Deutsche Minderheit

25 Jahre Sprachencharta: „Dänemark muss über seinen Schatten springen“

25 Jahre Sprachencharta: „Dänemark muss über seinen Schatten springen“

Sprachencharta: Dänemark muss über seinen Schatten springen

Apenrade/Kopenhagen
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Das zweisprachige Ortsschild von Hadersleben
Das zweisprachige Ortsschild von Hadersleben verschwand so schnell, wie es gekommen war. Heute ist es im Museum ausgestellt − und dort solle es auch bleiben, meinen einige. Foto: Henning Bagger/Ritzau Scanpix

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Vor 20 Jahren hat Dänemark die Charta der Regional- und Minderheitensprachen unterzeichnet. Seither habe es viele positive Entwicklungen gegeben, sagt der Kommunikationschef der deutschen Minderheit. Im Interview schildert Harro Hallmann, warum es dennoch nur langsam vorangeht und zweisprachige Ortsschilder mehr als ein Symbol wären.

25 Jahre ist es her, dass die Charta der Regional- und Minderheitensprachen ins Leben gerufen wurde. Die geschichtlich gewachsenen Sprachen der Minderheiten in Europa werden seit 1998 vertraglich geschützt und gefördert, kulturelle Traditionen und das Kulturerbe Europas gewahrt. Die Charta wurde vom dänischen Parlament am 8. September 2000 ratifiziert und trat zum 1. Januar 2001 in Kraft. Darin erklärte sich Dänemark bereit, weitreichende Bestimmungen des Vertrags auch auf die deutsche Minderheit in Nordschleswig anzuwenden. Das Thema sei weiterhin „groß und wichtig“, so Harro Hallmann, Leiter des Sekretariates des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) in Kopenhagen, im Telefoninterview.

Derzeit passiert ja recht viel: Treffen mit dem neuen Kulturminister Jakob Engel-Schmidt (Moderate), eine Förderung für sechs Kulturprojekte. Wie steht es um die Wünsche des BDN bezüglich der Sprachencharta?

„Manchmal kommt vieles zufällig zusammen. Man kann sagen, dass es vorangeht, aber es geht sehr langsam voran. Weil die für die Sprachencharta zuständige Mitarbeiterin mit anderen Aufgaben betraut wurde, fürchte ich, dass da aktuell nichts passieren wird. Generell sehe ich keine sonderliche Wertschätzung von dänischer Seite für unsere Belange in Bezug auf die Sprachencharta. Dabei wäre das Gegenteil ein Signal vom Staat für die Minderheitenrechte, und man könnte viel daraus machen. So wie aktuell ist es aber immer gewesen, und das ist schade. Wir müssen als Minderheit immer dranbleiben.“

Harro Hallmann (rechts) beim Treffen mit dem neuen Kulturminister Jakob Engel-Schmidt (2. v. r.) am Donnerstag in Kopenhagen. Links BDN-Generalsekretär Uwe Jessen, rechts daneben der Hauptvorsitzende Hinrich Jürgensen. Foto: BDN

Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen

  • Die Sprachencharta wurde im Rahmen des Europarats erarbeitet. 
  • Dänemark hat die Charta am 1. Januar 2001 ratifiziert. Sie gilt für Deutsch in Nordschleswig.
  • Die Charta sieht den „Schutz und die Förderung der geschichtlich gewachsenen Regional- und Minderheitensprachen Europas vor. Ihre Ausarbeitung war zum einen gerechtfertigt durch das Bemühen, die kulturellen Traditionen und das Kulturerbe Europas zu erhalten und weiterzuentwickeln, und zum anderen durch die Achtung des unverzichtbaren und allgemein anerkannten Rechtes, im öffentlichen Leben und im privaten Bereich eine Regional- oder Minderheitensprache zu gebrauchen.“

Quellen: Europarat, BDN

Ist es deshalb der Wunsch, dass der Kontaktausschuss statt ans Kulturministerium direkt ans Folketing angegliedert wird?  

„Ja, wir versprechen uns mehr davon, wenn ein Folketingsmitglied Vorsitzende oder Vorsitzender ist.“

Zurück zur Sprachencharta. Was ist deiner Meinung nach die wichtigste Errungenschaft des Vertrags für die Minderheit?

„Grundlegend bedeuten die von Dänemark übernommenen Verpflichtungen, dass Deutsch in Nordschleswig keine Fremdsprache ist. Dass Vereine heute ihre Satzungen auf Deutsch einreichen können, ist ein großer Erfolg. Mit Blick auf aktuelle Errungenschaften lässt sich ganz klar die gelungene Verhandlung über Kommunikationsmittel in Höhe von 2,4 Millionen Kronen bis 2026 nennen. Das ist klar ein Erfolg, der auf die Sprachencharta zurückzuführen ist. Wir sollten eigentlich einen eigenen TV- und Radiosender bekommen, aber den brauchen wir gar nicht. Wir möchten den Informationseinsatz insgesamt verstärken, und mit dem Geld können wir viel umsetzen.“ 

Die Kommunen verweisen häufig auf die gute Praxis oder betonen, dass schon irgendwer Deutsch sprechen könne, wenn man Kontakt aufnehme. Vielerorts gibt es schon einen Zuzüglerservice in deutscher Sprache. Warum reicht das nicht?

„Zunächst muss man sagen, dass mittlerweile richtig viele Informationen in deutscher Sprache zu finden sind, etwa im Internet. Das ist eine spürbare Verbesserung und eine sehr positive Entwicklung. Gerade im digitalen Bereich hat sich seit Inkraftreten der Charta 2001 viel getan. Bei der deutschen Sprache gibt es in der öffentlichen Verwaltung hier und da aber noch ein paar Baustellen. Vor allem neue Mitglieder haben durchaus Hemmschwellen, irgendwo anzurufen, weil sie nicht wissen, welche Sprache gesprochen wird. Wir hören immer wieder, dass dies fehlt. Wir würden uns wünschen, dass es in jeder Kommune eine feste Telefonnummer gibt, wo man zu festen Sprechzeiten anrufen kann und jemanden erreicht, der Deutsch sprechen kann. Das ist unserer Meinung nach nicht zu viel verlangt. Und auch die Kommunen sind ja im Grunde interessiert an neuen Bürgerinnen und Bürgern.“

Forderungen für die Sprachencharta waren auch der Deutschunterricht und die Gleichstellung. Wie sieht es da aus?

„Dänemark hat die Verpflichtungen im Schulbereich umgesetzt. Das ist im Prinzip gelöst. Ein großer Baustein ist die finanzielle Gleichstellung des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig in Apenrade. Das DGN ist wichtig, weil es auch um viel Geld geht. Darüber hinaus ist die Entwicklung positiv, etwa bei der Forderung, dass Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus Deutsch sprechen können, wenn die Patientin oder der Patient das möchte. Da sind wir sehr zufrieden.“

Zweisprachige Ortsschilder gibt es auf deutscher Seite schon lange – auf Dänisch (Flensburg/Flensborg) oder sogar Friesisch (Bredstedt/Bräist). Dänemark könnte mit der Einführung ein Zeichen setzen, ist Harro Hallmann überzeugt (Archivfoto). Foto: Karin Riggelsen

Noch immer gibt es, und das hat Stefan Seidler vom SSW (Südschleswigscher Wählerverband) am Donnerstag in seiner Rede im Bundestag betont, Stereotype und Vorurteile über Minderheiten. Auch aus Dänemark hört man immer wieder auch mal Negatives über die Minderheit. Wie kann man dem entgegentreten?

„Ein Beispiel wären etwa zweisprachige Ortsschilder. Das wäre eine offizielle Anerkennung und ein symbolischer Akt, welcher auch das Deutsche im öffentlichen Raum sichtbarer machen würde.“

Würde das ein Bewusstsein in der Mehrheitsbevölkerung schaffen?

„Ich glaube schon, dass das Bewusstsein da ist, aber Vorurteilen könnte man mit sowas begegnen. Hier gibt es immer Argumente dagegen, man sei hier schließlich in Dänemark. Es gibt aber eben auch die Minderheit, und die Schilder wären buchstäblich ein Zeichen dafür. Das ist auch eine unserer sprachpolitischen Forderungen. Es gibt sie überall in Europa, aber nicht hier. In Flensburg zum Beispiel seit 2008. Es ist so viel Zeit seit der Besatzung vergangen, dass man bereit sein sollte, über seinen Schatten zu springen.“

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