Schengen
EU-Kommission will Grenzkontrollen kippen
EU-Kommission will Grenzkontrollen kippen
EU-Kommission will Grenzkontrollen kippen

Die Gründe für die bewachten Übergänge fallen weg, wenn die EU-Außengrenzen schärfer bewacht werden, heißt es aus Brüssel. Die Kommission will nicht länger davor zurückschrecken, Abweichler zu verklagen.
Wer von Süd- nach Nordschleswig fährt, hält seit nunmehr viereinhalb Jahren die Papiere bereit, weil an der deutsch-dänischen EU-Binnengrenze kontrolliert wird. Der offizielle Grund: Terrorismusgefahr.
Mit diesem Grund hat die dänische Regierung, seit die Begründung der sogenannten Flüchtlingskrise nicht mehr ausreichte, die EU-Kommission seit Jahren dazu gebracht, die Kontrollen immer wieder zu verlängern. Zwischenzeitlich diente auch die Corona-Pandemie als Grund, die Grenzen sogar fast komplett abzuriegeln.
Doch auch nach der Rückkehr zur „Normalität“ im Grenzverkehr haben die Kontrollen an den größeren Grenzübergängen in Nordschleswig stationären Charakter – mit Containern und Zelten für die Polizisten und Soldaten.
Brüssel will gegen Kontrollen vorgehen
Damit könnte allerdings bald Schluss sein. Denn die EU-Kommission ist nicht länger gewillt, Ausnahmen für die Personenkontrolle an Binnengrenzen zuzulassen, wenn keine wirklich außergewöhnlichen Situationen vorliegen.
„Vorübergehende Kontrollen dürfen nur unter außergewöhnlichen Umständen eingesetzt werden, und zwar um auf Situationen zu reagieren, die die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit ernsthaft gefährden. Sie sind als letztes Mittel gedacht und sollten nur so lange andauern, wie die außergewöhnlichen Umstände fortbestehen“, heißt es in einer Mitteilung der Kommission zum neuen EU-Migrations- und Asylpaket.
Seit 2016 Kontrollen zwischen Süd- und Nordschleswig
Die Freizügigkeit der Menschen im Schengenraum bezeichnet die EU-Kommission darin als „politisches Gebot“.
Ein Gebot, an das sich unter anderem Dänemark und Deutschland in den vergangenen Jahren nicht immer gehalten haben – allerdings mit Erlaubnis der EU-Kommission. Dänemark kontrolliert seit Anfang 2016 durchgehend Einreisende zumindest „stichprobenartig“.

Andresen: Nicht erst auf beschlossenes Paket warten
„Es ist zwar erfreulich, dass die Kommission ankündigt, den Grenzkontrollen an den inneren Grenzen Europas ein Ende zu setzen, aber die Initiative kommt viel zu spät“, sagt denn auch der grüne Europaparlamentarier Rasmus Andresen aus Südschleswig.
„Die Grenzkontrollen dürfen an sich maximal sechs Monate dauern. Dänemark hat sie also nur seit 2016 durchführen können, weil die Kommission jahrelang zwei Augen zugedrückt hat. Man hätte bereits vor Jahren mit der gleichen Begründung den Grenzkontrollen ein Ende setzen können“, so Andresen weiter.
Er fordert deshalb rasches Handeln: „An den dänischen Grenzen herrscht schon länger kein großer Migrationsdruck. Es gibt also schon lange keinen stichhaltigen Grund, wie ihn EU-Recht fordert, der die Aufrechterhaltung von Grenzkontrollen an der deutsch-dänischen Grenze rechtfertigt. Die Kommission muss jetzt so schnell wie möglich unabhängig vom Migrationspakt die Grenzkontrollen beenden."
Jurist: Keine Grundlage für Kontrollen mehr
Sollte das nicht geschehen, könnten die Pläne der Kommission, nachdrücklicher auf das „politische Gebot“ der Freizügigkeit zu drängen, sprich: Schengen-Staaten zu verklagen, die aus der Reihe tanzen, durchaus für ein Ende der Grenzkontrollen mitten im ehemaligen Herzogtum Schleswig führen, meint derweil der Experte für EU-Recht von der Uni Aarhus, Graham Butler.
Dem Online-Magazin „Altinget.dk“ sagt er, es sei ein Punkt erreicht, an dem es keine objektive Grundlage mehr gebe, die Grenzkontrollen aufrecht zu erhalten und die freie Beweglichkeit von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital zu bremsen.

Kommission: Wer sich nicht an Schengen hält, wird verklagt
Die EU-Kommission will künftig „systematischer erwägen, Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.“ Denn: „Es gibt Alternativen zu Kontrollen an den Binnengrenzen. So können Polizeikontrollen sehr wirksam sein, und neue Technologien sowie eine intelligente Nutzung interoperabler IT-Systeme können dazu beitragen, dass Kontrollen weniger stark in die Privatsphäre eingreifen. Ferner bestehen derzeit noch Rückübernahmeabkommen zwischen den Mitgliedstaaten, die ebenfalls wirksamer angewandt werden könnten.“
Und: Binnenkontrollen seien überflüssig, wenn die Außengrenzen hinreichend geschützt werden, so der Tenor.
In dem kürzlich vorgelegten Plan heißt es, etwaige Mängel könnten sich „in zweifacher Hinsicht auswirken: Sie stellen einerseits eine zusätzliche Herausforderung für den betreffenden Mitgliedstaat dar und haben andererseits Folgen wie unbefugte Migrationsbewegungen, die die Glaubwürdigkeit des gesamten EU-Systems beeinträchtigen. Ein wirksames Management der EU-Außengrenzen ist daher ein Schlüsselelement für einen Schengen-Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen.“
Mehr Personal, mehr Zusammenarbeit
Heißt im Klartext unter anderem: Mit der neuen Verordnung wird eine ständige Reserve von Einsatzkräften eingerichtet, die sich aus Personal der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex und der Mitgliedstaaten zusammensetzt. „Dies bedeutet eine erhebliche Stärkung der Fähigkeit der EU, auf unterschiedliche Situationen an den Außengrenzen zu reagieren“, so der Plan.
Außerdem soll die Bekämpfung von Schleuserkriminalität vorangetrieben werden und die Grenz- und Küstenwachen sollen enger zusammenarbeiten. Darüber hinaus sollen bis 2023 sämtliche polizeiliche IT-Großsysteme in der EU miteinander vernetzt werden.