Kulturkommentar

„Wie künstliche Intelligenz den Minderheiten helfen kann“

Wie künstliche Intelligenz den Minderheiten helfen kann

Wie künstliche Intelligenz den Minderheiten helfen kann

Apenrade/Aabenraa
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KI-generiert: Ein futuristisches Innovationszentrum, umgeben von digitalen Datenströmen, das die Hoffnung und den Fortschritt für Minderheitensprachen im digitalen Zeitalter symbolisiert. Foto: DALL-E/Der Nordschleswiger

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Digitaler Wandel: Wie bleibt die Vielfalt unserer Sprachen und Kulturen in einer zunehmend digitalisierten Welt erhalten? Ein neues Zentrum in Dänemark regt Cornelius von Tiedemann dazu an, auf innovative Methoden ein Licht zu werfen, mit denen Minderheiten dem Trend der sprachlichen Angleichung entgegenwirken können. Er schildert, wie Projekte anderswo es schaffen, Minderheitensprachen online eine Stimme zu geben.

Dänemark bekommt ein neues Innovationszentrum für Künstliche Intelligenz (KI). Das liegt dann leider nicht in Nordschleswig. Doch der Impuls ist auch für uns hier wichtig. 

Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Denn es ist gerade für uns als Minderheit von Vorteil, sich in einer Gesellschaft zu bewegen, die beim Thema KI vorn mitmischt. 

Digitaler Fortschritt und Minderheitenschutz

Autochthone Minderheiten sind überall durch schleichende Angleichung (Assimilation) herausgefordert. Der digitale Sprachverlust kann diesen aus Sicht der Minderheiten negativen Trend drastisch beschleunigen. Doch ausgerechnet die KI kann hier helfen.

Minderheitenkulturen haben nämlich ein digitales Problem, das auch digital gelöst werden kann: Die Vormachtstellung der Mehrheitssprachen („Dominanzkultur“) potenziert sich online, wenn Angehörige von Minderheitenkulturen sich der Bequemlichkeit und Effizienz halber an mehrheitssprachliche Angebote halten. Und wenn Softwarelösungen und Online-Inhalte im privaten, öffentlichen und beruflichen Umfeld nicht vollumfänglich in Minderheitensprachen angeboten werden.

Ein Beispiel sind die KI-Sprachmodelle (wie das bekannte ChatGPT). Sie beschleunigen bisher leider den Vorsprung der großen Mehrheitssprachen, der sogenannten Dominanzkulturen in der digitalen Welt. Und damit in unserem Alltag. 

Die Herausforderungen digitaler Assimilation

Je mehr die Modelle mit einer bestimmten Sprache gefüttert werden, desto mehr lernen sie in dieser Sprache, Wortvorhersagen zu generieren und so eine Grundlage für eine möglichst natürliche Sprachausgabe und ein möglichst reibungsloses Verständnis natürlicher Sprache zu schaffen. 

Für kleine Sprachen und Kulturen kann das zum Problem werden, wenn ihre Sprecherinnen und Sprecher nicht vorausschauend handeln. 

Erfolgsbeispiel Baskenland

Im Baskenland ist dies geschehen. Dort gibt es bereits seit Jahrzehnten (!) das Baskische Zentrum für Sprachtechnologie, an dem inzwischen 73 Menschen tätig sind. Dort wird sichergestellt, dass die digitale Datengrundlage für die baskische Sprache und somit Kultur ständig auf alle möglichen Bereiche erweitert wird. 

Das heißt, dass Forschung, Wirtschaft und Kultur auch in einer digitalen Gegenwart und Zukunft auf Baskisch stattfinden kann. Ein neues eigenes Sprachmodell ist jüngst lanciert worden. Das Zentrum arbeitet aber auch mit Giganten wie Google zusammen und füttert die Übersetzungsfunktion aktiv mit Daten, damit Baskisch in Google auf Augenhöhe mit Englisch oder Spanisch funktioniert. 

Nur ein Detail der Arbeit dort, aber ein wirklicher Clou: Nutzerinnen und Nutzer, die im Baskenland leben und im Internet auf Spanisch oder Französich nach Inhalten suchen, weil sie davon ausgehen, in diesen dominanten Sprachen bessere Ergebnisse angezeigt zu bekommen, werden dank der Zusammenarbeit des Zentrums mit Google trotz der Suche in einer Mehrheitssprache von der Suchmaschine primär auf baskischsprachige Inhalte verwiesen. 

Somit lebt die baskische Kultur auch online – und widersteht dem Druck der exponentiell wachsenden digitalen Vormacht der Mehrheitssprachen. 

In unserem Falle ist das mit Deutsch kein großes Problem. Es ist eine der großen Sprachen. Doch was ist mit dem Wissen über die nordschleswigsche Tradition und Kultur? Und was sollen die Friesinnen und Friesen sagen, die Sorbinnen und Sorben und sogar die Dänischsprachigen? 

Hoffnung durch Innovation

Das Innovationszentrum macht hier Hoffnung. Denn je besser KI auf Dänisch funktioniert, desto reibungsloser funktionieren deutsch-dänische Schnittstellen. Halten wir uns vor Augen: Die deutsche Minderheit bezieht sich schließlich immer auch auf den dänischen Kontext, der sie umgibt. Ihre Kultur ist existenziell mit der dänischen Kultur verwoben.

Gerade in kulturellen Kontexten kann KI nützlich sein für Minderheiten. Das hat auch der Europarat in einem Bericht erkannt. Etwa dadurch, dass Daten strukturiert werden oder kulturelle Inhalte maschinell übersetzt. Ganz naheliegend ist hier ein Blick auf die Arbeit im Deutschen Museum und Archiv in Sonderburg, aber auch in anderen Kultureinrichtungen. 

Auch im wissenschaftlichen und grenzüberschreitenden Austausch kann KI helfen, das mehrsprachige Leben im Grenzland geschmeidiger zu gestalten. Wenn etwa Datenbanken und Technologien über Länder- und Sprachgrenzen hinweg genutzt werden können und Englisch plötzlich gar nicht mehr unbedingt als „Zwischensprache“ benötigt wird. Man denke auch an die öffentliche Verwaltung – und das Bildungswesen! 

Clever sein – Minderheiten können das

Und na klar, auch beim Kulturträger „Nordschleswiger“ kann die KI uns Dinge ermöglichen, die früher nur größeren Medien möglich waren. Das ist ein ganz eigenes Kapitel. 

Ja, die großen Medienhäuser haben auch hier eine dominante Position und viel mehr Mittel, um KI nutzbar zu machen. Aber macht uns das Angst? Keineswegs. 

Es bedeutet letztlich doch nur, dass sie Produkte entwickeln werden, von denen wir „Kleinen“ jene, die funktionieren, für uns anpassen und optimieren können. Wenn wir wach sind und mit der Zeit gehen.

Und wenn wir den Ideenreichtum und den Verve, die der Herzschlag für Minderheit und Grenzland uns bescheren, auch ins Zeitalter der KI mitnehmen.

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