wie derzeit Beschlusslage von Bund und Ländern, findet die Juristin „ein bisschen früh“. Dazu müsse die Sommersaison etwas näher heranrücken. Man könne juristisch aber „nie pauschal sagen, welche Einschränkungen okay sind – das hängt immer von der Situation ab, wie gefährlich ein Infektionsgeschehen sein kann“. Nach heutigem Kenntnisstand sieht von der Decken Richtung Sommer nicht mehr viel mehr an Regeln als 3G plus für vulnerable Gruppen, also in Seniorenheimen Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen. Beim ÖPNV wagt sie keine Einschätzung.

Zum Alltag der Professorin gehört die Einführungsvorlesung ins Staatsorganisationsrecht. Die führt direkt ins föderalistische Gestrüpp zwischen Bund und Ländern, das in der Pandemie für so viele Diskussionen sorgt. Ob in der Corona-Bekämpfung ein möglichst einheitlicher oder gerade ein regional verschiedener Weg der bessere ist: „Diese Frage beschäftigt mich bis heute am meisten“, sagt die Wissenschaftlerin. Für ersteres spreche, dass Bürger Regeln besser nachvollziehen könnten. Dagegen aber, dass Menschen in der einen Region mit in Haftung für ein höheres Infektionsgeschehen ganz anderenorts genommen würden. „Föderalismus passt auch durchaus zu uns Deutschen, denn historisch ist unser Staat ja so entstanden“, betont von der Decken. Abschaffen will sie dieses Prinzip denn auch nicht. Aber wie man doch einen Tick zu einheitlicheren Zuständigkeiten in Gefahrenlagen drehen kann – dazu wünscht sich die Professorin doch einen Gesprächskreis zwischen Bund und Ländern.

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Kommentar

Hannah Dobiaschowski
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