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Christiansfeld: HAG in Sankelmark auf den Spuren der Herrnhuter

Christiansfeld: HAG auf den Spuren der Herrnhuter

Christiansfeld: HAG auf den Spuren der Herrnhuter

Sankelmark
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Die Christiansfeld-Expertin Vivi Autzen stellte das Weltkulturerbe im Norden Nordschleswigs vor, das heute zur Kommune Kolding gehört. Foto: Volker Heesch

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Fast 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren bei der Jahrestagung der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig dabei. Dabei stand die 1773 im Herzogtum gegründeten Siedlung der Brüdergemeine im Blickpunkt. Thema war auch die Bedeutung der Glaubensgemeinschaft im dänischen Gesamtstaat und im kirchlichen Leben des Landes. 

Fast 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat die Vorsitzende der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig (HAG), Gisela Jepsen, am Sonnabend zur Jahrestagung des Vereins in der Akademie Sankelmark begrüßt.

Die HAG-Vorsitzende Gisela Jepsen hat die HAG-Tagung in der Akademie Sankelmark am Sonnabend eröffnet. Foto: Volker Heesch

Sie freute sich über das große Interesse an der Veranstaltung, in deren Mittelpunkt die Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeine in Christiansfeld stand. Die 2015 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommene Ortschaft, die 1773 am Nordrand des damaligen Herzogtums Schleswig gegründet wurde, hat auch in der Geschichte des dänischen Gesamtstaates Spuren hinterlassen, was in den Vorträgen während der Tagung vermittelt wurde.

Dank für langjährige Zusammenarbeit

Zu Beginn der Referate dankte der Leiter der Akademie Sankelmark, Dr. Christian Pletzing, dem langjährigen Vorsitzenden und Leiter der HAG-Tagungen in Sankelmark, Lorenz Peter Wree, für dessen Einsatz bei den Tagungen der nordschleswigschen Heimatkundler, die stets auch das Angebot der Akademie bereicherten.

Der Leiter der Akademie Sankelmark, Dr. Christian Pletzing (r.), bedankte sich beim langjährigen HAG-Vorsitzenden und Leiter der Tagungen der HAG in der Akademie, Lorenz P. Wree (l.), für die langjährige Zusammenarbeit. Foto: Volker Heesch

Wree sprach im Gegenzug Pletzing und dem Mitarbeiterteam den Dank der HAG für die Unterstützung bei den Tagungen aus.

Interessante Vorträge

Wree stellte anschließend den ersten Referenten, Martin Krieger, vor. Der Professor für nordeuropäische Geschichte an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel stellte auch das Wirken der Herrnhuter Brüdergemeine in dänischen Kolonien vor und das „Einsickern“ der Ideen der aus der böhmischen Reformation nach dem gewaltsamen Tod des Reformators Jan Hus 1415 entstandenen überkonfessionellen Glaubensbewegung in Dänemark während der Periode des Pietismus.

Der Vortragssaal in der Akademie Sankelmark war während der Tagung der HAG über Christiansfeld gut besetzt. Foto: Volker Heesch

Nach Krieger erläuterte die Christiansfeld-Expertin Vivi Autzen die Geschichte des Ortes und die kulturellen Schätze Christiansfelds, zum Abschluss kam Professor Eberhard Harbsmeier, früherer Leiter der „Præstehøjskole“ in Lügumkloster mit Ausführungen über die Bedeutung der Herrnhuter im kirchlichen Leben des Landes zu Wort.

Wirkung im dänischen Gesamtstaat

Martin Krieger leitete seinen Vortrag mit einem interessanten Überblick über das einstige Dänemark ein, das nach der Eingliederung fast des gesamten Schleswig-Holsteins einschließlich des in Personalunion regierten Norwegens, Island, Grönland und mehreren Kolonien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebte.

Der Historiker Professor Martin Krieger von der Universität in Kiel unternahm in seinem Vortrag eine Reise durch zahlreiche ferne Gebiete des einstigen großen dänischen Reiches. Foto: Volker Heesch

„Dänemark und das mit diesem verbundenen Schleswig-Holstein waren Vorreiter in Europa“, so Krieger und verwies auf die damals erfolgten Agrarreformen und die Abschaffung von Sklaverei und Leibeigenschaft, was Dänemark zeitweise als eine der „modernsten Monarchien“ Europas erscheinen ließ. Eine Demokratie war es aber bei weitem nicht, die Macht lag beim absolutistischen König und dem Adel, und oft aus Deutschland stammenden Ministern.

Geschichte der Herrnhuter erläutert

Martin Krieger berichtete von der Gründung der Herrnhuter Brüdergemeine im heutigen deutschen Bundesland Sachsen, die der Reichsgraf Nikolaus von Zinzendorf (1700-1760) in der Oberlausitz den von den Habsburgern vertriebenen Böhmischen Brüdern ermöglichte – und diesem Gegendruck der herrschenden lutherischen Orthodoxie einbrachte. Den Ideen der Herrnhuter, benannt nach dem Gründungsort ihrer Gemeine, kam allerdings der von Gesang und Gebet geprägte Pietismus entgegen, der sich über das religiöse Zentrum Halle auch nach Schleswig und weitere Teile Dänemarks ausbreitete. Der Historiker Krieger ging vor allem auf den Aspekt ein, dass die Mitglieder der Brüdergemeine keine studierten Theologen wie die in Halle ausgebildeten pietistischen Pastoren waren, sondern Handwerker und Leute, „die was können“. Das habe die Herrnhuter vor allem auch für herrschende Kreise interessant gemacht, denn in den Siedlungen, die nach der Gründung Herrnhuts in vielen europäischen Gebieten entstanden, gab es wirtschaftlichen Aufschwung mit Gewerbe, das beispielsweise Seife, Öfen und viele moderne Waren herstellte.

Ideen sickerten in Kopenhagen ein

„Die Ideen der Herrnhuter sickerten in der Kopenhagener Bevölkerung ein“, beschrieb Krieger die Jahrzehnte von der Gründung Christiansfelds. Es gab im Lande eine Pietismusbegeisterung, aber unter dem Einfluss der lutherischen Orthodoxie wurden die Herrnhuter verboten, nur in den dänischen Kolonien wie in der Karibik und im indischen Raum wurde deren Tätigkeit und Missionsarbeit geduldet. „Erst nachdem Struensee 1770 bis 1772 die Regierung in Dänemark übernommen hatte, endete deren illegale Phase“, so der Kieler Historiker, der aber auch erwähnte, dass Zinsendorf den dänischen König Christian VI. (1699-1746) besucht hat. Während seines Aufenthaltes in Dänemarks wurde er  durch Bekanntschaft mit einem aus der Karibik stammenden „Hofmohren“ zur Missionsarbeit unter den geknechteten Sklaven inspiriert.

 

Martin Krieger stellte einstige dänische Kolonien wie Trankebar auf dem indischen Subkontinent als Orte vor, an denen Mitglieder der Herrnhuter Glaubensgemeinschaft missionarisch tätig waren. Foto: Volker heesch

Zu den Aktivitäten der Herrnhuter in den „Außenbereichen“ des dänischen Reiches zählten deren erfolgreiche Missionsarbeit in Grönland, wo der Herrnhuter Samuel Kleinschmidt die Sprache der dortigen Einwohner verschriftlichte. Ein ganz abenteuerlich-exotisches Kapitel war laut Krieger die Entsendung von Herrnhutern auf die Inselgruppe der Nicobaren im Indischen Ozean, die sich Dänemark in Verbindung mit der Kolonie Trankebar auf dem indischen Subkontinent angeeignet hatte. 

Missionare hinters Licht geführt

Es wurde berichtet, dass der dänische Minister Adam Gottlob Moltke die Herrnhuter regelrecht hinters Licht geführt hat, um diese zur Sicherung der dänischen Herrschaft über die für Europäer aufgrund von Malaria kaum bewohnbaren Inseln zur Errichtung einer Missionsstation gewann. Nach Zwischenstationen in Indien erreichten die Herrnhuter die Nicobaren. Doch nur wenige Jahre überlebten die aus Deutschland stammenden Missionare, 1786 wurden die letzten evakuiert.

 

Professor Krieger präsentierte Lichtbilder von Dokumenten, die wie die Abbildung zeigen, welche Gebäude die Herrnhuter Missionare auf den tropischen Inseln Nicobaren im Indischen Ozean in den wenigen Jahren ihrer Tätigkeit dort bis 1786 errichtet haben. Foto: Volker Heesch

Nur einige Bauten erinnern noch an diese Jahre. Der Kieler Historiker schloss seine Ausführungen mit Informationen über die andauernde weltweite Tätigkeit der Herrnhuter. „Es gibt 100.000 allein in den USA, Tansania und Indien“, so Krieger. Über die Gründung Christiansfelds 1773 und das Wachstum der Siedlung, die König Christian VII. nach dem Besuch der Herrnhuter-Kolonie im Niederländischen Zeist aus Rücksicht auf die dänische Staatskirche in der Zeit der Struensee-Herrschaft im nördlichen Herzogtum Schleswig nah an der Grenze zum benachbarten Südjütland genehmigte, sprach dann Vivi Autzen.

Technologietransfer ab 1773

„Es ging der Herrschaft damals weniger um Glaubensfreiheit als um Technologietransfer“, sagte sie. Vor diesem Hintergrund übernahm der König zehn Prozent der Baukosten für die systematisch geplante neue Siedlung, die innerhalb von nur zehn bis 15 Jahren eine stattliche Größe erreichte. „Es ist das Beispiel einer außerordentlichen Bauleistung“, betonte sie und wies auf den einheitlichen Baustil unter Verwendung überwiegend typischer gelber Flensburger Ziegel hin. Der neue Ort entstand auf dem Gelände des Gutes Tyrstrupsgaard, das sich im Besitz der Krone befand. Aus Dankbarkeit gegenüber dem König erhielt der neue Ort mit seiner Platzierung mit Ausblick in die offene Landschaft, ein Ausdruck der Weltoffenheit der Herrnhuter, den Namen Christiansfeld.

 

Die Brüdergemeine in Christiansfeld versammelt sich zu Gottesdiensten in ihrem zentralen Gebäude, das sie aber nicht als Kirche wie andere christliche Glaubensgemeinschaften gestalten. Überall im Ort haben sie Linden gepflanzt. Foto: Visit Kolding

Vivi Autzen erklärte, dass die in den Jahren vor der Anerkennung als Weltkulturerbe sorgfältig restaurierte Bausubstanz, meist im Stil des Spätbarock gestaltet, die solide Handwerksarbeit der Gründer-Herrnhuter widerspiegelt.

„Moderne“ Bautechnik

Die moderne Bautechnik umfasste den Bau einer zentralen Wasserversorgung von auswärts in den Ort unter Verwendung von ausgehöhlten Eichenstämmen als Wasserleitungen. Bis in die Gegenwart sei das ursprüngliche Aussehen der Wohn- und Werkstattgebäude ebenso wie der typischen Kirche bewahrt worden. Die Referentin stellte Gebäude wie das Brüder- und Schwesternhaus vor, die auch Ausdruck der Religion sind, die unverheiratete Mitglieder gesondert wohnen und leben ließ. Mit dem Bau der Kirche, in der es weder Altar, Kanzel, Kruzifix noch Bilder gibt, wurde 1776 begonnen.

 

Ohne Altar und Bilder wirkt das Gotteshaus der Herrnhuter in Christiansfeld schmucklos, doch der Raum mit Platz für 1.000 Menschen der oft nur durch Kerzenlicht erleuchtet ist, strahlt dennoch eine besondere Atmosphäre aus. Foto: Volker Heesch

„Heute hat die Gemeine noch 150 Mitglieder“, so Vivi Autzen und erläuterte, dass seit der Gründung Deutsch und Dänisch in Christiansfeld gepredigt wurde, allerdings war die Verwaltungssprache Deutsch. Erst im 20. Jahrhundert verschwand das Deutsche, obwohl es stets enge Kontakte zu Herrnhut in Sachsen und Siedlungen in aller Welt gab. Oft besuchen internationale Gäste den Ort. Sie ging auch auf die Begräbnistradition der Herrnhuter ein, die die Toten nicht mit in die Kirche nehmen und stets in Einzelgräbern, die Frauen auf der Westseite des Gottesackers, die Männer auf der östlichen Seite, beerdigen.

 

Der Gottesacker zählt zu den Besonderheiten der Brüdergemeine. Männer und Frauen werden getrennt voneinander beerdigt. Foto: Visit Kolding

„Alle Gräber sind vollständig gleich, es gibt keine Familiengräber und alle Gräber sind erhalten“, so Autzen. Bei den Trauerfeiern werden nur Lebensläufe verlesen und die Bedeutung jedes einzelnen Menschen betont. Vivi Autzen ging auf viele Fragen zur Religion der Herrnhuter ein, die nicht den Begriff der Kirche verwenden und jegliches Tun und Handeln als Gottesdienst verstehen.

Theologische Einflüsse

Der dritte Referent der HAG-Tagung, der frühere Rektor der Præstehøjskole in Lügumklsoter (Løgumkloster), Eberhard Harbsmeier, lieferte viele interessante Informationen über die Beeinflussung des kirchlichen Lebens in Dänemark durch die Herrnhuter. Er ging dabei auf die Begegnungen schleswigscher und dänischer Theologen mit den Franckeschen Stiftungen in der einstigen geistigen Hauptstadt Halle ein, die den Vorstellungen August Hermann Franckes (1663-1727) folgten, sich nicht mit Verhältnissen abzufinden, sondern soziale Arbeit zu leisten. „Zinsendorf war Schüler in Halle“, so Harbsmeier und erinnerte daran, dass der Name Pietist ursprünglich ein Schimpfwort für diejenigen gewesen sei, die sich „anmaßten“, ohne einen Geistlichen in der Bibel zu lesen.

 

Der frühere Leiter des Theologisch-Pädagogischen Zentrums in Lügumkloster, Eberhard Harbsmeier, führte die Tagungsbesucher in Sankelmark in oft unbekannte Verbindungen zwischen den Herrnhutern und der übrigen Kirche ein. Foto: Volker Heesch

So wie später die Herrnhuter gefielen auch die von Francke eingeführten Prinzipien vielen Herrschern, vor allem auch die Disziplin und die Produktivität, die in den „Franckeschen Anstalten“ herrschte. Harbsmeier wies darauf hin, dass die Religiosität der Pietisten und auch der Herrnhuter zu einer „Psychologisierung“ der Religion beigetragen habe.

Einfluss auf Kierkegaard

Neben der Aufklärung habe es im 18. Jahrhundert die Entdeckung der Innerlichkeit gegeben. Harbsmeier wies darauf hin, dass einflussreiche Theologen wie Friedrich Schleiermacher ihre Prägung erhielten, weil sie in der Brüdergemeine aufgewachsen waren. Der heute in Fredericia lebende Theologe, der aus Göttingen stammend und zunächst in Deutschland theologisch ausgebildet, seit vielen Jahrzehnten in Dänemark tätig ist, stellte auch den berühmten Philosophen Søren Kierkegaard als eine Persönlichkeit vor, die sowohl Pietismus als auch Herrnhuter Einflüsse in eigene Ideen von Subjektivität hat einfließen lassen. Dessen Vater war 1815 in den Vorstand des Kopenhagener Ablegers der Brüdergemeine gewählt worden. Harbsmeier erwähnte, dass noch zur Lebenszeit Kierkegaards (1813-1855) Dänemark ein multiethnischer Staat gewesen sei.

 

Eine Gedenktafel am Hotel erinnert an Besuche berühmter Personen und historische Ereignisse in der in Nachbarschaft zur Königsaugrenze gelegenen Ortschaft Christiansfeld. Foto: Volker Heesch

„Jede zweite Taufe in Kopenhagen war damals in deutscher Sprache“, so der Theologe, um die Bedeutung der deutschen Kultur in der dänischen Hauptstadt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu unterstreichen. In Nordschleswig seien seines Wissens nur einzelne Theologen von der in ihrer Nachbarschaft wirkenden Brüdergemeine beeinflusst worden. Dazu hätten ein Pastor Enevoldsen aus Osterhoist (Østerhøst) und sicher auch der spätere Bischof Brorson gezählt.

Die HAG-Vorsitzende Gisela Jepsen bedankte sich am Ende der Vortragsreihe für das große Interesse an der Veranstaltung, zu der nach der Absage der HAG-Tagung 2021 in diesem Jahr auch wieder die hervorragende Bewirtung der Teilnehmerschaft durch die Küche der Akademie beigetragen habe. Sie lud alle Interessierten zur Teilnahme an der Tagesfahrt der HAG nach Christiansfeld am Freitag, 22. April ein, zu der alle Mitglieder noch eine Einladung erhalten. Wer Mitglied werden will und eine Einladung zur Tagesfahrt bekommen möchte, kann sich unter archiv@bdn.dk an die HAG wenden.     

 

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