Krieg in der Ukraine

„Es klingt wie ein Hollywood-Film, aber es ist die Realität – leider“

„Es klingt wie ein Hollywood-Film, aber es ist die Realität – leider“

„Es klingt wie ein Hollywood-Film, aber es ist Realität“

Hadersleben/Haderslev
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Seit knapp vier Jahren lebt die Ukrainerin Viktoriia Yakymchuk zusammen mit ihrem Mann in Hadersleben. Dies ist ein Foto aus Tagen, als die Welt noch in den Fugen war. Foto: Privat

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Wie ist es, aus der Ferne mitverfolgen zu müssen, wie im eigenen Heimatland Krieg ausbricht? Viktoriia Yakymchuk aus Hadersleben macht diese Erfahrung gerade am eigenen Leib durch. Im Interview mit dem „Nordschleswiger“ hat die junge Ukrainerin über ihre Ängste und Hoffnungen, aber auch über ihre Schuldgefühle in dieser Zeit gesprochen.

„Für uns sind es sehr düstere Tage“, sagt Viktoriia Yakymchuk. Die 25-jährige Ukrainerin wohnt seit knapp vier Jahren mit ihrem fünf Jahre älteren Mann Andrii Shevchenko in der Domstadtkommune und kann das, was in ihrem Heimatland gerade vor sich geht, nur schwer begreifen.

„Ich kann nachts nicht schlafen. Ich habe zum Glück ein paar Tabletten bekommen, die gegen die Angst helfen.“ Seit dem Einmarsch der russischen Truppen in den frühen Morgenstunden des 24. Februar herrscht dort Krieg. „Am meisten Sorgen mache ich mir um meinen kleinen Bruder“, erklärt Viktoriia Yakymchuk.

Hiobsbotschaften aus der Heimat

„Er ist gerade erst erwachsen geworden. Aber eigentlich nur auf dem Papier. Er hat noch nicht so viel gesehen in seinem Leben“, sagt die Wahl-Haderslebenerin über ihren 18-jährigen Bruder, der in Lwiw (Lemberg) im Westen der Ukraine studiert.

Er darf nun das Land nicht mehr verlassen, weil er als 18-Jähriger im Fall des Falles für den Kriegsdienst gebraucht wird – eine Anordnung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Ich bin froh, dass ich arbeiten gehen kann. Wenn ich zu Hause die Nachrichten anschaue, bin ich nur am Weinen.

Viktoriia Yakymchuk

„Wir hatten vor zwei Wochen noch überlegt, ob wir ihn zu uns holen, doch zum einen haben wir geglaubt, dass es so schlimm nicht kommen würde, und zum anderen hat mein Bruder keinen international gültigen Pass“, erzählt Viktoriia Yakymchuk am Freitagabend, als sie in der „Nordschleswiger“-Redaktion in Hadersleben für ein Interview vorbeischaut.

Die Anspannung, Unruhe, und Ungewissheit der vergangenen beiden Tage sind ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie sieht erschöpft aus. „Ich bin froh, dass ich arbeiten gehen kann“, sagt sie. „Wenn ich zu Hause die Nachrichten anschaue, bin ich nur am Weinen.“ Immer wieder erhält sie Updates von Freunden und Verwandten aus der Ukraine, die sie über die aktuelle Lage auf dem Stand halten. „Das löst so viele Gefühle aus, dass kann sich keiner vorstellen, der das nicht selbst erlebt hat.“

Dabei hofft sie nur eines, wenn sie auf ihr Handy schaut: Dass dort keine Nachricht von ihrem Bruder auftaucht mit den Worten „Ich muss in den Krieg ziehen“. „Ich warte eigentlich nur darauf. Wobei warten vielleicht der falsche Ausdruck ist. Ich denke eigentlich immer nur, lieber Gott, vielleicht kommt die Nachricht nicht heute, nicht jetzt.“

Die Hoffnung nicht aufgeben

Auch um die Familie ihres Mannes und ihre gemeinsamen Freunde habe sie Angst, so Yakymchuk. „Meine Freunde sitzen auf gepackten Koffern, jederzeit bereit, in den Bombenkeller zu gehen oder das Land zu verlassen, sollte der Präsident dazu auffordern“, berichtet die 25-Jährige.

Zuletzt haben Viktoriia Yakymchuk und ihr Mann Andrii Shevchenko ihrem Heimatland im September 2021 einen Besuch abgestattet. Foto: Privat

Während Yakymchuk selbst in Slawuta im Nordwesten der Ukraine aufgewachsen ist, stammt ihr Mann Andrii Shevchenko aus Tscherkassy, einer Universitätsstadt mit rund 286.000 Einwohnern im Zentrum der Ukraine. In Großstädten wie diesen sei die Lage besonders gefährlich, meint die 25-Jährige. „Wir haben dort teilweise Gebäude mit 50 Stockwerken. Da reicht es schon, wenn zehn Kilometer entfernt eine Bombe hochgeht, und die Häuser fallen zusammen.“

Doch noch gibt die Ukrainerin die Hoffnung nicht auf, dass alles gut wird und das Schlimmste abgewendet werden kann, nicht zuletzt dank des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: „Ich finde unser Präsident ist der beste Präsident, den wir in den vergangenen 20 Jahren gehabt haben. Er gibt uns Macht, er spricht mit uns und er erinnert uns daran, dass wir nicht aufgeben sollen. Die Ukraine ist auch demokratisch. Wir sind ein freies Land wie alle anderen Länder in Europa auch. Wieso sollten wir einen Teil unseres Landes an Russland abgeben?“

Noch behaupte Putin zwar, er wolle nicht die gesamte Ukraine besetzen, sondern mit den Gebieten Donezk und Luhansk nur das nehmen, was historisch gesehen zu Russland gehört. Doch das Problem sei, so Yakymchuks Einschätzung: „Wenn Europa nichts sagt, wenn die ganze Welt schweigt, dann geht er einfach weiter.“ Sie habe sich einige Interviews mit dem russischen Präsidenten angeschaut und könne das Gesehene kaum glauben: „Ganz ehrlich, ich glaube er ist geisteskrank. Er sagt Dinge, die einfach nicht in unsere moderne Gesellschaft passen. Das ist nicht normal.“

Kämpfen für das Heimatland

Wenn es hart auf hart komme, und in der Ukraine mehr Soldaten gebraucht werden, wolle ihr Mann daher in sein Heimatland zurückgehen, erzählt Viktoriia Yakymchuk. Noch könne er dort ohne militärische Ausbildung nicht viel ausrichten, aber sollte sich die Lage verschlechtern, sei er fest entschlossen, wie viele andere im Ausland lebende Ukrainer auch, zurückzukehren und als freiwilliger Soldat sein Land zu verteidigen. „Mein Mann sagt, ihm wäre es peinlich hier in Dänemark zu bleiben, wenn wir in der Ukraine eigentlich vor Ort gebraucht werden“, erzählt Yakymchuk.

Ich wäre jetzt lieber bei meiner Familie. Das ist der Moment, in dem man denkt, ich sollte nicht hier sein, ich sollte dort bei ihnen sein.

Viktoriia Yakymchuk

„Natürlich versuchen wir Geld zu schicken an den Fonds, der den Soldaten zugutekommt. Aber das ist nicht genug“, findet auch die 25-Jährige, die in Hadersleben in einem Blumenladen jobbt und mittlerweile fließend Dänisch spricht. Sollte ihr Mann in die Ukraine zurückkehren, um in den Krieg zu ziehen, dann werde sie mit ihm gehen. „Natürlich gehe ich mit. Ich kann nicht hierbleiben. Mein Mann meint zwar, ich soll nicht mitkommen, weil ich eine Frau bin, aber das ist mir egal. Wenn ihm dort etwas passiert, wie soll ich dann mein Leben hier in Dänemark weiterleben? Das ist unmöglich“, sagt sie niedergeschlagen und fügt hinzu: „Es klingt wie ein Hollywood-Film, aber es ist die Realität – leider.“

Es ist allerdings nicht nur die Aussicht, alleine in einem fremden Land leben zu müssen, die sie zu dieser Entscheidung bewegt. Auch rein praktisch wäre es für die Ukrainerin eine Herausforderung, ohne ihren Mann in Dänemark zu bleiben. Denn ihre Aufenthaltsgenehmigung laufe über sein Visum, wie sie erklärt: „Ich gehe zwar arbeiten, aber ich verdiene nicht genug, um alleine hier leben zu können. Theoretisch müsste ich daher spätestens drei Monate nach meinem Mann ebenfalls ausreisen.“

Eine Problematik, mit der sich viele in Dänemark lebende Familien mit ukrainischer Staatsangehörigkeit konfrontiert sehen, und für die sie auf Nachsicht vom dänischen Staat hofft, meint Yakymchuk. Doch auch wenn sie derzeit in Dänemark und damit in Sicherheit ist, freuen kann sie sich darüber nach eigener Aussage nicht: „Ich wäre jetzt lieber bei meiner Familie. Das ist der Moment, in dem man denkt, ich sollte nicht hier sein, ich sollte dort bei ihnen sein.“

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