Covid-19

Der Ansturm auf die „Wunderpille“ bleibt aus

Der Ansturm auf die „Wunderpille“ bleibt aus

Der Ansturm auf die „Wunderpille“ bleibt aus

Hadersleben/Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
Eine Impfung ist nach Auffassung von Experten immer noch die wirksamste Waffe im Kampf gegen Covid-19. Foto: Ute Levisen

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Am Wochenende hatte die dänische Gesundheitsbehörde grünes Licht für das Covid-Medikament mit dem Wirkstoff Molnupiravir gegeben. Der von Ärzten befürchtete Ansturm bleibt aus. Zunächst als Wunderpille gegen Corona gehypt, stellen aktuelle Studien dessen Wirksamkeit infrage. Im Haderslebener Ärztehaus an der Norderstraße herrscht Erleichterung.

„Die Welt spielt verrückt“, sagt der Allgemeinmediziner Hans-Iver Kley kopfschüttelnd.
Am vergangenen Wochenende hatte die dänische Gesundheitsbehörde grünes Licht für die Verabreichung des Covid-Medikaments mit dem Wirkstoff Molnupiravir durch Hausärzte gegeben – entgegen dem Rat von Expertengruppen – und obwohl die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) das Medikament noch nicht zugelassen hat. Die EMA hat bislang lediglich Richtlinien erarbeitet.

Molnupiravir war das erste Mittel gegen Covid, das mit dem Virus infizierte Menschen in Risikogruppen als Tablette einnehmen können. Schwere Verläufe sollten damit in hohem Maße verhindert werden. Zu diesem Fazit kamen zumindest erste vielversprechende Studien.

Die anfängliche Begeisterung ist längst verflogen. Dänische Infektionsmediziner bezweifeln gar die Wirksamkeit der als „Wunderpille“ gehypten Pille aus dem Hause Merck & Co. Auch warnen sie vor Risiken und Nebenwirkungen.

Erleichterung an der Norderstraße

Der von Hausärzten befürchtete Ansturm auf die Corona-Pille ist ausgeblieben. Vor diesem Hintergrund herrscht Erleichterung im Ärztehaus an der Haderslebener Norderstraße: „Wir hatten bislang nicht eine Anfrage“, sagt Allgemeinmediziner Hans-Iver Kley.

Kley und seine Kollegen hatten nach dem grünen Licht der dänischen Gesundheitsbehörde einen regelrechten Run auf die Merck-Tablette befürchtet, deren Verschreibung den Hausärzten nach eingehender Patientenberatung obliegt. Die Ärzte sehen sich angesichts der bislang unsicheren Datenlage in einem ethischen Dilemma.

Allgemeine Verwunderung

Der Haderslebener Arzt ist nicht der Einzige, der sich daher über den Kurs der Gesundheitsbehörde wundert. Hatte diese doch den Rat ihrer Expertengruppe, bestehend aus Fachmedizinern und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, „überhört“.

Die Fachleute hatten ihre Besorgnis mit Blick auf die Merck-Pille in der Fachzeitschrift für Ärzte „Ugeskrift for Læger“ veröffentlicht, nachdem sie die Datenlage mit vornehmlich europäischen Probanden ausgewertet hatten. Die Testpersonen hatten sich mit der Deltavariante infiziert. Überrascht stellten die Experten fest, dass das Präparat keine Wirkung hat. Im Gegenteil: Sie ermittelten sogar einen nummerisch negativen Effekt.

Risiken und Nebenwirkungen

Professor Jan Gerstoft, Infektionsmediziner am Kopenhagener Rigshospital, befürchtet vor diesem Hintergrund, dass große Gruppen von Menschen mit einem Medikament von zweifelhafter Wirksamkeit behandelt werden – obwohl es verschiedene Behandlungsangebote gebe, deren Effekt bereits dokumentiert sei.

Zudem hatten internationale Experten schon früher auf das Risiko verwiesen, dass der Wirkstoff den regulären Kopierprozess von Erbmaterial in Zellen stören und dadurch Gendefekte auslösen könnte. Auch Krebserkrankungen könnten hervorgerufen und nicht zuletzt das Entstehen neuer Virusvarianten möglicherweise begünstigt werden, hatten zudem einige Fachleute gewarnt.

Hans-Iver Kley reagiert erleichtert angesichts des ausbleibenden Ansturms auf Mercks Tablette. (Archivfoto) Foto: Annika Zepke

Expertenrat stößt auf taube Ohren

Ungeachtet dessen kauft Dänemark groß ein: 450 Millionen Kronen sollen in den kommenden beiden Jahren in Corona-Pillen investiert werden.

Oberärztin Hanne Rolighed, Vorsitzende der Expertengruppe, die nicht nur „Danske Regioner“, sondern auch die Gesundheitsbehörde berät, nimmt in dem Fachblatt für Ärzte kein Blatt vor den Mund. Es sei eine „merkwürdige Situation“: „Wir finden, es ist schon sehr befremdlich, dass man in diesem Fall unseren Rat in den Wind geschlagen hat.“

Mehr lesen