Sexualität
Lisa und Oliver: Als LGBT+-Person gehört die Angst immer noch dazu
Lisa und Oliver: ALS LGBT+-Person gehört die Angst immer noch dazu
Als LGBT+-Person gehört die Angst immer noch dazu

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Übergriffe auf Menschen mit nicht heterosexueller Orientierung kommen auf dem Land häufiger vor, als in der Stadt. Das haben Lisa und Oliver zwar noch nicht am eigenen Leib erfahren, aber sie kennen Leute, denen es passiert ist. Die Angst, die eigene Sexualität offen zu leben, ist deshalb allgegenwärtig. Wie sie damit umgehen, erzählen sie im Gespräch mit dem „Nordschleswiger“.
Es ist nicht leicht, wenn man in ländlichen Gebieten lebt und der LGBT+-Szene angehört. Lisa und Oliver sind solche Menschen. Sie wohnen in Apenrade bzw. Sonderburg (Sønderborg). Lisa-Marie Marschallek ist bisexuell, Oliver Rahr Lysholm homosexuell.
Sich zu outen, war für beide ein großer – und schwerer Schritt. Nicht unbedingt gegenüber den Freundinnen und Freunden. „Die haben es ganz locker genommen und keine große Sache daraus gemacht“, sagt Oliver. Schwieriger war es allerdings gegenüber den Eltern. „Man erzählt sein tiefstes, sein allertiefstes Geheimnis. Da stellt man sich die schlimmsten Szenarien vor, wenn man sich öffnen möchte. Und das machte es unheimlich schwer“, erinnert sich Oliver.
Nicht die perfekte Familie
„Man hatte das Gefühl, seine Eltern zu enttäuschen, weil man später nicht das Rollenklischee erfüllen wird, die Vorstellung einer ,perfekten‘ Familie mit Vater, Mutter, Kind“, ergänzt Lisa. Auch die Angst, das sonst gute Verhältnis zu den Eltern zu zerstören, haben beide erlebt. „Obwohl das völlig unrealistisch ist“, sagt Oliver. „Das war das Schwerste, und deshalb hat es bei den Eltern etwas länger gedauert.“
Beide haben jedoch beim Outing gute Erfahrungen gemacht. „Letztlich kennt man seine Eltern ja“, meint Oliver.
Mutig sein
Anders ist es allerdings, wenn es darum geht, seine sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit zu zeigen. „Ich denke, es gibt viele, die bewusst darauf achten, nicht so sichtbar zu sein“, sagt Oliver. „Man hat Angst vor der Reaktion der Leute“, ergänzt Lisa.
„Mein Ex-Freund und ich waren schon mal mutig und haben gezeigt, dass wir zusammen sind – auch öffentlich“, erzählt der 24-Jährige.
Warum muss man mutig sein?
Mut gehöre dazu, sagen die beiden einstimmig. „Leute fühlen sich provoziert. Die sagen dann was. Das haben wir oft genug erzählt bekommen“, sagt Oliver. Lisa nickt. Selbst haben die beiden solche Situationen noch nicht erlebt. „Wir sind eben vorsichtig.“ Die Angst vor Angriffen – verbal oder sogar physisch – ist groß, geben beide zu. Ein Freund wurde in Sonderburg sogar überfallen und verletzt, weil er sich offen als Homosexueller zu erkennen gegeben hatte. „Solche Geschichten bringen einen zum Nachdenken“, sagt Lisa. Kürzlich schrieb ein anderer auf der FB-Seite des LGBT+-Vereins „Aura“ in Sonderburg, dass er überfallen und zusammengeschlagen worden sei. „Die Angst gehört immer noch dazu. Deshalb muss man mutig sein“, sagen beide übereinstimmend.
Ob das in Kopenhagen anders sei, können sie nicht beantworten. „Aber dort ist mehr Platz für uns“, findet Oliver. „Man ist in den großen Städten vielleicht mehr integriert“, mutmaßt Lisa. Womöglich deshalb könnten sich LGBT+-Personen dort mit weniger Angst auch öffentlich zeigen. Ob das tatsächlich so ist, ist nicht sicher, subjektiv fühlen sich die beiden in größeren Städten jedoch sicherer als in Apenrade, Sonderburg oder Tondern.

Doch die beiden arbeiten, zusammen mit anderen daran, das zu ändern. Freiräume, wo sie „sie selbst sein können“, wie sie sagen, gibt es unter anderem bei Aura-Treffen. Der Verein hat Ortsvereine in Apenrade und Sonderburg. Dort können sich junge LGBT+-Personen treffen, Erfahrungen austauschen, miteinander reden – „und wir selbst sein“, wie Lisa hinzufügt.
Offen zeigen, wie man ist
Dann gibt es noch die Pride, die in diesem Jahr zum dritten Mal in Apenrade stattfindet. „Das ist auch ein Ort, an dem wir uns so zeigen und geben können, wie wir sind“, meint Lisa. „Es ist ein Tag, an dem wir uns hier frei fühlen können, ohne Angst zu haben, ohne uns einschränken zu müssen, wo wir alle zusammen sein können“, fährt sie fort. „Wenn jemand etwas nach uns wirft, dann stehen wir dort zusammen, sind nicht allein.“

Die Pride ist der Höhepunkt einer mehrtägigen Veranstaltung. In diesem Jahr findet sie vom 22. bis 25. Juni statt. „Und es ist immer noch wichtig, dass wir uns dafür einsetzen, anerkannt zu werden“, sind sich beide einig. Zwar habe sich schon einiges zum Besseren gewendet, „doch trotzdem müssen wir immer noch fürchten, angegriffen zu werden“, meint Lisa. Die Pride setzt da Zeichen.
Unterstützung von vielen Seiten
Froh sind beide, dass die Veranstaltung von so vielen Menschen unterstützt wird. In den vergangenen Jahren sind Hunderte bei dem Umzug mitgegangen und haben sich solidarisch gezeigt. Viele Geschäftsinhaberinnen und -inhaber waren Sponsoren.
Und dass sich etwas getan hat, zeigen die Kommentare, die sie von älteren LGBT+-Personen bekommen. „Als ich so alt war wie ihr, wäre so etwas nie möglich gewesen, ist eine solche Aussage“, erzählt Lisa.
Noch nicht am Ziel angekommen
Beide wünschen sich, dass die Gruppe von LGBT+-Menschen in Nordschleswig größer wird, denn trotz Pride und sozialer Medien sei es schwer, mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Deshalb fahren sie in die Volksschulen, um auf den Verein und die „Community“ aufmerksam zu machen. „Wir sind auf dem Weg, aber alles dauert seine Zeit und die Wege aus den entfernten Orten sind weit – besonders für junge Leute“, sagt Lisa.
Beide freuen sich auf die Pride, denn „dann können wir wieder für einen Tag die Angst beiseiteschieben.“