Leitartikel

„Beim Klima zählt die gesamte Treibhausgas-Bilanz“

Beim Klima zählt die gesamte Treibhausgas-Bilanz

Beim Klima zählt die gesamte Treibhausgas-Bilanz

Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

„Nordschleswiger“-Redakteur Volker Heesch blickt auf den Wirbel um Transportminister Benny Engelbrecht (Sozialdemokraten). Dieser wird wegen fehlender Information der Unterstützerparteien der Regierung über zusätzlichen Kohlendioxidausstoß als Konsequenz der vielen Autobahn-Neubaustrecken und -brücken im Infrastrukturplan 2035 kritisiert.

In diesen Tagen berichten die dänischen Medien über heftige Angriffe der linken Unterstützerparteien auf den sozialdemokratischen Transportminister Benny Engelbrecht. Der Vorwurf lautet, er habe sie vor der breiten Einigung auf das 160 Milliarden Kronen teure Konzept Infrastrukturplan 2035 hinters Licht geführt. Dabei geht es um Berechnungen, welche klimaschädlichen Auswirkungen vor allem die im Milliardenkonzept enthaltenen neuen Autobahnen, Schnellstraßenbrücken und Erweiterungen von Straßen nach sich ziehen werden.

Die Unterstützerparteien zeigten sich sehr erzürnt darüber, dass sie nach eigener Einschätzung dem Infrastrukturplan mit Aussichten auf mehr klimafreundliche Bahnstrecken, Ausbau des Radwegenetzes und Verringerung des Einsatzes von Transportmitteln mit Verbrennungsmotoren zugestimmt haben, allerdings ohne die Informationen über zusätzlichen klimaschädlichen Effekt vor allem bei der Durchführung der vielen Vorhaben zum Ausbau des Straßenverkehrs in dem als Beitrag zum Klimaschutz aufgetischten Plan.

Inzwischen bittet Benny Engelbrecht die um den Klimaschutz besorgten Unterstützerinnen und Unterstützer der Regierung um Entschuldigung. Die Zahlenwerke zum Kohlendioxidausstoß habe es gegeben, aber sie seien nicht präzise genug gewesen. Das Fachorgan „Ingeniøren“ hat die Sache aufgedeckt.

Allerdings darf auch daran erinnert werden, dass die jetzt so erzürnten Parteien Einheitsliste und Sozialistische Volkspartei bereits bei der Präsentation des Infrastrukturplans der Regierung im April 2021 ebenso wie unabhängige Fachleute kritisiert hatten, dass die darin präsentierten Straßenbauprojekte wie eine dritte Querung des Limfjordes, ein gigantischer Straßentunnel in Aarhus und Straßenerweiterungen an heutigen Straßenverkehrsengpässen zu mehr Ausstoß von Treibhausgasen führen werden.

Es hieß zwar in der Mitteilung zur breiten Einigung über das Ausbauprogramm im Juni, dass es keine Kompromisse hinsichtlich der Klimaschutzziele gebe. Doch selbst als normaler Bürger kann man sich ausrechnen, dass zwar in Dänemark in den kommenden Jahren vermehrt elektrische Autos die Straßen bevölkern werden, aber nach wie vor der Grundsatz gelten wird, dass dort, wo neue Straßen entstehen, ein zusätzliches Verkehrsaufkommen zu erwarten ist.

Und angesichts des großen Bestandes an Verbrennern auf den Straßen wird es noch lange viel Treibhausgas geben. Das verrät allein schon ein Blick auf die vielen recht neuen SUV-Autos im Königreich.

Wer bei den vielen Klimaschutz-Informationen der vergangenen Jahre aufgepasst hat, sollte auch wissen, dass allein der viele Beton bei Verkehrsbauwerken einen riesigen Fußabdruck in der dänischen Klimabilanz hinterlassen dürfte, denn die Herstellung des Baumaterials erfordert viel Energie. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass durch Bebauung von Natur viel Kohlendioxid freigesetzt wird, denn oft werden dabei Moore und Flächen mit Humus zerstört, in denen Kohlendioxid zuvor gespeichert war. Bei einer solchen Herangehensweise sollte auch ein Fragezeichen hinter die gigantischen Metro-Bauten in Dänemark gesetzt werden.

Angesichts der Pläne, den Auto-Straßenverkehr in den kommenden Jahren zu verringern, wozu wird sonst überhaupt mit Milliardensummen für mehr und schnellere Züge jongliert, könnte in den Großstädten wohl öfter eine billige Straßenbahn den gleichen Effekt geben wie eine Metro. In Hamburg kursieren Berichte, dass eine neue elektrische Untergrundbahn erst nach 100 Jahren Betrieb den Treibhausgasausstoß wieder einfährt, der zum Bau der Bahnstrecke im Tunnel erforderlich gewesen ist. Es gilt die Erkenntnis, dass der Klimaschutz nur Fortschritte erlebt, wenn die gesamte Treibhausgas-Bilanz stimmt.

Leider sind in Dänemark viele Menschen nicht bereit, den eigenen Klima-Fußabdruck zu erkennen. Typisch ist, dass die Regierungschefin bei der Präsentation neuer Pläne für die Gewinnung grüner Treibstoffe ausgerechnet vorschlägt, diese für „umweltfreundliche“ Inlandsflugverbindungen zu verwenden, die im Mini-Land Dänemark bestimmt durch elektrische Züge ersetzt werden könnten. Vielleicht hilft der jüngste Wirbel um Benny Engelbrecht, dass endlich eine ehrliche Infrastrukturpolitik betrieben wird, in der die Mittel effektiv für funktionierende, klimaschonende öffentliche Verkehrsmittel als Alternative zu Autos und Flugzeugen verwendet werden. 

Mehr lesen