Spuren durch die Hauptstadt

Die konservative Insel im roten Meer

Die konservative Insel im roten Meer

Die konservative Insel im roten Meer

Kopenhagen
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Auf dem Gelände der ehemaligen Porzellanfabrik sind Wohnungen entstanden. Foto: Walter Turnowsky

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Manchmal soll man die Dinge etwas geruhsamer angehen, meint Walter Turnowsky. Orte dafür hat er bei seinem Spaziergang durch die Insel-Kommune Frederiksberg entdeckt. Alle vier Wochen führt der Kopenhagen-Korrespondent durch „seine" Stadt.

In dieser Zeit brauchen wir es ab und zu, die Gedanken in die gute alte Zeit wandern zu lassen. Auch wenn diese Zeit so gut auch wieder nicht war, aber die Erinnerung ist eben gnädig.

Und nichts liegt in Kopenhagen näher, als Spuren dieser Zeit in dem in jeder Hinsicht konservativen Frederiksberg zu suchen. Als eigenständige Kommune von Kopenhagen umschlossen, gehen hier die Uhren ein wenig anders.

Diesmal lautet die Empfehlung: Bequeme Schuhe anziehen. Foto: Walter Turnowsky

Schusters Rappen ist bereits aufgezäumt, als Gepäck brauchen wir lediglich unsere Dankort mitbringen, denn ein Versorgungsnotstand tritt hier selbst zu Corona-Zeiten nicht auf.

Bis 2004 wurde hier das Königliche Porzellan produziert. Foto: Walter Turnowsky

Sozusagen als Einstieg besuchen wir die ehemalige Porzellanfabrik. Bis 2004 wurde hier das Porzellan von Royal Copenhagen hergestellt. Die Porzellanmalerinnen haben hier in sorgfältiger Kleinarbeit die berühmten Muster auf das königliche Porzellan aufgetragen. 

Die Produktion ist in die Vorstadt Glostrup umgezogen. Bemalt wird dort jedoch nur noch das Flora Danica Geschirr. Die Bemalung des übrigen Service ist ins Ausland ausgelagert.

Die Designs der Silberschmiede Georg Jensen sind auch in der Porzellanfabrik beheimatet. Foto: Frederiksberg

Das Gelände der Porzellanfabrik ist zum Teil in Wohnungen umgewandelt worden, jedoch gibt es noch ein Geschäft von Royal Copenhagen. 

Das Svejk: Heimat von tschechischem Bier und psychedelischer Rockmusik. Foto: Walter Turnowsky

Wir schlendern die Smallegade hinein und kommen am Café Svejk vorbei. Das ist zwar corona-bedingt zu, doch für ein Bier ist es ohnehin noch viel zu früh – wir sind ja eben erst losmarschiert. Bis vor ein paar Jahren konnte man dort hinter der Theke Uffe Lorenzen antreffen (jetzt noch davor), Sänger der Bands Baby Woodrose und Spids Nøgenhat (Spitzkegeliger Kahlkopf). Insbesondere mit dem psychedelischen Rock von Spids Nøgenhat scheint er ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, und dennoch hatte die Band am Anfang des vorigen Jahrzehnts ihren großen Durchbruch.  

Das Rathaus scheint sagen zu wollen: Wir lassen und von den Kopenhagenern doch nichts vormachen. Foto: Walter Turnowsky

Nun gelangen wir zum Rathaus. Hier regieren seit 1919 die Konservativen sozusagen umzingelt von der Kommune Kopenhagen, wo die Sozialdemokraten den Oberbürgermeister stellen. Der Steuersatz auf Frederksberg ist der niedrigste des Landes, dafür sind die Wohnungspreise entsprechend höher. Es ist nicht nur die Politik, sondern das gesamte Lebensgefühl, dass hier eher konservativ ausfällt. 

Der Gammel Kongevej hat deutlich interessantere Läden als Strøget in der Innenstadt. Foto: Walter Turnowsky

Es geht ein Stück die Einkaufsstraße Gammel Kongevej entlang. In den Seitenstraßen finden wir das, was viele mit dem eigentlichen Frederiksberg verbinden: großzügige Villen und Patrizierwohnungen. Wir biegen links in den Rathsacksvej ein und danach die Grundtvigsgade hinunter.

Villen am Rathsackvej. Foto: Walter Turnowsky

Vor einigen Jahren noch wäre die Dichte an Pelzmänteln in diesen Straßen sehr hoch gewesen, jetzt hat sie sich etwas gelichtet. Doch man trifft sie noch, die Damen, die auf korrektes Auftreten großen Wert legen. Auch heute noch geht hier alles deutlich ruhiger zu als in den angrenzenden Kopenhagener Stadtvierteln, Vesterbro und Nørrebro.

Ein wenig Patina hat die vornehme Dame Frederiksberg über die Jahre schon bekommen. Foto: Walter Turnowsky

Hier kann man so richtig in der Nostalgie schwelgen, während man die Straßen entlang flaniert. 

Haus an der Bianco Lunos Allé Foto: Walter Turnowsky

Hinter den Fenstern erspähen wir – erkennbar an der Einrichtung - hier und dort das alte Frederiksberg. Auch Details an den Mauern und in den Hausfluren erzählen von einer weitgehend verschwundenen Zeit.  

Foto: Walter Turnowsky
Nicht alles in vergangen Zeiten war gleich romantisch. Das Gesinde soll bitteschön die Küchentreppe benutzen. Foto: Walter Turnowsky

Die Schule am Grundtvigsvej erinnert uns daran, dass Frederiksberg in keinster Weise nur Vergangenheit ist.

Die Schule am Grundtvigsvej ist vor kurzem deutlich ausgebaut worden. Foto: Walter Turnowsky

Dass Frederiksberg immer auch schon für das Moderne Raum gefunden hat, entdecken wir etwas weiter die Straße entlang. Grundtvigs Have ist 1930 bis 1932 im funktionalistischen Stil erbaut worden, damals war das der letzte Schrei. 

Der Architekt Hans Dahlerup Bertelsen hat den Gebäudekomplex Grundtvigs Have entworfen. Foto: Walter Turnowsky

Über die Bianco Lunos Allé (Hofbuchdrucker Bianco Luno hat die Ecke seinerzeit parzelliert) gelangen wir wieder auf den Gammel Kongevej.

Wenn die Pforte offen ist, schleichen wir uns auch Mal in einen Hauseingang. Foto: Walter Turnowsky

Wir lassen ein wenig die Augen über die Auslagen schweifen, bevor wir auf der Gegenseite in den Mynstersvej einbiegen, um so zur Frederiksberg Allé zu gelangen (Alleen sind auf Frederiksberg keine Mangelware).

Mit den doppelten Baumreihen ist die Frederiksberg Allé großzügig gestaltet. Foto: Walter Turnowsky

Nun müssen wir den Blick nach unten richten. Hier finden wir Abbildungen von Revue- und Theaterschauspielern, die seit 1997 hier mit einer Fliese ausgezeichnet werden.  Denn die Allee war einst eine regelrechte Theatermeile. Das Betty Nansen Teater und Aveny-T gibt es noch. 

Nikolaj Lie Kaas hatte dort eine Fliese bekommen, wo bereits sein Vater auf den den Brettern, die Welt bedeuten, gestanden hat. Foto: Walter Turnowsky

Nikolaj Lie Kaas hat 2005 hier eine Fliese erhalten. Er hat 2011 im Film „Dirch“, eben jenen Komiker Dirch Passer verkörpert, der auf den Bühnen der Allee viele seiner großen Auftritte hatte. Auch Nikolaj Lie Kaas' Vater, Preben Kaas trat hier auf - immer wieder auch gemeinsam mit Dirch Passer.

Eine leere Theaterkasse im Avery-T. Die Premiere des angekündigten Stücks ist vorläufig auf den April verschoben. Foto: Walter Turnowsky

Gleich ums Eck vom Aveny-T finden wir die Kneipe Alleenberg, vielen eher als „Psykopaten“ bekannt. Zu (sehr) später Stunde ist dort schon so manch schwieriges Problem unserer Gesellschaft gelöst worden. Nur hat sich am nächsten Tag keiner so richtig an die Lösung erinnert. Und so sieht die Welt immer noch aus, wie sie eben aussieht. 

Pause unter Frühlingsboten. Foto: Walter Turnowsky

Am Frederiksberg Rundel schnappen wir uns noch schnell ein Coffee-to-Go, den wir in den Frederiksberg Have mitnehmen. Der Garten ist in seiner heutigen Form von König Frederik dem 6. angelegt worden und ist demnach ein wenig größer als der Garten, den man so üblicherweise vor seinem Häuschen hat.

Frederik der 6. lies den Park von einem Barockgarten in einen romantischen umgestalten. Foto: Walter Turnowsky

Nachdem wir uns beim Kaffee gestärkt haben, schlendern wir durch den romantischen Park. Wenn es wieder etwas wärmer ist, können wir uns auch einfach auf dem Rasen niederlassen.

Der Fischreiher muss nun ohne seinen Freund auskommen. Foto: Walter Turnowsky

Bis vergangenes Jahr hätten wir hier auch noch den „Reihermann“ (hejremanden) antreffen können. 21 Jahre lang hat er mit den Fischreihern des Parks gesprochen und sie gefüttert, während sie sich auf seiner Schulter niederließen. Vor einem Jahr hat Slots- og Kulturstyrelsen das Füttern von Vögeln verboten, und er wurde aus dem Park vertrieben. 

Im Frederiksberg Slot am einen Ende des Garten ist seit mehr als 150 Jahren die Offiziersausbildung des Heeres angesiedelt. Foto: Walter Turnowsky

Gartenfreunde sollten unbedingt noch auf dem Weg zurück zur Pile Allé die zierlichen Gärten der Haveselskab besuchen, um Inspiration zu sammeln. 

An der Pile Allé bieten seit Mitte des 19. Jahrhunderts die „kleinen Gärten“ Smørrebrød an. Hier ist selbstverständlich jetzt zu; man wird auch nicht wie abgekündigt zu Ostern öffnen können.

Einen Besuch in einem der Gastgärten sollte man sich schon gönnen, wenn es wieder geht. Foto: Walter Turnowsky

Wenn ihr aber im Sommer kommt, gibt es Hoffnung, dass ihr euch eine „Sildeanretning“, ein „Dyrelægens Natmad“ oder eine Scheibe mit „Gammel Ole“ einverleiben könnt. Nach knapp fünf Kilometern Spaziergang habt ihr euch das verdient.  

Ich hoffe ihr habt den kleinen Spaziergang mit mir genossen und konntet eine kleine Corona-Pause einlegen. Sehen wir uns in vier Wochen wieder? Foto: Walter Turnowsky
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Leitartikel

Anna-Lena Holm
Anna-Lena Holm Hauptredaktion
„Vertrauenskrise in den Medien“