Fahrradkonferenz

Was es braucht, damit Dänemark wieder Fahrradnation wird

Was es braucht, damit Dänemark wieder Fahrradnation wird

Was es braucht, damit Dänemark wieder Fahrradnation wird

Kopenhagen
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Radfahrende
Radfahrende an einer Kreuzung Foto: Jens Hasse, Cyklistforbundet

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Was muss getan werden, damit wieder mehr Menschen auf das Rad steigen? Mit dieser Frage haben sich Politikerinnen und Politiker sowie Expertinnen und Experten auf einer Fahrradkonferenz auf Christiansborg in Kopenhagen befasst. Das Ergebnis: Es braucht Geld, Steueränderungen und mutige Kommunen, die mit besonderem Engagement vorangehen.

„Radfahren kann dabei helfen, einige der Herausforderungen der Gesellschaft zu bekämpfen“, sagt Rasmus Prehn (Soz.), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Folketing, in seiner Eröffnungsrede zur Fahrradkonferenz am Dienstagnachmittag auf Christiansborg und zeigt sich begeistert von dem regen Interesse. Schon im Vorfeld waren die Plätze im Landstingssaal ausgebucht und die Warteliste dennoch lang. Prehn macht deutlich, welche Vorteile das Radfahren habe und spricht etwa die Entlastung des Gesundheitssystems, das Klima und auch die ökonomischen Gründe an. 

In drei Themenblöcken unter dem Motto „Flere skal cykle mere“ (Mehr sollen mehr Rad fahren) erörtern Expertinnen und Experten, Politikerinnen und Politiker an diesem Nachmittag in kurzen Beiträgen und Diskussionsrunden, was es braucht, um wieder mehr Menschen auf das Fahrrad zu bekommen. Wie schafft man es, bis 2030 den Radanteil um 20 Prozent zu steigern? Was braucht es, um das Fahrrad für Kinder und Jugendliche wieder zu einem „coolen“ Transportmittel zu machen? Und was können Arbeitgebende tun, damit mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Auto aufs Rad umsteigen?

Fahrradkonferenz
Voller Saal bei der ersten nationalen Fahrradkonferenz Foto: Gerrit Hencke

Eine schwarze und eine grüne Rede

Der Chef des dänischen Fahrradverbands (Cyklistforbundet), Kenneth Øhrberg Krag, zeichnet zu Beginn das Bild vom Fahrradland Dänemark. Er beginnt mit einer Anekdote, angelehnt an Thomas Vinterbergs Film „Festen“. Øhrberg Krag hält eine schwarze und eine grüne Rede, denn es gibt gute und schlechte Nachrichten bezüglich des Radverkehrs in Dänemark. Er beginnt mit den schlechten.

So zeigen die Zahlen, dass immer weniger Menschen in Dänemark mit dem Rad fahren. Insbesondere Kinder fahren immer seltener damit zur Schule, sagt er. Waren es vor Jahren, als er selbst noch zur Schule radelte, 7 von 10, sind es heute noch 4 von 10.

Regierung fehlt eine Strategie

Die schwarze Rede handelt von ambitionierten Kommunen und Unternehmen, die laut Krag durch Steuerregeln ausgebremst werden. Und sie handelt auch von der gestiegenen Verkehrssicherheit auf den Straßen, von der Radfahrende und zu Fuß Gehende jedoch nicht profitieren. Der Regierung wirft Øhrberg Krag einen fehlenden Plan, eine fehlende Strategie vor. 

Kenneth Øhrberg Krag
Kenneth Øhrberg Krag, Direktor des Radfahrerverbands (Cyklistforbundet) Foto: Cyklistforbundet

Dänemark soll wieder führende Radnation werden

Doch es gebe auch gute Nachrichten. Zeit für die grüne Rede. So habe die Tour de France im vergangenen Jahr eine neue Begeisterung für das Radfahren losgetreten. Kickstarter für das heutige Treffen sei das Cykeltopmøde gewesen, so Krag. 31 Organisationen hätten damals festgehalten, es bis 2030 zu versuchen, den Radverkehr um 20 Prozent zu steigern.

„Es gibt mutige Kommunen, wie Kopenhagen, Odense, Aarhus, Aalborg oder Frederiksberg, die dem Radverkehr mehr Platz einräumen und das Tempo reduzieren“, sagt Krag. Jetzt brauche es mutige Politikerinnen und Politiker, die das Radfahren etwa durch Steuererleichterungen und bessere Infrastruktur fördern, so der Vorsitzende des Verbands. So würde Dänemark wieder eine führende Fahrradnation werden.

Thomas Danielsen vergleicht Radfahren mit Sex

Transportminister Thomas Danielsen (Venstre) spricht anschließend ein Grußwort. Er beginnt mit einem abgewandelten Zitat des damaligen Direktors der Gesundheitsbehörde, Søren Brostrøm. Der sagte während der Corona-Pandemie den legendären Satz „Sex ist gut, Sex ist gesund, die Gesundheitsbehörde steht hinter Sex“ und gab damit quasi eine Erlaubnis, Sex mit Fremden zu haben. Und so sagt Danielsen in die Runde: „Radfahren ist gut, Radfahren ist gesund. Das Transportministerium steht hinter dem Radfahren.“

Ein Grund für das Zweirad sei, dass sich immer weniger Menschen bewegen und Krankheiten wie Diabetes auf dem Vormarsch sind. Das belastet das Gesundheitssystem. Dabei betont Danielsen den gesellschaftsökonomischen Nutzen des Radfahrens, das den Staat jährlich Geld spart. 6 Kronen je Kilometer sind es. Beim Pedelec immerhin noch 4 Kronen.

Gründe für das Radfahren, die mehrere Rednerinnen und Redner an diesem Nachmittag betonen. Etwa Karsten Lauritzen, Branchendirektor bei DI Transport, der eindrückliche Zahlen präsentiert: Geht der Radverkehr um 10 Prozent zurück, bedeutet dies 2,5 Milliarden Kronen mehr Ausgaben im Gesundheitssektor, außerdem 102.000 mehr Krankheitstage jährlich.

Radfahren, das Schweizer Taschenmesser

In seinem späteren Wortbeitrag vergleicht Jens Peter Hansen, Vorsitzender des Radfahrerverbandes, das Radfahren mit einem Schweizer Taschenmesser. Neben der Gesundheit helfe es, Jobs zu kreieren, den CO2-Ausstoß zu verringern, somit die Luftqualität zu steigern und am Ende Hektik und Lärm zu reduzieren. 

Gegen Automobilismus vorgehen

Doch zurück zu Danielsen. Der betont, dass die Regierung 3 Milliarden Kronen bis 2030 in die Infrastruktur stecken würde. Mit der Fahrradstrategie würde man entsprechende Impulse setzen. Das Geld solle klug und smart eingesetzt werden. Dabei helfe auch das nationale Wissenscenter zur Fahrradentwicklung, das im März 2022 ins Leben gerufen wurde. „Mit dem Wissen müssen wir entscheiden, wie wir das Geld optimal einsetzen und den Kampf gegen den Automobilismus aufnehmen“, so der Transportminister. Seit dem Jahr 2000 sei die Zahl der Autozulassungen um 20 Prozent gestiegen.

„Die meisten Strecken unter fünf Kilometer sind praktisch Fahrradtouren“, sagt er. Und so müsse man die Zuteilungskriterien für die Mittel eventuell neu bewerten. Wie eine neue nationale Fahrradstrategie aussehen könnte, das seien Fragen, die gemeinschaftlich beschlossen werden müssen. Dabei gebe es Unterschiede zwischen Stadt und Land, Jungen und Alten, Privathaushalten und Gewerbe, zwischen Tourismus und dem Pendeln.

2.275 Kilometer Radwege fehlen

Jens Peter Hansen offenbart allerdings ein generelles Problem für einen 20-Prozent-Boost für den Radverkehr: Im ganzen Land fehlen Radwege an Staatsstraßen. „Wir haben ausgewertet, dass rund 1.275 Kilometer Radwege an Landesstraßen fehlen“, so Hansen. Dort können Radfahrende nicht sicher unterwegs sein. Zusätzlich fehlten rund 1.000 Kilometer Radwege, die in und aus den 26 am meisten überlasteten Städten führen. Das zu ändern koste einen zweistelligen Milliardenbetrag, so Hansen. Das sei mit den veranschlagten 3 Milliarden Kronen bis 2030 weit entfernt von einer Realisierung.

Wunsch nach Mindestüberholabstand

Abhilfe schaffen könnte ein gesetzlicher Mindestabstand beim Überholen, wie es ihn in anderen Ländern bereits gebe. „Dies zu ändern kostet nichts, nur politischen Willen“, betont Hansen.

Ideen und Projekte in Kommunen

Kommune Aalborg baut Brücken

Wie eine Verkehrswende angegangen werden kann, zeigen Projekte aus der Kommune Aalborg. Bürgermeister Lasse Frimand Jensen (Sozialdemokratie) berichtet von diversen Projekten in Stadt und Umland – von Übungsplätzen für die Kleinsten, dem Umsetzen nationaler Kampagnen wie „Alle børn cykler“, autofreien Zonen rund um die Schulen, Servicestationen für Fahrräder im Stadtgebiet und neuen Elektrobussen, in denen die Fahrradmitnahme für Menschen mit Pendler- oder Schülerkarten kostenlos möglich ist. Außerdem hebt er das Projekt „Kulturbroen“ hervor. Die Eisenbahnbrücke verbindet die beiden Teile der Stadt. Ein zwei Meter breiter Radweg ermöglicht Radfahrenden das sichere Überqueren des Limfjords, getrennt von den Gleisen.

Zusätzliche Anreize sollen Tempo-30-Zonen und Fahrradstraßen schaffen. Mit Erfolg, berichtet Frimand Jensen.

Gute Infrastruktur fördert Radverkehr

Dass attraktive Infrastruktur den Anteil an Radfahrenden erhöht, berichtet auch Troels Andersen. Er ist Projektentwickler in der Kommune Odense, wo durch einen sogenannten Superfahrradweg (Supercykelsti) der Radverkehr in dem Bereich um 40 Prozent zugenommen hat. Gleichzeitig sei der Autoverkehr um 25 Prozent zurückgegangen.

Kinder und Jugendliche sollen mehr Rad fahren

Nach einer Diskussionsrunde geht es im zweiten Block weiter. Das Thema: Wie bekommt man Kinder und Jugendliche dazu, wieder mit dem Rad zur Schule zu fahren?

Niels Sandø Pedersen von der Gesundheitsbehörde berichtet, dass Radfahren zur Schule viele Vorteile biete. „Es bedeutet Freiheit für das einzelne Kind, weniger Verkehr und Lärm rund um die Schulen, und das Rad ist meist schneller als andere Transportformen.“ Je älter Kinder werden, desto weniger fahren sie mit dem Rad, zeigt Pedersen die Ergebnisse einer Analyse. „Das ist die verkehrte Richtung.“ Es bedürfe struktureller Veränderungen und auch Veränderungen der Gewohnheiten.

Jeppe Thiesen, Landeschef von Novo Nordisk, sieht Dänemark in einer guten Ausgangsposition. Dennoch gebe es große Herausforderungen – nicht nur infrastrukturell. Die Rolle der Eltern spiele eine große Rolle, ob Kinder und Jugendliche aktiv sind. Ein Problem sei, dass das Radfahren „nicht mehr cool“ ist. „Wir müssen etwas tun, dass es wieder cool wird“, sagt er.

Morten Brønnum Andersen, Chefberater bei Danske Regioner, zeigt in einer Analyse, dass unter 3.000 befragten 15- bis 25-Jährigen 53 Prozent das Rad nicht zum Pendeln nutzen. 42 Prozent radeln nicht mal in der Freizeit. Dabei sind sich 88 Prozent einig, dass das Rad als Transportmittel gut geeignet ist. Die Zahlen zeigen für alle Regionen, dass nur wenige das Rad für den Weg zur Schule, zur Uni oder zur Arbeit nutzen. Im ländlichen Süddänemark sind es beispielsweise nur 26 Prozent.

Projekt: Radfahren als Teil des Unterrichts

Ein Praxisbeispiel kommt von Kennet Hallgren, Schulleiter der Taastrup Realskole. Dort lernen schon die Kleinsten das Radfahren im Rahmen des Unterrichts. Einmal die Woche geht es auf Radtour. Dabei wird das richtige Verhalten im Straßenverkehr und in der Gruppe geübt. Nach dem dreimonatigen Lehrgang geht es auf eine längere Tour von rund elf Kilometern zum Tierpark Ishøj. Außerdem gebe es einen Schulwettbewerb unter den Klassen, wer am meisten mit dem Rad fährt. Immer wieder seien attraktive Preise zu gewinnen.

Auch ein Konzept mit sogenannten „Fahrradfreunden“ wird ausprobiert, damit Schülerinnen und Schüler den Schulweg nicht alleine bewerkstelligen müssen. Zudem gebe es eine Fahrradwerkstatt. „Dass der Verkehr rund um die Schule nicht sicher ist, ist die Schuld der Eltern“, sagt Hallgren. Mit dem Projekt soll die Zahl der Elterntaxis reduziert werden. „Das Fahrrad muss genauso zum Schulalltag gehören wie die Federmappe.“

Fahrradleasing ein großer Wunsch

Im dritten Block geht es abschließend darum, wie Arbeitgebende ihre Angestellten dazu bewegen können, das Fahrrad dem Auto vorzuziehen. Dabei fällt immer wieder das Thema Steuern. Während es in anderen Ländern Leasing-Modelle wie etwa Jobrad oder Jobbike gibt, womit sich über den Bruttolohn und den Arbeitgebenden ein Fahrrad finanzieren lässt, ist sowas im Fahrradland Dänemark bisher nur diskutiert worden.

Karsten Lauritzen, Branchendirektor bei DI Transport, betont: „Wir müssen das Steuersystem klug nutzen.“ Denn mehr Fahrräder auf den Straßen bedeuten auch einen wesentlichen Beitrag für die grüne Umstellung. Und es bedeute ebenfalls mehr Platz auf den Straßen für die, für die das Rad keine Alternative ist. Das betrifft etwa den ÖPNV oder auch den Lkw-Verkehr.

Das belgische Modell als Vorbild?

Søren de Place Knudsen, Marketingleiter Norden bei Stromer-Bike, berichtet in seinem Wortbeitrag vom Belgischen Modell. Belgien sei ebenfalls eine Fahrradnation. Dort seien das Wetter mild, die Wege gut und das Land flach. 80 Prozent der Menschen hätten weniger als 30 Kilometer zur Arbeit.

Es gebe außerdem eine Infrastruktur, die S-Pedelecs zulasse, weshalb deren Zahl seit 2014 deutlich zugenommen habe. Diese Pedelecs unterstützen den Fahrer oder die Fahrerin bis zu einer Geschwindigkeit von 45km/h und sind daher besonders für das Langstreckenpendeln als Autoersatz interessant.

Das Fahrrad-Leasing sei dort normal und Radfahren werde von vielen Unternehmen bezuschusst, so de Place Knudsen. Für die Arbeitgebenden sei das Angebot kostenneutral. „Dein neues Auto ist ein Fahrrad“, müsse das Motto daher auch in Dänemark sein.

Steuersystem bremst mehr Radfahrten

Pernille Bonne Neising, Managerin Öffentlichkeitsarbeit bei der Salling Group, berichtet über die Angebote ihrer Unternehmensgruppe, die fast 60.000 Mitarbeitende hat. Mit Kampagnen und einem Fahrradverleih versuche man an den beiden Hauptstandorten, die Mobilitätswende im Unternehmen anzutreiben. Mitarbeitende können Pedelecs, Ladegerät und Helm kostenfrei leihen. Das Angebot werde vor allem von Frühjahr bis Herbst genutzt. Auch Neising betont, dass die Steuerregeln hier einem Stock zwischen den Speichen gleichen, denn eine längere Ausleihe ist nicht möglich, ohne dass auf die Angestellten Abgaben zukommen. Dies konterkariere den Gesundheitseinsatz.

Janne Kallestrup von der Kommune Aarhus berichtet abschließend, welche Pläne es gibt, die Mitarbeitenden zum Umdenken zu bewegen. Denn die Kommune will bis 2030 CO2-neutral sein. „Wir müssen gute Bedingungen schaffen, damit das Rad eine attraktive Alternative ist.“ Ein Vorhaben sei es, dass künftig alle beruflichen Fahrten der Kommune unter 20 Kilometern mit dem Rad erledigt werden. Auch Kallestrup befürwortet Steuererleichterungen. So sei ein Hindernis, dass viele Arbeitnehmenden Steuern zahlen müssten, würden sie ein von der Arbeit gestelltes Fahrrad von zu Hause aus nutzen. Dabei seien 21 bis 26 Prozent der 7.500 Angestellten im „fahrenden Bereich“ motiviert, vom Auto auf ein Fahrrad oder Pedelec umzusteigen, sofern sie es von zu Hause aus nutzen dürfen.

Radfahren rückt auf der Tagesordnung nach vorne

Wie es nun weitergeht und ob Steuererleichterungen und Förderungen vielleicht schon 2024 kommen, fragt ein Zuhörer in der abschließenden Diskussionsrunde. Wie ein dänisches Modell, um das Radfahren weiter zu fördern, aussehen könne. Dazu beziehen Thomas Jensen (Sozialdemokratie) und Peter Juel Jensen (Venstre) Stellung, die als Mitglieder des Transportausschusses anwesend sind. Jensen verspricht zwar keine schnelle Umsetzung, weil das von vielen Faktoren abhängig sei, sagt aber wohl: „Wir sind besser dabei als noch vor ein paar Jahren.“ Und Peter Juel Jensen: „Das Thema kommt immer höher auf die Tagesordnung.“ Es sei schwer, dass die Politik zu all den Vorteilen, die das Radfahren bringe, Nein sagt.

Die Konferenz kann auf der Webseite des Folketings nachgeschaut werden. Die Präsentationen der Vortragenden finden sich hier

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Kulturkommentar

Meinung
Erik Becker
„Haie und Reißverschlüsse: Auf Dänemarks Straßen“