Grenzkontrollen

Vorgehen „illegal“: Scharfe Kritik am dänischen Justizministerium

Vorgehen „illegal“: Scharfe Kritik am dänischen Justizministerium

Vorgehen „illegal“: Kritik am dänischen Justizministerium

Nordschleswig/Brüssel
Zuletzt aktualisiert um:
Kontrollen an der Grenze zu Dänemark. Foto: Karin Riggelsen

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Nachdem „Der Nordschleswiger“ und andere Medien sich Akteneinsicht verschafft haben, wächst der Druck. Sowohl die Begründung als auch die Effektivität der Grenzkontrollen sind, auch nach Einschätzung von Expertinnen und Experten, zweifelhaft. Überdies berichtet „Føljeton“ vom Versuch des Justizministeriums, die Akten nicht herauszugeben.

Nachdem „Der Nordschleswiger“ Akteneinsicht über die Grenzkontrollen beim Justizministerium beantragt hat, melden sich nun auch andere Medien in der Sache zu Wort. Hintergrund war, dass nicht nur wir, sondern auch sie es genauer wissen wollten. Wie effektiv sind die Grenzkontrollen? 

Auch das digitale Nachrichtenmagazin „Føljeton“ hat um Akteneinsicht gebeten. Aus dem aktuellen umfassenden Beitrag auf foljeton.dk berichten die Kollegen vom Versuch des Justizministeriums, die Akteneinsicht nicht nur hinauszuzögern, sondern auch zu vermeiden. 

Generell gilt: Die gesetzliche Frist zur Beantwortung von Anträgen auf Zugang zu Dokumenten liegt bei höchstens sieben Arbeitstagen. Die vom „Føljeton“ am 8. August 2022 angeforderten Unterlagen seien jedoch erst am 22. September ausgehändigt worden. 

Laut der Redaktion vertröstete das Ministerium die Journalistin Emma Louise Stenholm mehrfach. Eine SMS, von der „Føljeton“ dem Bericht einen Screenshot beifügt, zeigt den Versuch eines Pressesprechers des Ministeriums, die Akteneinsicht abzuwenden. Statt der Akteneinsicht wird vorgeschlagen, dass noch in derselben Woche eine Erklärung abgeben werden kann, wenn die Akte fallen gelassen wird.

„Føljeton“ nahm das so verstandene Angebot nicht an und fragte Sten Bønsing, Professor für Verwaltungsrecht an der Universität Aalborg, nach einer Einschätzung dieses Vorgehens.

Dieser sei sich sicher, dass dieses Vorgehen nicht nur falsch, sondern auch illegal sei.

„Es besteht kein Zweifel daran, dass man den Zugang zu Dokumenten nicht aushandeln kann.(...) Das verstößt gegen die Regeln, nach denen die Behörden handeln können.“

Warum ist das wichtig?

Dieses Vorgehen ist keine Lappalie und bestätigt nur eine Vermutung: Die Grenzkontrollen sind ineffektiv und wenn das publik wird, wächst der Druck, diese Maßnahme fallen zu lassen. 

„Føjleton“ suchte nach einer juristischen Einschätzung der Begründung für eine Verlängerung der Grenzkontrollen. 

Einzige mögliche Maßnahme?

Bereits am 1. Oktober 2019 bewertete die Polizei, dass die Grenzkontrollen „einen Schutz gegen die Einreise von Ausländern, die die Einreisebedingungen nicht erfüllen, und von Ausländern, die möglicherweise beabsichtigen, in Dänemark schwere organisierte Kriminalität oder Terrorismus zu begehen, darstellen könnte. Auch die nationale Reichspolizei ist der Meinung, dass eine vorübergehende Grenzkontrolle eine sicherheitsfördernde und präventive Wirkung haben könnte“.

Bei der Akteneinsicht stellte sich heraus: Das 21-seitige Dokument enthält keine Informationen darüber, ob und welche alternativen Methoden zu Grenzkontrollen in Betracht gezogen wurden. Dass die alternativen Methoden bereits geprüft wurden, wird seitens der EU jedoch ausdrücklich gefordert.

In diesem Zusammenhang wird in der Akte lediglich ein Schreiben der schwedischen Regierung beschrieben, in dem es heißt, dass „andere Maßnahmen als unwirksam erachtet werden“.

Die eigentliche Bewertung ist jedoch nicht verfügbar, und die dänische Akte enthält auch keine Vorschläge für alternative Maßnahmen und deren Auswirkungen.

Schwammige Sachlage

Jurist Bugge Thorbjørn Daniel von der Universität Süddänemark (SDU) hat die Akte gesichtet und hält es laut „Føljeton“ für möglich, dass Alternativen tatsächlich nicht geprüft wurden, obwohl dies erforderlich ist. Dass man die EU-Kommission in dieser Sache belogen hat, halte er jedoch für unwahrscheinlich. 

Nach seiner Ansicht sei diese schwammige Sachlage darauf zurückzuführen, dass die Bewertung „etwas weich formuliert“ wurde und an „ziemlich klare“ Fakten geknüpft ist. Es gebe daher keinen eindeutigen Verstoß gegen Schengen. 

Der österreichische EU-Forscher Stefan Salomon von der Universität Amsterdam, der im April die österreichischen Grenzkontrollen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) kippen ließ, stimmte dieser Einschätzung zu. Er hält es grundsätzlich für möglich, dass auch die dänischen Grenzkontrollen das Potenzial hätten, vom Europäischen Gerichtshof gekippt zu werden. 

Begründung sei „lächerlich“

Seiner Einschätzung nach würden sowohl die früheren Erklärungen als auch die aktuelle Erklärung der dänischen Regierung, dass Putins Mobilisierung in der Ukraine eine Bedrohung für Dänemark darstellen würde, nicht die Anforderung, konkret und damit nicht abstrakt zu sein, erfüllen.

Sie seien gar „lächerlich“: „Eine Mobilisierung ist eine Bedrohung für die Ukraine. Wenn es sich um eine konkrete Bedrohung für Dänemark handelt, sollten sie konkrete Hinweise darauf haben“, sagt Stefan Salomon gegenüber, „Føljeton“.

Und selbst wenn die angegebene Bedrohung der inneren Sicherheit vorliegen würde: Die Regierung müsse im Sinne der Verhältnismäßigkeit nachweisen können, dass die Grenzkontrolle die einzige wirksame Maßnahme ist und andere weniger restriktive Maßnahmen nicht möglich seien. 

Zweifel an der Effektivität

Im Fall Österreich hätten die Richter jedoch nach der tatsächlichen Effektivität gefragt. Also danach, wie viele mutmaßliche Terroristen tatsächlich an der Grenze erwischt wurden. 

Kurzum lautet Salomons Einschätzung: Wenn Dänemark die Effektivität nicht nachweisen kann, hätte eine Klage vor dem Gerichtshof gute Chancen. 

Salomon betont außerdem die Rolle des EuGH als sozialer Akteur, der den Kontext des Falls berücksichtigen wird. Also die Auswirkungen von Grenzkontrollen auf die Freizügigkeit und die dänische Wirtschaft.

Dazu seien auch offizielle Statistiken, zum Beispiel zur Anzahl der Pendlerinnen und Pendlern im Grenzland, hilfreich. Anhand solcher Statistiken ließen sich die Kosten der Grenzkontrollen leicht berechnen. Hinzu kommen die tiefen Ressentiments der Menschen auf beiden Seiten der Grenze.

Zwei konkrete Knackpunkte

Insgesamt scheint es zwei konkrete Knackpunkte zu geben:

Erstens ist die Erklärung, warum die aktuelle Lage und konkret die Mobilmachung Putins nun eine Bedrohung für die innere Sicherheit Dänemarks darstellen sollte, unschlüssig.

Und zweitens müsste Dänemark nachweisen können, dass die Grenzkontrollen effektiv sind. Sprich: Sie sollten Fälle nachweisen können, bei denen die Grenzpolizisten dank der Kontrollen verhindert hätten, dass eine Terrorgefahr ins Land gelangt.

 

Mehr lesen