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Macht Landluft krank? Nordschleswig bei Antidepressiva Spitze

Macht Landluft krank? Nordschleswig bei Antidepressiva Spitze

Nordschleswig bei Antidepressiva Spitze

Apenrade/Aabenraa
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In Nordschleswig werden häufiger Antidepressiva verschrieben als im Rest Dänemarks (Symbolfoto). Foto: Towfiqu Barbhuiya/Unsplash

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In Kopenhagen werden Psychopharmaka gegen Depressionen deutlich seltener verschrieben als im Süden Jütlands. Tondern steht bei den Seniorinnen und Senioren an der Spitze. Das belegen Zahlen der Statistikbehörde. Doch handelt es sich dabei um eine schlechte Nachricht? Eine Datenanalyse.

Triggerwarnung:

Dieser Text beschäftigt sich mit Ängsten. Betroffene oder Menschen, die das potenziell belastet, sollten eventuell nicht weiterlesen. Wenn es dir nicht gut geht, versuche, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen du dich melden kannst.

  • Die dänische Telefonseelsorge „Livslinien“ ist anonym und täglich zwischen 11 Uhr vormittags und 5 Uhr morgens erreichbar unter 70 201 201.
  • Die dänische Depressionshilfe „Depressionsforeningen“ hilft montags bis freitags zwischen 19 und 21 Uhr unter 33 12 47 74.
  • Die deutsche Telefonseelsorge ist ebenfalls anonym und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind (+49) (0) 800 111 0 111 und (+49) (0) 800/111 0 222.

Nordschleswig zählt zu den Gegenden Dänemarks, wo am häufigsten Antidepressiva verschrieben werden. Überhaupt greifen die Menschen in Jütland (Jylland) deutlich häufiger zu Hilfsmitteln gegen Depressionen, als etwa die Menschen in und um Kopenhagen. Das belegen Zahlen, die die Statistikbehörde Danmarks Statistik kürzlich veröffentlicht hat.

Der Unterschied, so die Analyse, habe nichts damit zu tun, dass die Menschen in Kopenhagen wohlhabender oder jünger seien. Auch gleichaltrige und finanziell gleich aufgestellte Bevölkerungsgruppen unterscheiden sich zwischen Hauptstadt und Land recht deutlich, wenn es darum geht, ob sie Antidepressiva nehmen.

Was ist dann der Grund? Eine Spurensuche in Zahlen – ohne eindeutiges Ergebnis. So viel sei bereits eingangs verraten.



Tondern und Hadersleben bei Älteren an der Spitze

Ein Unterschied zieht sich durch das ganze Land: Deutlich mehr Frauen als Männer bekommen Antidepressiva verschrieben. Zwischen 2011 und 2021 waren es 11 bis 13 Prozent der Frauen in Dänemark – und nur 6 bis 8 Prozent der Männer.

Bei den Älteren über 69 Jahren ist Tondern (Tønder) die Kommune mit dem höchsten Verbrauch an Antidepressiva – gefolgt von Hadersleben (Haderslev).

Nordschleswig liegt insgesamt weit vorn in Dänemark, 12 Prozent der Menschen über 18 Jahren haben im Jahr der Erhebung (2021) bereits Antidepressiva verschrieben bekommen in Apenrade (Aabenraa), Hadersleben und Sonderburg (Sønderborg) – in Tondern waren es sogar 13 Prozent. Landesweit sind es 9 Prozent, in vielen Kommunen der Hauptstadtregion hingegen unter 7 Prozent.



Wirkstoffe werden nicht nur gegen Depression eingesetzt

Nun sind Depressionen keine Laune, sondern ernsthafte Erkrankungen, die die Lebensqualität der Betroffenen massiv beeinträchtigen können. Die „schlechte Laune“, die manche als Depression bezeichnen, ist lediglich eines der Symptome, die, wie wir wissen, auch jene manchmal heimsuchen kann, die nicht an einer klinischen Depression leiden.

Antidepressiva werden zudem nicht nur gegen Depressionen verschrieben. Einige der Wirkstoffe helfen auch gegen andere psychische Leiden wie Zwangs- und Panikstörungen, Persönlichkeitsstörungen oder die posttraumatische Belastungsstörung.

Wie diese Erkrankungen in Dänemark verteilt sind, darüber gibt die Analyse keinen Aufschluss. Und sie bleibt auch im Spekulativen, weshalb es solche beachtlichen Unterschiede innerhalb Dänemarks gibt, die sich lediglich auf den Wohnort zurückführen zu lassen scheinen.

Wie Antidepressiva wirken

Forscherinnen und Forschern zufolge sieht es so aus, als würden Antidepressiva das Gehirn zu Veränderungen anregen. Die Gruppe der sogenannten SSRI-Antidepressiva wirkt demnach mit zunehmender Schwere der Depression deutlicher lindernd auf die Symptome. In Bezug auf Depressionen werden allerdings immer wieder Zweifel an der Wirksamkeit der Arzneien laut.

Nachgewiesen ist, dass das Gehirn beginnt, neue Nervenzellen und Verbindungen zwischen Nervenzellen im Hippocampus zu bilden, einem Gehirnbereich, der unter anderem wichtig für unser Gedächtnis ist.

Antidepressiva bewirken auch, dass mehr Signale durch das Serotonin-System des Gehirns gesendet werden, das unsere Stimmung, unseren Appetit, unsere Sexualität und vieles mehr beeinflusst.

Einige Forscherinnen und Forscher glauben jedoch, dass dieser Effekt mit der Zeit verschwindet, da sich das Gehirn möglicherweise an die Wirkung des Medikaments anpasst, indem es die natürlichen Signale im Serotoninsystem verringert.

Antidepressiva können auch beeinflussen, wie empfindlich wir auf das Stresshormon Cortisol reagieren. Die Medikamente erhöhen die Anzahl der Cortisolrezeptoren im Gehirn, wodurch der Körper besser in der Lage ist, das Stresshormon zu unterdrücken. Quelle: Videnskab.dk

Starker Unterschied zwischen Kopenhagen und Jütland

Kann es sein, dass Landluft krank macht? Selbst die Bewohnerinnen und Bewohner der Sonneninsel Bornholm zählen zu jenen, die schon besonders viele Psychopharmaka gegen Depressionen genommen haben. Und Bornholm gehört zur Hauptstadtregion. Da die Regionen in Dänemark für das Gesundheitswesen zuständig sind, deutet somit nichts darauf hin, dass die Hauptstadtregion grundsätzlich seltener Antidepressiva verschreibt.

Doch rufen wir uns den krassen Unterschied zwischen Frauen und Männern beim Konsum von Antidepressiva ins Gedächtnis: Könnte es eine Erklärung sein, dass Frauen eher geneigt sind, sich – auch gegen psychische Störungen – behandeln zu lassen? Und dass Ärztinnen und Ärzte bei Patientinnen eher dazu neigen, Antidepressiva zu verschreiben? Beide Umstände sind hinlänglich belegt.

Kopenhagen
Impft die Kopenhagener Stadtluft gegen Depressionen? Foto: Lindsay Martin/Unsplash

Könnte Ähnliches auch eine Erklärung für den Unterschied zwischen den Landesteilen sein? Sind die Menschen in Nordschleswig vielleicht einfach offener und ehrlicher sich selbst und ihrer Ärztin oder ihrem Arzt gegenüber, als die Kopenhagenerinnen und Kopenhagener es sind? Gestehen diese sich und anderen ihre Störung weniger gerne ein?

Und sind die Medizinerinnen und Mediziner in der Hauptstadt, aus welchen Gründen auch immer, einfach knauseriger beim Ausstellen von Rezepten?

Das alles ist Spekulation. Genauso kann vermutet werden, dass die Nähe zu anderen Menschen in Kopenhagen einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit haben könnte. Schließlich zeigt die Analyse auch, dass Menschen in Paarverhältnissen drastisch seltener Antidepressiva verschrieben bekommen haben als Alleinstehende.

In der Hauptstadt mehr Alkoholprobleme

Wenn wir uns allerdings eine Analyse aus dem Jahr 2015 vom Statens Serum Institut ansehen, lernen wir, dass 2013 in der Hauptstadtregion ungefähr doppelt so viele Menschen wegen Alkoholproblemen in Behandlung waren, wie in der Region Süddänemark. Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt laut Videnskab.dk zudem, dass viele Cannabis nutzen, um damit gegen Depressionen vorzugehen.




Könnte das darauf hindeuten, dass am Öresund einfach öfter Selbstmedikation betrieben wird? Dass etwa Alkohol und andere Drogen missbraucht werden, anstatt professionelle Hilfe zu suchen?

Macht Landluft also gar nicht krank – sondern Stadtluft süchtig? Auch dies wäre eine voreilige Schlussfolgerung. Schließlich kann es zahlreiche Erklärungen für diesen Unterschied bei den Krankenhauskontakten wegen Alkoholproblemen geben, der gar nichts mit dem Umstand zu tun hat, dass Kopenhagen eine Großstadt ist.

Werden ärmere Menschen eher depressiv? Macht Geld gesund?

Die jüngst veröffentlichte Analyse zeigt auch: Wer keine Arbeit hat, bekommt deutlich häufiger Antidepressiva verschrieben.

Doch auch hier ist Vorsicht beim Spekulieren geboten – schließlich hindert die Erkrankung Menschen oft daran, einer geregelten Arbeit nachgehen zu können. Sie werden also möglicherweise gar nicht krank, weil sie keine Arbeit haben, sondern sie haben keine Arbeit, weil die psychische Störung dies nicht zulässt. Daraus folgt, dass Menschen, die Antidepressiva nehmen, im Schnitt deutlich weniger Geld verdienen als Menschen, die sich nicht behandeln lassen.

Ähnlich können wir den Umstand drehen und wenden, dass der Anteil der mit Antidepressiva Behandelten mit dem Grad der Ausbildung abnimmt. Geld macht also nicht unbedingt gesund. Aber wer gesund ist, hat eher Geld.

Übrigens: Die Anzahl der Menschen, die in Dänemark Antidepressiva verschrieben bekommt, ist in den vergangenen zehn Jahren leicht gesunken – in allen Altersgruppen. Weshalb?

Auch auf diese Frage geben die Zahlen keine eindeutige Antwort. Bekannt ist, dass in den vergangenen Jahren mehrere Studien in Dänemark veröffentlicht wurden, die die Wirksamkeit der besonders verbreiteten SSRI-Antidepressiva infrage stellen. Ob sich Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzte davon beeindrucken lassen?

Auch das ist fraglich. Nach einem Rückgang ist der Anteil der Menschen, die Antidepressiva verschrieben bekommen, zuletzt wieder leicht angestiegen.

 

 

 

 

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