Leitartikel

„Ein Traum wird wahr“

Ein Traum wird wahr

Ein Traum wird wahr

Apenrade/Aabenraa
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Das deutsch-dänische „Freundschaftsjahr“ 2020 ist buchstäblich ins Wasser gefallen. Erst Corona, dann Dauerregen. Doch das ist gar nicht schlecht, meint Cornelius von Tiedemann: Die Ausstellungen sind überfüllt und könnten den Nährboden für ein wachsendes Interesse aneinander bieten.

Die Museen sind voll – nicht nur mit Ausstellungsstücken, sondern auch mit Menschen. Doch was bekommen die Wissbegierigen in den Ausstellungen zum Thema 1920-2020 zu sehen? Neue Einblicke oder nur immer wieder dieselbe Geschichte von „wir und die“?

Vielleicht ist das gar nicht so entscheidend. Denn auch wenn manche Ausstellungen der Nabelschau frönen mögen, so sind doch insgesamt vor allem Perspektiven für die dänisch-deutsche Freundschaft auszumachen.

Wovon so manche Museumsdirektorin und so mancher „Genforenings“-Planer heimlich geträumt haben mag – im denkwürdigen Jahr 2020 ist es tatsächlich Wirklichkeit geworden. Es gibt Szenen wie vor einem Popkonzert. Menschenmassen vor den Eingängen trotzen dem Regen, wenn das örtliche Museum die Türen öffnet. Zum Beispiel am Sonderburger Schloss, wo die Museumsleitung schon dazu aufrief, die Leute mögen sich doch über den Tag verteilen, anstatt alle auf einmal vor der Tür zu stehen.

Leider tun sie dies natürlich nicht (nur), weil es 100 Jahre Grenzziehung und die deutsch-dänische Freundschaft zu feiern gibt.

Sondern, seien wir ehrlich, vor allem, weil in diesem Sommer das Wetter außerordentlich bescheiden ist und sich zugleich viele dazu entschlossen haben, in Zeiten von Corona vielleicht mal nicht Thailänder und Griechen mit der eigenen Anwesenheit zu beehren, sondern eben die dänischen Landesgenossen. Und Museen.

Und auch wenn zum Beispiel der unseren Lesern gut bekannte Historiker Steen Bo Frandsen in der „Süddeutschen Zeitung“ beklagt, dass die Menschen in Dänemark sich seit der Niederlage von 1864 am liebsten mit sich selbst beschäftigen und nicht so sehr mit anderen Ländern, Sprachen und Kulturen, ist es doch eine gute Nachricht, dass sie jetzt in Scharen die Museen aufsuchen.

Die Grenze, sagt Frandsen, um die dänische Selbstbezogenheit an einem Beispiel zu verdeutlichen, sie sei im Selbstverständnis der dänischen Politik „nicht die deutsch-dänische Grenze – das ist unsere Grenze!“.

Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, gibt es auch keine dänisch-deutsche Geschichte. Es gibt die dänische Geschichte, in der das Deutsche nur die Rolle des Fremden spielt.

Dass die Dinge in Wirklichkeit komplizierter und vor allem interessanter sind als so, müssen dabei aber nicht nur Menschen in Dänemark lernen.

Auch in Deutschland kennen sich nur wenige mit ihren Nachbarländern und -kulturen aus. Zugegeben, mit neun Ländern, mit denen Deutschland Festlandgrenzen teilt, haben die Bundesbürger auch etwas mehr zu lernen als die Menschen hierzulande. Aber selbst in Schleswig-Holstein kennen in Wahrheit doch nur wenige den Namen selbst der dänischen Regierungschefin.

Deshalb ist es eine tolle Chance, dass sich jetzt, trotz oder wegen der merkwürdigen Corona-Lage, die Menschen in den Museen des Landes umsehen und in die, trotz allem, gemeinsame Geschichte eintauchen.

Vielleicht wird ja hier und da die Neugierde geweckt. Darauf, zu erkunden, wie nah wir uns in Wirklichkeit sind, wo es Unterschiede und wo Gemeinsamkeiten gibt. Es gibt doch für den Menschen wenig Aufregenderes als das Entdecken!

Schon klar – es ist kaum davon auszugehen, dass mit den 2020-Ausstellungen die Saat für eine Deutschland-Begeisterung in Dänemark gesät wird. Zumal bei der Jugend. Aber allein die Beschäftigung mit dem Thema in weiten Teilen der Bevölkerung könnte der deutsch-dänischen Freundschaft doch ein klein wenig Substanz geben – über politische Sonntagsreden hinaus.

Man wird ja noch träumen dürfen. Mit den Menschenschlangen vor den Museen hat ja auch niemand ernsthaft gerechnet.

 

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