Akademie Sankelmark

Helen Christiansen: Das ist die Leiterin des neuen Minderheiten-Netzwerks

Helen Christiansen: Das ist die Leiterin des neuen Minderheiten-Netzwerks

Das ist die Leiterin des neuen Minderheiten-Netzwerks

Lisa Bohlander, shz.de
Oeversee
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Eine waschechte Frisin: Mütterlicherseits hat Helen Christiansen unter anderem Verwandte auf Föhr. Foto: Michael Staudt

Seit Anfang November koordiniert Helen Christiansen das Minderheiten-Kompetenz-Netzwerk für Schleswig-Holstein und Süddänemark. Was bringt sie mit, was treibt sie an?

Als es im vergangenen Jahr für Helen Christiansen von Berlin zurück nach Schleswig-Holstein ging, musste sie bei der Entscheidung zwischen Flensburg und Husum keine Sekunde zögern. Christiansen zog es zurück in ihre Heimat, ins Marschland und ans Wattenmeer. Die knapp anderthalb Stunden, die sie täglich zur Arbeit und wieder zurück nach Husum pendelt, nimmt sie ohne zu murren in Kauf.

Im dänischen Schulsystem aufgewachsen

„Ich bin ein Nordseeküstenkind“, sagt die 29-Jährige mit leicht dänischem Akzent und streicht sich eine unsichtbare Haarsträhne hinters Ohr. Geboren in Niebüll, wuchs Christiansen in Bredstedt auf, lernte Friesisch und Dänisch, zu Hause sprach man Platt.

Sie erzählt mit ruhiger Stimme von Bruchstücken ihrer Kindheit: Sie besuchte die dänische Schule im Ort und das Gymnasium in Tondern, ging zum Germanistikstudium nach Kopenhagen. „Das war naheliegend. Im dänischen Schulsystem bin ich groß geworden und kannte eigentlich auch nur das“, sagt sie, als erzählte sie etwas über die Bedienungsanleitung eines Fernsehgeräts.

Die Kultur, die sie prägte, lebt sie auch. In der Schule lernte Christiansen friesische Bräuche kennen, konfirmiert wurde sie in friesischer Tracht, der „Fering dracht“ – eine absolute Ausnahme auf dem Festland. Christiansen war Mitglied im Jugendverein, verkaufte etwa Punsch beim Biikebrennen. In der nordfriesischen Minderheit – da sei viel ehrenamtliche Tätigkeit.

„Man ist darauf angewiesen, dass sich Leute engagieren. Sonst geht es nicht“, sagt sie, gestikuliert viel mit den Händen von links nach rechts und rechts nach links. Ihre wachen Augen huschen umher, ohne Hektik auszustrahlen.

Aha-Erlebnis mit Richtungsweisung

Ein Austausch in die Türkei legte einen Schalter bei ihr um. „Ich habe da so viele Sachen nicht verstanden, was da passiert“, erzählt sie und erinnert sich an Istanbul als „lebendige Stadt“.

Das Aufeinandertreffen verschiedener Religionen, die lockere und offene Mentalität weckten ihre Faszination für das Land und Türkisch, sodass sie den Masterstudiengang „Middle-East Studies“, also Nahost-Studien, an der Universität Odense wählte.

Die Nordfriesen haben eine sehr starke Identitätskultur, weil man eben so nah am Abgrund ist, dass die Sprache ausstirbt.

Helen Christiansen, Leiterin des Minderheiten-Netzwerks

Sprachen, vor allem das Friesische, nehmen eine besondere Rolle in ihrem Leben ein. Ihre Meinung dazu vertritt sie wortstark: „Die Nordfriesen haben eine sehr starke Identitätskultur, weil man eben so nah am Abgrund ist, dass die Sprache ausstirbt.“

Die Identität und das Bewusstwerden der Sprache spielten immer eine Rolle. Wie sie versucht, ihren Standpunkt in kurzer Zeit zu vermitteln, bei diesem komplexen Thema nach Worten ringt und neu ansetzt, zeigt, wie sehr sie das Thema verinnerlicht hat, wie wichtig es ihr ist. „Es ist ein bisschen schwer zu erklären, wie so etwas passiert.“

Die Friesen – eine Klasse für sich

Ein halbes Jahr lebte Christiansen in Westfriesland in den Niederlanden, um sich nach dem Abitur etwas vom „großen Bruder“ abzuschauen. Nüchtern erzählt sie von einer der ersten Eigenarten, die sie dort lernte:

„Wenn die Westfriesen gefragt werden, wie es ihnen geht, also ‚Hoe giet it mei dy?‘, dann antworten sie: Könnte schlimmer sein“, berichtet Helen Christiansen.

Das Understatement sei verankert bei den Friesen, sagt die Husumerin und wischt sich erneut eine Haarsträhne aus ihrem dunkelbraunen geflochtenen Zopf hinters Ohr. Er reicht ihr den gesamten Rücken hinab. In ihrem schwarzen Kostüm, hellem Shirt und blickdichter Strumpfhose, dazu braune Boots, wirkt Christiansen auf eine Art lässig, auf die andere professionell. Hier, an ihrem Arbeitsplatz in der Akademie, ist letzteres Programm.

Von Ächtung zur institutionellen Förderung

400.000 Menschen sprechen Christiansen zufolge Westfriesisch – nicht nur das macht den Unterschied im Umgang mit der Sprache und Kultur. „Es ist für uns unvorstellbar, dass man in eine Bank geht und auf Friesisch ein Bankgeschäft erledigen kann“, sagt sie mit nicht mehr ganz so ruhiger Stimme.

Unterricht und Initiativen an Schulen und Universitäten geben der Sprache mit geschätzten 10.000 Sprechern dennoch Halt, Ablehnung und Verdrängung durch Platt- oder Hochdeutsch gehen zurück. Christiansen erinnert sich mit leicht bitterem Beigeschmack: Ihre Oma bestand früher darauf, Platt zu sprechen – Friesisch war tabu.

Ob sie noch ihren Arbeitsplatz zeigen könnte? Etwas orientierungslos fragt die kleine robuste Frau nach der Uhrzeit. Sie müsse gleich in eine Online-Konferenz, doch ein kurzer Blick in ihr Büro sei noch drin.

Das Durchgangszimmer im ersten Stock, im frisch renovierten Teil der Akademie Sankelmark, ist mit weißen Wänden und blauem Teppichboden bedeckt gehalten, durch zwei Dachfenster fällt selbst an einem grauen Wintermorgen genügend Licht hinein.

Das flache Regal bei der Tür hat Helen Christiansen mit einer Lichterkette und einer kleinen dänischen Flagge dekoriert, in einem der Fächer findet sich ein laminiertes Infoblatt mit einer Karte von Nordfriesland.

Daneben fließt eine Fahne aus Stoff wie ein Vorhang das Regal hinab. Auf gelb-rot-blauem Untergrund zeigt sie das Emblem mit dänischer Krone, deutschem Bundesadler und einem Grütztopf, darunter der Spruch „Lewer duad üs Slav“ – „Lieber tot als Sklave“. Es ist die Flagge der Nordfriesen, Christiansen findet sie „unglaublich schön“.

Die Fahne der Nordfriesen Foto: Volkert Bandixen

Fragen zu Minderheiten im Grenzland

Als Leiterin des Minderheiten-Kompetenz-Netzwerks (MKN), ursprünglich als Haus der Minderheiten in Flensburg geplant, beantwortet die Nordfriesin jede Frage zu den Minoritäten in Schleswig-Holstein und Süddänemark. Sie vermittelt jedem Orientierungslosen den richtigen Ansprechpartner und gibt jedem Interessierten die Möglichkeit, das Grenzland zu besuchen – „dann schnüre ich ein Minderheitenpaket zusammen“, sagt sie und lächelt verhalten.

Erfahrungen in diesem Bereich sammelte sie schon in Berlin, wo sie für die Jugend europäischer Volksgruppen und das Minderheitensekretariat ähnliche Aufgaben übernahm. Christian Pletzing, der Leiter der Akademie, nennt sie eine Überzeugungstäterin: „Als ich in den ersten Tagen in ihr Büro kam, lag gleich eine Nordfrieslandkarte auf dem Tisch.“

Am Mittag ist ihr Arbeitstag rum, Christiansen macht sich auf den Heimweg nach Husum. Hier lebt sie in einer ehemaligen Fischersiedlung, „eher ländlich“, wie sie sagt. Mehr ist dazu nicht aus ihr herauszuholen. Wenn man sie danach fragen würde, wie es ihr in Sankelmark, bei ihrer Arbeit und mit dem Pendeln geht, würde sie wohl antworten: „Könnte schlimmer sein.“

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