Arbeitsmarkt

Nordschleswigsche Jobzentren trotzen Gegenwind

Nordschleswigsche Jobzentren trotzen Gegenwind

Die nordschleswigschen Jobzentren im Vergleich

Tondern/Tønder
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Im August dieses Jahres waren in Dänemark insgesamt 77.800 Personen auf der Suche nach einer Arbeit. Foto: Thomas Lekfeldt/Ritzau Scanpix

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Während der Beschäftigungsminister Kritik am dänischen Arbeitslosen- und Sozialsystem äußert, herrscht in den nordschleswigschen Kommunen Tondern, Sonderburg und Apenrade hinsichtlich der eigenen Jobzentren Optimismus. Neue Projektideen haben in Tondern zu einer historisch niedrigen Zahl an Sozialhilfeempfangenden beigetragen.

„Ich glaube, dass wir uns eingestehen müssen, dass sich in Dänemark eine Situation entwickelt hat, in der zu viele Bürgerinnen und Bürger Sozialhilfe empfangen, obwohl sie es nicht nötig hätten. Und gleichzeitig gibt es Personen, denen nicht geholfen wird, obwohl dies der Fall sein sollte." So lautete in der vergangenen Woche eine Aussage des dänischen Beschäftigungsministers Peter Hummelgaard (Soz.). Ebenso kritisierten zuletzt mehrfach Politikerinnen und Politiker sowie Medien, dass das dänische Arbeitslosen- und Sozialsystem zu teuer und ineffizient sei, da unter anderem etwa 7.000 Menschen in Dänemark seit mehr als zehn Jahren Sozialhilfe beziehen würden.

Weniger Sozialhilfeempfangende in Nordschleswig

Während sich Beschäftigungsminister Hummelgaard für die Notwendigkeit von grundlegenden Veränderungen im System ausspricht, scheint die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt in den nordschleswigschen Kommunen jedoch von Optimismus geprägt zu sein. Die Zahl der Sozialhilfeempfangenden ist in Apenrade (Aabenraa), Tondern (Tønder), Hadersleben (Haderslev) und Sonderburg (Sønderborg) in den vergangenen Jahren gesunken und nach Aussage der Jobcenter-Chefinnen und -Chefs  sind die Entwicklungen in den Kommunen auch hinsichtlich des Beschäftigungseinsatzes überwiegend positiv. Wie der „Nordschleswiger“ bereits berichtete, hat vor allem die Kommune Apenrade seit dem Jahr 2016 hinsichtlich ihres Einsatzes für mehr Beschäftigung für positive Schlagzeilen sorgen können.

Während die meisten Kommunen seit einer Reform im Jahr 2012 den Gürtel hinsichtlich des Arbeitslosen- und Sozialsystems enger schnallen, hat sich die Kommune Apenrade nämlich für eine andere Strategie entschieden und seit 2016 130 Millionen Kronen in diesen Bereich investiert – mit Erfolg: Mehr als die Hälfte der über 3.000 Personen, die während der vergangenen sechs Jahre von der Kommune Sozialhilfe empfingen, wurde dabei geholfen, Vollzeit- oder Flexjobs zu finden. Dadurch hat Apenrade zurzeit mit etwa 500 Personen eine historisch niedrige Anzahl an Menschen, die Sozialhilfe empfangen.

Sozialhilfe (kontanthjælp) bezeichnet finanzielle Hilfeleistungen für Personen, die nicht dazu in der Lage sind, für den Unterhalt für sich oder ihre Familie aufzukommen. Da einige Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger krankheitsbedingt nicht dazu im Stande sind, einen Vollzeitjob auszuführen, versuchen viele Jobcenter diesen Personen dabei zu helfen, wieder Teil des Arbeitsmarktes zu werden, indem sie in Teilzeit arbeiten dürfen. Wer aber über 40 Jahre alt und zu krank ist, um in einem Vollzeit- oder Flexjob zu arbeiten, hat einen Anspruch auf die Frühpension (førtidspension). 

Arbeitslosengeld (dagpenge) bekommen hingegen Menschen, die normal arbeiten könnten, aber arbeitslos und arbeitslosenversichert (Mitglied einer A-Kasse) sind.

Tondern hat historisch wenig Arbeitslose

Auch in Tondern konnten unter anderem neue, kreative und an Zielgruppen angepasste Projekte dazu beitragen, dass Bürgerinnen und Bürgern hier jetzt noch schneller geholfen wird, einen Job oder eine Ausbildung zu finden. Die Zahl der Arbeitslosen ist von 2019 bis 2021 von 441 auf 398 Personen gesunken. Gleichzeitig ist die Zahl der Personen, die Sozialhilfe empfangen von 502 im Jahr 2017 auf 371 im Jahr 2021 gefallen. Im selben Zeitraum ist auch die Zahl der Menschen, die von der Kommune Ausbildungshilfe bekommt, von 218 auf 176 Personen gesunken. Eine Ursache für die positive Entwicklung ist unter anderem, dass im Tonderaner Jobcenter ebenfalls mehr Menschen geholfen wurde, Flexjobs zu finden. Während 2017 431 Personen in Tondern einen Flexjobs ausübten, waren es 2021 687 Menschen.

Die dänische Flexjob-Regelung   

Flexjobs (dän: Fleksjobs) sind Arbeitsstellen zu Sonderbedingungen mit staatlichem Zuschuss für Personen mit dauerhaften Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit. Die Kommune bietet Flexjobs Personen an, die keine Frührente beziehen, kein Beschäftigungsverhältnis zu normalen Konditionen erreichen oder aufrechterhalten können und bei denen es z. B. auch im Wege der Wiedereingliederung nicht möglich ist, auf dem Arbeitsmarkt zu normalen Bedingungen einen betriebsinternen Arbeitsplatzwechsel vorzunehmen oder sie für eine Beschäftigung zu qualifizieren. (Quelle: Region.dk)

„Wir haben noch nie so wenige Personen in Tondern gehabt, die Sozialhilfe empfangen, wie momentan. Das liegt unter anderem daran, dass auf dem Arbeitsmarkt manche Aufgaben nun von mehreren Menschen mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit geteilt werden, die vorher nur eine Person gemacht hat. Zudem haben wir erfreuliche Veränderungen eingeleitet, indem wir noch engere Verbindungen zu verschiedenen Unternehmen geschaffen haben und die Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern höher priorisieren”, berichtet die Arbeitsmarktchefin der Tonderaner Kommune, Theresé Alette Andersen.

Tondern bekommt zusätzliche finanzielle Unterstützung

Andersen zufolge sei es Tondern in den vergangenen Jahren zudem gelungen, finanzielle Unterstützung für verschiedene Projekte von der dänischen Behörde für Arbeistmarkt und Rekrutierung (Styrelsen for Arbejdsmarked og Rekruttering) zu erhalten – unter anderem um Arbeitslose besser an Unternehmen vermitteln zu können und um die Zusammenarbeit mit Psychiatrien zu stärken, damit Personen mit psychischen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt noch besser geholfen werden kann. Zudem sei auch eine Job-Coachin eingestellt wurden, die sowohl als Sachbehandlerin Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern führt, gleichzeitig aber auch Unternehmenskonsulentin und Mentorin ist. „Wir haben verschiedene Dinge ausprobiert und vor allem mit dem dreifachen Einsatz der Job-Coachin einen riesigen Erfolg erlebt”, meint Andersen.

Lange Bearbeitungszeiten bei Anträgen für die Frühpension

Lediglich bei der Bearbeitung von Frühpensionsanträgen scheint bei einem ersten Blick auf die Zahlen der Tonderaner Kommune Verbesserungsbedarf zu sein. In Tondern ist die Zahl der bewilligten Frühpensionen von 138 im Jahr 2019 auf 51 im Jahr 2021 gesunken. Diese Zahl sei laut Andersen jedoch auch der Tatsache geschuldet, dass mehr Arbeitslose eine Arbeit gefunden haben und dass der Beschäftigungseinsatz der Jobzentren während der Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie zeitweise pausierte.

Die Anzahl der bewilligten Frühpensionen ist in Tondern auch aufgrund der Corona-Pandemie zuletzt gesunken. Foto: Ritzau Scanpix/Free

„Ich habe auch mitbekommen, dass es Debatten darüber gibt, ob lange Bearbeitungsverläufe ein generelles Problem in Dänemark sind. Ich kann natürlich nicht garantieren, dass wir auch längere Bearbeitungsverläufe hatten, aber ich habe das Gefühl, dass das bei uns eher eine Ausnahme ist. Personen, die ein Recht auf die Frühpension haben, wird diese auch bewilligt und das funktioniert bei uns gut”, erklärt Andersen.

Daten der dänischen Behörde für Arbeitsmarkt und Rekrutierung (Styrelsen for Arbejdsmarked og Rekruttering) haben ergeben, dass sich die Zahl der Kranken, die bei einem Frührentenantrag mehr als fünf Jahre auf eine Entscheidung warten müssen, in Dänemark seit 2012 verdreifacht hat. Die Ursache hierfür ist eine 2012 eingeführte Flex-Job- und Frührenten-Reform, die dazu dienen sollte, Geld in der Arbeitsmarktpolitik zu sparen und die Zahl der Frührentnerinnen und -rentner zu reduzieren. Heute gibt es somit keine zeitliche Begrenzung, wie lange die einzelnen Sachbearbeitungen in Jobcentern dauern dürfen.

Kommune Hadersleben will Sachbearbeitungsverläufe kürzen

In Hadersleben hat man keine eigene Investitionsstrategie hinsichtlich des Beschäftigungseinsatzes wie in Apenrade oder Tondern. Hier werden die finanziellen Mittel genutzt, die von der Behörde für Arbeitsmarkt und Rekrutierung (Styrelsen for Arbejdsmarked og Rekruttering) für ganz bestimmte Bereiche bereitgestellt werden. Daher wurde von der Kommune Hadersleben im Jahr 2019 die Entscheidung getroffen, den Gürtel hinsichtlich des Arbeitslosen- und Sozialsystems aus finanzieller Sicht enger zu schnallen. Ein großer Fokuspunkt des Haderslebener Jobcenters ist dennoch, dass Bürgerinnen und Bürger zukünftig kürzeren Sachbearbeitungsverläufen ausgesetzt sein sollen als bisher. Die Zahl der bewilligten Frühpensionen ist in Hadersleben zwar von 2019 bis 2021 von 2.490 auf 2.630 Personen gestiegen, doch im Vergleich mit dem Rest des Landes hinkt Hadersleben bei der Anzahl der monatlich bewilligten Frühpensionen deutlich hinterher.

Eine Entwicklung von 1.132 auf 1.316 Personen hat die Kommune Hadersleben von 2019 bis 2021 hinsichtlich der Personen mit Flexjobs verzeichnet. Während die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger im selben Zeitraum von 828 auf 570 Personen gefallen ist, ist die Zahl der Personen, die Arbeitslosengeld empfing, in diesen Jahren von 209 auf 219 Personen gestiegen.

Viele Personen müssen in Dänemark jahrelang auf Entscheidungen bezüglich ihrer Frührentenanträge warten. Foto: Ida Guldbæk Arentsen/Ritzau Scanpix

Sonderburger Arbeitsmarktchef freut positive Entwicklung”

Der Arbeitsmarktchef der Kommune Sonderburg, Lasse Ahlmann Kamp, freut sich ähnlich wie seine Amtskolleginnen und -kollegen in Tondern und Apenrade über eine „positive Entwicklung” hinsichtlich des eigenen Beschäftigungseinsatzes. In Sonderburg hat man die Zahl der Personen, die Sozialhilfe empfangen, unter anderem durch Flexjob-Angebote von Mai 2020 bis zum selben Monat im Jahr 2022 von 1.718 auf 1.318 Personen reduzieren können. Zwischen Mai 2020 (5.695 Frühpensionen) und dem selben Monat im Jahr 2022 (6.154 Frühpensionen) wurden auch 459 zusätzliche Frührentenanträge bewilligt. Im selben Zeitraum konnte darüber hinaus die Zahl der Personen, die Arbeitslosengeld erhalten, von 1.615 auf 577 Personen reduziert werden.

„Unsere Arbeistlosenrate ist sehr niedrig. Wir haben eine enge Zusammenarbeit mit Unternehmen und Ausbildungsstätten. Auch von politischer Seite wurde sich in Sonderburg in den vergangenen Jahren dafür starkgemacht, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihren Arbeitsplätzen zu behalten und Arbeitslosen zu helfen, schneller passende Jobs sowie Ausbildungen zu finden. Und das ist uns geglückt! Im Grunde genommen erleben wir also eine sehr positive Entwicklung, denn in den vergangenen Jahren haben wir stetig bessere Ergebnisse erzielt”, blickt der Arbeitsmarktchef in Sonderburg auch der Zukunft hinsichtlich des Beschäftigungseinsatzes in der eigenen Kommune optimistisch entgegen.

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