Minderheitenpolitik

Mehrsprachige Ortsschilder: Das sind die Argumente dafür und dagegen

Mehrsprachige Ortsschilder: Das sind die Argumente dafür und dagegen

Ortsschilder-Debatte: Die Argumente dafür und dagegen

Kerrin Jens und Cornelius von Tiedemann
Apenrade/Flensburg
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Zweisprachige Ortsschilder sind in Nordschleswig bis jetzt nicht durchsetzbar. Foto: Karin Riggelsen

Fakten vs. Gefühle: Warum lässt die Debatte um Schilder immer wieder die Emotionen hochkochen? Eine Flensburger Minderheiten-Forscherin nimmt die beliebtesten Argumente auseinander – und erklärt, worum es wirklich geht.

Ljubica Djordjevic

Ljubica Djordjevic ist leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin am Europäischen Zentrum für Minderheitenfragen (ECMI) in Flensburg. Ihr Forschungsschwerpunkt sind die juristischen Rahmenbedingungen für Minderheitenrechte in Europa, speziell u. a. in Bezug auf Sprache.

Djordjevic hat an der TU Dresden in Jura promoviert. Sie war Dozentin für öffentliches Recht an der Universität von Novi Sad, wo sie der rechtswissenschaftlichen Fakultät vorstand.

Die Debatte über mehrsprachige Ortsschilder läuft dieser Tage in Dänemark wieder heiß. Die deutsche Minderheit in Nordschleswig will sie, einige Politiker wollen sie – und Dänemark hat schon vor Jahren einen internationalen Vertrag ratifiziert, der das Land dazu verpflichtet, sie einzuführen.

Das Problem: In Kopenhagen ist man der Ansicht, dass Ortsschilder eine kommunale Angelegenheit seien. Und bisher hat sich in den grenznahen Kommunen keine Mehrheit gefunden. Dies könnte sich nun ändern – der Haderslebener Stadtrat geht mit einer Abstimmung zum Thema voran.

Die Debatte zum Thema bleibt jedoch vor allem von Emotionen gesteuert. Die leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin des Europäischen Zentrums für Minderheitenfragen (ECMI) in Flensburg, Ljubica Djordjevic, gibt eine wissenschaftliche Einordnung.

Wie wichtig sind Ortsschilder als Zeichen der Anerkennung für Minderheiten?

Laut Djordjevic gibt es zwei wichtige Gründe dafür, dass mehrsprachige Ortsschilder und andere sogenannte „topografische Angaben“ (also ortsbezogene Hinweise) in der Minderheitensprache zum Schutz nationaler Minderheiten gehören.

1. Die Sprache: „Die topografischen Angaben sind eines der Instrumente zum Schutz der Minderheitensprachen. Städtenamen, Straßennamen, Plätze, geografische Orte und so weiter machen die Minderheitensprachen im öffentlichen Raum sichtbar und damit in gewissem Umfang als Teil des lokalen Sprachraums präsent und erkennbar“, sagt Djordjevic.

Ortsschilder zum Beispiel würden also helfen, „Minderheitensprachen aus dem privaten Bereich herauszuholen und sie als Teil des öffentlichen Raums anzuerkennen“.

Dies sei deshalb wichtig, „weil es mit der Tendenz bricht, die Minderheitensprache als Sprache der privaten Kommunikation einer bestimmten Gruppe von Menschen (Personen, die einer Minderheit angehören) zu behalten und anzuerkennen, während die öffentliche, offizielle Kommunikation in der Sprache der Mehrheit erfolgen soll“.

Maßnahmen wie mehrsprachige Ortsschilder „erkennen in gewisser Weise die Minderheitensprache als eine der Sprachen der öffentlichen Kommunikation an“, sagt die Wissenschaftlerin.   

Durch die spezifische Anerkennung der Minderheitensprache werden die Präsenz der Minderheit und ihre Verbindungen mit dem lokalen Gebiet und/oder der breiteren Gemeinschaft anerkannt.

Ljubica Djordjevic

2. Die Symbolik:  „Durch die spezifische Anerkennung der Minderheitensprache werden die Präsenz der Minderheit und ihre Verbindungen mit dem lokalen Gebiet und/oder der breiteren Gemeinschaft anerkannt“, so Djordjevic.

„Auf der symbolischen Ebene zeigen die topografischen Angaben die Vielfalt eines Gebietes und dass dieses Gebiet nicht nur der Mehrheit gehört, sondern ein gemeinsames ,Eigentum' von Mehrheit und Minderheit ist. Die topografischen Angaben zeigen die traditionelle Präsenz einer nationalen Minderheit und ihre Verbindungen zu diesem lokalen Gebiet.“

Ortsschilder „kein Kern des Minderheitenschutzes“

„Topografische Angaben stellen keinen Kern des Minderheitenschutzes dar“, sagt Djordjevic ganz klar. „Fragen, wie die Bildung der Minderheit, die Beteiligung nationaler Minderheiten an öffentlichen Angelegenheiten, der Gebrauch der Minderheitensprache und die staatliche Unterstützung der Minderheitenkultur stehen viel stärker im Mittelpunkt und sind für die Qualität des Minderheitenschutzes von zentraler Bedeutung“, sagt die Serbin.

Interessant sei deshalb, „dass ein Thema, das auf den ersten Blick wie ein Thema von geringer Bedeutung aussieht, Schwierigkeiten, politische Spannungen und Hindernisse für die Umsetzung verursachen kann“.

Dies spiegele sich auch im Wortlaut von Artikel 11.3 des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten (das Dänemark ratifiziert hat) wider, der sehr vage und voller Abstriche und Vorbehalte sei.

 

Weshalb fällt es Mehrheiten in einigen Ländern so schwer, den Minderheiten diese Anerkennung zu gewähren?

Laut Ljubica Djordjevic wird das Aufstellen von Schildern nicht als „rein technische Frage“ wahrgenommen, sondern als sprachlicher, symbolischer Akt interpretiert. „Wenn es um die Sprache geht, könnten einige meinen, dass die offizielle Sprache (d. h. die Sprache der Mehrheit) gefährdet sein kann oder ist, wenn die Minderheitensprache öffentliche Anerkennung erfährt“, so die Forscherin.

Dabei gehe es auch darum, eine Hierarchie aufrechtzuerhalten. 

Das Vorhandensein einer Sprache in einem Gebiet kann als Grund für einige Ansprüche der Sprecher dieser Sprache interpretiert werden.

Dr. Ljubica Djordjevic

Auf der symbolischen Ebene gehe es um „Eigentum und Dominanz“. Dass eine Sprache überhaupt in einem Gebiet vorhanden ist, „kann als Grund für Ansprüche der Sprecher dieser Sprache interpretiert werden“.

Die größte Angst bestehe vor territorialen Ansprüchen wie Grenzveränderungen oder Separatismus. Geschichte und Politik würden stark beeinflussen, wie die Symbolik zum Beispiel von Ortsschildern wahrgenommen werde. Kriege, Besatzung, Grenzverschiebungen, mögliche Spannungen zwischen Mehrheit und Minderheit werden alle auf die Schilder projiziert.

In ganz Europa gibt es mehrsprachige Ortsschilder. Foto: Lana Riedel

Was sind die häufigsten Argumente gegen mehrsprachige Ortsschilder?

„Die Staaten verwenden unterschiedliche Argumente, um das Fehlen topografischer Angaben in den Minderheitensprachen zu rechtfertigen. Sie können argumentieren, dass die Kriterien für das Anbringen von Zeichen nicht erfüllt sind. Zum Beispiel, dass es keine wesentliche Anzahl von Personen, die einer nationalen Minderheit angehören, in dem betreffenden Gebiet gibt, oder es besteht keine ausreichende Nachfrage“, sagt Djordjevic.

Die Gründe können auch verfahrenstechnischer Natur sein: „Wenn die Gemeinde beispielsweise keine formale Entscheidung über topografische Angaben trifft, kann sich die Frage der Zuständigkeit in dieser Hinsicht stellen“, sagt sie.

Manche könnten argumentieren, dass es zu teuer ist, alle Schilder zu ändern und zweisprachig anzubringen; oder es kann festgestellt werden, dass die Schilder ständig zerstört werden und es technisch und finanziell anstrengend ist, sie zu reparieren oder zu ändern.

Dr. Ljubica Djordjevic

„Manche könnten argumentieren, dass es zu teuer ist, alle Schilder zu ändern und zweisprachig anzubringen; oder es kann festgestellt werden, dass die Schilder ständig zerstört werden und es technisch und finanziell anstrengend ist, sie zu reparieren oder zu ändern.“

Und schließlich gebe es „unter all diesen eher formalen Argumenten wesentlichere Gründe, die auf Nationalismus, interethnische Machtverhältnisse und (sprachliche) Dominanz der Mehrheit sowie auf die Angst vor größeren politischen Spannungen, Separatismus und Grenzveränderungen hindeuten“.

Was können Minderheiten entgegnen?

„Wenn es Rechtsmittel gibt, sollten Minderheiten diese nutzen“, sagt Ljubica Djordjevic. „Sie sollten auch alle Kanäle der Beteiligung an der Entscheidungsfindung nutzen und versuchen, in dieser Hinsicht positive Ergebnisse zu erzielen. Sie sollten die Frage auch in die öffentliche Debatte einbringen und sich für das Thema einsetzen.“

Minderheitenorganisationen können sich an der staatlichen Berichterstattung beteiligen oder Schattenberichte über die Qualität des Minderheitenschutzes erstellen und das Thema auf internationaler Ebene zur Sprache bringen.

Dr. Ljubica Djordjevic

„Minderheitenorganisationen können sich an der staatlichen Berichterstattung beteiligen oder Schattenberichte über die Qualität des Minderheitenschutzes erstellen und das Thema auf internationaler Ebene zur Sprache bringen“, sagt die Wissenschaftlerin.

Und sie mahnt auch an, dass Minderheiten bei allem politischen Einsatz nicht nur an sich selbst, sondern auch an andere Gruppen denken sollten: „Eine Minderheit ist auch für den Pluralismus und die Qualität der interethnischen Beziehungen in einer Gesellschaft verantwortlich, und wenn sie ihre Ziele und Ansprüche verfolgt, sollte die Minderheit den Pluralismus, die Achtung der Vielfalt und ihr Engagement für eine breitere Gesellschaft fördern.“

 

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