Religion

Kirche im Blumenladen: Glaubensgemeinschaft lässt sich in Tingleff nieder

Glaubensgemeinschaft lässt sich in Tingleff nieder

Glaubensgemeinschaft lässt sich in Tingleff nieder

Tingleff/Tinglev
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Paul Martin (l.) und Jorge Rodriguez im Tingleffer Domizil der mennonitischen Glaubensgemeinschaft Foto: Friedrich Hartung

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Die Immobilie in der Tingleffer Hauptstraße, in der einst Blumen und Gestecke verkauft wurden, haben Mitglieder einer mennonitischen Gemeinde aus den USA übernommen. Der ehemalige Laden dient nicht nur als Kirche und Versammlungsstätte, sondern auch als Unterrichtsraum.

„Sønderjyllands mennonitiske menighed“ nennt sich die christliche Glaubensgemeinschaft, die sich im ehemaligen Blumengeschäft neben der Kirche an der Tingleffer Hauptstraße niedergelassen hat.

Die Glaubensgemeinschaft der Mennoniten ist aus der Täuferbewegung der Reformation im 16. Jahrhundert hervorgegangen. Die bibeltreue und pazifistisch eingestellte Gemeinschaft ist wegen ihrer gesonderten Ausrichtung durch Verfolgung in die ganze Welt bis nach Übersee vertrieben worden. 

Renaissance in Dänemark

Eine Gruppe ist nun in Nordschleswig gelandet. Vor etwas mehr als 100 Jahren bildete sich bereits in Kopenhagen (København) eine mennonitische Gemeinde, die allerdings wieder von der Bildfläche verschwand. In der Zeit noch weiter zurück gab es Gruppierungen auch in Nordschleswig.

 

Den ehemaligen Blumenladen an der Tingleffer Hauptstraße nutzt die mennonitische Glaubensgemeinschaft als Kirche und Versammlungshaus. Foto: Friedrich Hartung

Zu den Mennoniten in Tingleff gehören derzeit vier Familien, die aus Wisconsin in den USA nach Europa ausgewandert sind, berichtet Paul Martin, Vorsitzender der kleinen Gemeinschaft mit Sitz an der Hauptstraße.

Eine Schlüsselrolle beim Umzug spielte und spielt Jorge Rolando Göran Rodriguez.

Jorge Rodriguez Foto: Friedrich Hartung

 

Der 61-Jährige stammt aus Argentinien und wanderte Anfang der 80er-Jahre nach Schweden aus. Zwei Jahre zuvor war es zum Falklandkrieg zwischen England und Argentinien gekommen.

„Es kam mir falsch vor, Menschen bei so einem Konflikt zu töten. Es löste bei mir etwas aus“, sagt Rodriguez, der sich in Schweden verstärkt an christlichen Werten orientierte und für die Kirche in Schweden arbeitete.

Verbindung nach Schweden

Schon in Argentinien hatte er Berührungspunkte mit Schweden. „Ich war in Buenos Aires bereits Mitglied der schwedischen Seemannskirche“, erzählt Rodriguez.

Er habe sich schon immer mit der mennonitischen Glaubensgemeinschaft identifizieren können. Es kam zum Austausch mit den Glaubensfreunden aus Wisconsin, und es reifte der Gedanke, gemeinsam nach Dänemark zu ziehen.

Dass es Tingleff in Nordschleswig wurde, war Zufall. „Wir hatten auch die Westküste im Raum Ringkøbing in Betracht gezogen, es wurde aber Tingleff. Die grenznahe Lage passt gut, weil wir Kontakt zu verschiedenen Glaubensgemeinschaften in Deutschland haben“, berichtet Jorge Rodriguez in ehemaligen Verkaufsraum des Blumenladens, der zu einem Versammlungsraum und Kirche umfunktioniert worden ist.

Tief verwurzelt

Man sehe sich nicht als Konkurrenz zur Volkskirche. Man sei eine kleine Glaubensgemeinschaft, die die eigenen christlichen Schwerpunkte, das eigene Verständnis und die daraus abgeleitete Lebensweise in Ruhe in den Alltag einfließen lassen möchte, so Paul Martin auf Englisch.

Paul Martin ist mit der mennonitischen Glaubensbewegung tief verwurzelt. Foto: Friedrich Hartung

Beim Interview ist auch Andrew Derstine dabei, Diakon der Gemeinde. Die beiden US-Amerikaner sind im Gegensatz zu Rodriguez mit der Mennoniten-Bewegung tief verwurzelt. Die Familiengeschichte geht laut Martin mehrere Jahrhunderte zurück mit Ursprung in Europa.

Auch wenn man unter sich sei und zurückgezogen lebe – die Kinder werden im Gemeindehaus unterrichtet, man wolle sich nicht gänzlich abschotten, betont Paul Martin, dem Bollersleben (Bolderslev) als neues Zuhause für sich und seine Familie vorschwebt.

Er macht allerdings keinen Hehl daraus, dass die Möglichkeit in Dänemark, Kinder selbst anstatt in einer Schule unterrichten zu können, ein wichtiges Kriterium für den Umzug gewesen sei.

„Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn in Tingleff und zu anderen Menschen in der Umgebung und respektieren die Behörden“, unterstreicht Jorge Rodriguez.

Auf gute Nachbarschaft

Einen guten Kontakt habe man auch zur Kirchengemeinde in Jordkirch (Hjordkær). „Der Pastor Robert Andersen lud uns zu Weihnachten ein, um in der dortigen Kirche zu singen“, erwähnt Jorge Rodriguez.

Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn in Tingleff und zu anderen Menschen in der Umgebung und respektieren die Behörden.

Jorge Rodriguez

Der gebürtige Argentinier ist sprachbewandert, hat neben Theologie Sprachen studiert und beherrscht mehrere Sprachen, darunter Spanisch, Schwedisch, Dänisch und Deutsch. Der 61-Jährige ist eine treibende Kraft der Gemeinschaft, ist Lehrer und auch Dolmetscher.

In Dänemark hat er einen Übersetzungsdienst angemeldet. Angegliedert an das kirchliche Miteinander der Mennoniten ist zudem eine Schreinerei. „Snedkerens Sønner“ ist der Name der Firma.

„Die Mitglieder sind alle Tischler. Geplant ist, hochwertige Möbel herzustellen und hier zu verkaufen“, so Rodriguez im Tingleffer Domizil. „Für eine Werkstatt reicht der Platz aber nicht aus. Wir werden dafür ein Gebäude in Behrendorf nutzen“, ergänzt der 61-jährige Mennonit.

Die Gruppe hofft, in Nordschleswig ein gutes neues Zuhause gefunden zu haben. Wer mehr über die Glaubensgemeinschaft wissen oder sie erleben möchte, „ist herzlich eingeladen, an unseren sonntäglichen Gottesdiensten teilzunehmen und uns anzusprechen“, betont Rodriguez.

Jorge Rodriguez, Paul Martin und Andrew Derstine (v. l.) hoffen, in Nordschleswig eine gute neue Heimat für ihre Glaubensgemeinschaft gefunden zu haben. Foto: Friedrich Hartung

Mennoniten

In der mennonitischen Glaubensbewegungen gibt es verschiedene Strömungen und Ausrichtungen. Die Mennonitische Gemeinschaft in Deutschland beschreibt die Bewegung folgendermaßen:

Mennoniten sind eine evangelische Freikirche. Hervorgegangen aus der Täuferbewegung der Reformation im 16. Jahrhundert, sind sie heute bekannt als eine der „historischen Friedenskirchen“. Das Täufertum verbreitete sich in den 1520er- und 1530er-Jahren in vielen Städten Süd- und Mitteldeutschlands, in Österreich (Tirol) und entlang der Rheinschiene bis in die Niederlande und Niederdeutschland, wo seine Gedanken auf besonders fruchtbaren Boden fielen. 
Die Täuferbewegung entstand, soweit uns bekannt ist, in Zürich im Kreis von Zwingli-Anhängern, die eine strukturell und inhaltlich weitergehende Reform der Kirche anstrebten, als sie unter Zwinglis politisch-vorsichtiger Führung zustande kam. Es ging um die „Reinigung“ des Gottesdienstes von Bildern und klerikalen Zeremonien, um das Abendmahl in beiderlei Gestalt und in einer etwas späteren Entwicklung um das Verhältnis von staatlichem und kirchlichem Regiment, die Autonomie der christlichen Gemeinde sowie ab etwa 1525 um die Rechtmäßigkeit der Kindertaufe. Die Verweigerung der Kindertaufe und eine Taufe zur Bekräftigung des jetzigen Glaubens wurde schnell zum Kennzeichen und „Initiationsritus“ der täuferischen Gemeinden. Mennoniten begreifen den Glauben als ein Geschenk der Gnade Gottes. Aufgrund dieser liebenden Zuwendung Gottes ist ihnen die gewaltfreie Nachfolge Jesu entscheidendes Merkmal christlichen Bekennens und Handelns. Individuell kommt die bewusste Entscheidung zur Nachfolge in der Taufe im Namen des dreieinigen Gottes zum Ausdruck; als Gemeinschaft der Glaubenden in der fürsorgenden Gemeinde, die das Abendmahl miteinander feiert. Die Bibel ist ihnen hierbei die wichtigste Quelle fortwährender Orientierung und Frage nach dem Willen Gottes – in der jeweiligen Zeit, am jeweiligen Ort.

Quelle: Mennoniten.de

 

 

 

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