Grenzlandgeschichte

Autorin Juhl: „Dramen, die wirklich passiert sind“

Autorin Juhl: „Dramen, die wirklich passiert sind“

Autorin Juhl: „Dramen, die wirklich passiert sind“

Sonderburg/Sønderborg
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Die Gedenktafel am Gravensteiner Schloss erinnert an Kriegszeiten im Grenzland. Schrifstellerin Pernille Juhl hat unter anderem die dramatischen Begebenheiten um den Gravensteiner Oberst Paludan-Müller in ihrem Roman beschrieben. Foto: Timo Battefeld/Jysk Fynske Medier/Ritzau Scanpix

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Die Tagebücher ihres Großvaters aus dem Ersten Weltkrieg waren für Pernille Juhl die Brücke in eine Karriere als Schriftstellerin. Mittlerweile hat sie mehr als zehn Romane geschrieben, ihr neuestes Werks spielt erneut im Grenzland. Warum spielen ihre Bücher ausgerechnet in Nordschleswig?

Wie war der Alltag im Nachkriegs-Gravenstein? Welche Chancen hat Liebe im Jahr 1944, wenn sich eine dänische Widerstandskämpferin in einen deutschen Soldaten verliebt? Und was tut man, wenn man für ein Land in den Krieg ziehen muss, das man nicht als das eigene empfindet? In ihren Büchern erzählt die 58-jährige Pernille Juhl davon, wie der Erste und Zweite Weltkrieg das Leben der Nordschleswiger geprägt haben. Ihre Geschichten sind ausgedacht, aber so authentisch wie möglich.

Wie bist du darauf gekommen, Romane zu schreiben und die Handlungen im Grenzland anzusiedeln?
„Die Idee, Schriftstellerin zu werden, war keine bewusste Wahl. Ich dachte überhaupt nicht daran, Autorin zu werden. Doch eines Tages saß ich in einem Lehnstuhl und hatte plötzlich die Eingebung, aus den Tagebüchern meines Großvaters einen Roman zu machen. Daraus entstand mein erstes Buch: Vent på mig, Marie.“

Hattest du dich vorher schon mit den Tagebüchern deines Großvaters auseinandergesetzt?
„Nicht besonders. Ich wusste, dass es sie gab. Die Bücher wurden in der Familie immer mal wieder herumgereicht, je nachdem, wer interessiert war. Doch plötzlich war mir klar, dass ich darüber ein Buch schreiben wollte. Und so fing alles an.“

Pernille Juhl lebte in den ersten vier Jahren ihres Lebens in Sonderburg. Foto: Majken Kestner

 

Worüber hat dein Großvater geschrieben – und wo war er im Ersten Weltkrieg stationiert?
„Er lebte in Auenbüll und wurde am 1. August 1914, am ersten Tag der Mobilisierung, eingezogen. Mein Großvater war bis zum Waffenstillstand am 11. November 1918 im Kriegsdienst, in Belgien, an der Westfront und an der Ostfront. Er hat die ganze Härte und Länge des Krieges miterlebt. Und anschließend so gut wie gar nicht darüber gesprochen, so wie viele andere auch nicht. Die Tagebücher sind ein wirkliches Dokument der Weltgeschichte.“

 

Nach dem ersten Buch hast du aber einfach weitergeschrieben – wie kam das?
„Ich habe schlicht und einfach die Passion fürs Schreiben entdeckt! Ich erlebte, was es bedeutet, eine Leidenschaft zu haben. Ich bin voll und ganz im Schreiben aufgegangen und fand es so unglaublich spannend, über Geschichte zu schreiben.“

All deine Handlungen spielen rund um den Ersten und Zweiten Weltkrieg mit Ausgangspunkt in Nordschleswig. Warum gerade das Grenzland?
„Ich habe eine große Familie in Nordschleswig und bin in Sonderburg geboren. Ich habe Verwandte in Arrild, Apenrade und Hadersleben, wirklich überall. Zum einen kenne ich die Region gut, zum anderen hat Nordschleswig nun mal diese ganz besondere deutsch-dänische Geschichte. Die gibt es so nicht im Rest von Dänemark.“

Wie denkst du dir deine Geschichten aus?
„Ein großer Teil meiner Arbeit ist Recherche. Ich arbeite oft mit lokalhistorischen Archiven vor Ort zusammen, um an Augenzeugenberichte und andere Dokumente zu gelangen. Außerdem tausche ich mich mit einer lokalen Bewohnerin aus Auenbüll aus, Birreth Solmer. Meine Geschichten sind ausgedacht – aber sie sind so authentisch wie möglich und so realistisch wie möglich. Die historischen Fakten und Begebenheiten, die die Personen in meinen Romanen erleben, sind wirklich passiert.“

So erleben die Leser ihres neuen Buches „Sara und August“, wie es 1938 Juden gelingen konnte, über das Grenzland nach Dänemark zu fliehen, obwohl die dänischen Grenzen quasi geschlossen waren. Protagonistin Sara flieht aus Berlin nach Apenrade (Aabenraa). Eine andere historische Handlung schildert ein Drama, das sich 1943 in Gravenstein (Gråsten) rund um den Oberst Paludan-Müller am Slotsbakken 1 abspielt. Der dänische Oberst widersetzt sich der Verhaftung der Gestapo – und verliert dabei sein Leben.

„Ich beschreibe die Dramen, die wirklich passiert sind“, sagt Pernille Juhl, die bei Roskilde lebt.

So wie ich es erlebe, wird dieses Ziehen von Grenzen und Identitäten immer weniger. Früher war das ja ganz anders – da gab man seine Zugehörigkeit ja schon dadurch preis, wo man einkaufte. Das ist zum Glück vorbei. Heute leben wir in einer Zeit, in der ein Mensch ein Mensch ist.

Pernille Juhl, Schriftstellerin

 

Kannst du dir vorstellen, zurück nach Nordschleswig zu ziehen?
„Prinzipiell ja, ich finde es dort wunderschön. Aber mein Mann arbeitet in Nordseeland, und da wäre es schwer zu pendeln. Ich habe in Sonderburg gelebt, bis ich vier Jahre alt war, und dann sind wir nach Fünen gezogen. Meine Mutter hat ihr Sønderjysk mitgenommen und beibehalten.“

Kannst du von deinen Büchern mittlerweile leben?
„Es ist ja immer die Frage, wie man leben will. Der durchschnittliche Jahresverdienst für Schreibende liegt in Dänemark bei rund 200.000 Kronen. Das erreiche ich schon, aber davon kann und will ich nicht leben. Und ich arbeite neben meinem Schreiben gerne als Konsulentin, da die Arbeit mehr nach außen gewandt ist, als die Arbeit als Schriftstellerin. Daher bin ich nebenbei weiter in meinem Beruf als Beraterin tätig.“

Spielt die deutsche Minderheit in Nordschleswig eine Rolle in deinen Büchern?
„Ja, denn wenn es eine Grenze gibt, findet sich auch immer eine Minderheit. Daher ist das absolut ein Teil meiner Romane. So wie ich es erlebe, wird dieses Ziehen von Grenzen und Identitäten immer weniger. Früher war das ja ganz anders – da gab man seine Zugehörigkeit ja schon dadurch preis, wo man einkaufte. Das ist zum Glück vorbei. Heute leben wir in einer Zeit, in der ein Mensch ein Mensch ist. Aber wir sind und bleiben Teil dieser Geschichte.“

Das neue Buch von Pernille Juhl, „Sara og August“, erscheint am 20. Januar. Es ist die Fortsetzung des Romans „Dagmar og Johannes“ und erzählt die Geschichte der Familie Holmgreen. Weitere Informationen zur Autorin und ihren Werken unter www.pernille-juhl.dk.

Über zehn Romane hat Pernille Juhl bislang veröffentlicht. Foto: Per Søgaard
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