Leitartikel

„Schwangerschaft: Warum die Frage nach dem Geschlecht wichtig ist“

Schwangerschaft: Warum die Frage nach dem Geschlecht wichtig ist

Schwangerschaft: Das Geschlecht spielt eine Rolle

Apenrade/Aabenraa
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Möchten werdende Eltern das Geschlecht ihres Kindes erfahren? Journalistin Marle Liebelt schreibt in ihrem Leitartikel, warum das Geschlecht eine wichtige Rolle bei der Erziehung spielt, und dass ungleiche Behandlung zu mehr Chancengleichheit führt.

Werdenden Eltern stellt sich irgendwann ab der 14. Schwangerschaftswoche die Frage, ob sie bei der nächsten Untersuchung das Geschlecht ihres Kindes erfahren möchten, sofern es dann sichtbar ist.

Hier gibt es zwei Meinungen: ja. Oder: nein. 

„Es macht für uns keinen Unterschied“, ist ein Argument, das viele Eltern nennen, die das Geschlecht nicht vor der Geburt erfahren wollen. Denn: Sie wollen die Erziehung ihres Kindes ohnehin nicht abhängig vom Geschlecht unterschiedlich handhaben. Ganz im Sinne der Gleichstellung.

Der Unterschied ist die Chancenungleichheit

Aber ist es so einfach? Die Gesellschaft, in die das Kind hineingeboren wird, ist eine, die von Diskriminierung geprägt ist. Das kann ein wichtiger Aspekt für Eltern sein, die sich darauf vorbereiten wollen. Denn Gleichbehandlung führt nicht automatisch zu Gleichheit. Im Gegenteil: Kinder haben, abhängig von vielen Faktoren, unterschiedliche Chancen im Leben.

Geschlecht spielt dabei eine wichtige Rolle, und es gehört zu den wenigen Faktoren, die sich schon vor der Geburt bestimmen lassen. Das macht diese Frage zu einer der spannendsten über das künftige Familienmitglied.

Zwar ist auch die Aussage über das Geschlecht nur begrenzt sicher. Denn, nur weil das biologische Geschlecht in den meisten Fällen doch ziemlich zuverlässig vorhergesagt wird, bedeutet das noch nicht, dass sich das Kind auch mit diesem Geschlecht identifizieren wird. Aber es kann schon mal eine konkretere Idee von dem geben, wo die Reise hingeht. 

Es geht nicht um Farben

Nicht etwa, weil dann rosa oder blaue Söckchen gekauft werden können. Sondern weil die Bestimmung des Geschlechtes relevant ist, wenn es um die Frage geht, ob und wie stark das eigene Kind von Diskriminierungsformen betroffen sein wird. 

Neben vielen noch offenen Fragen – zum Beispiel nach der sexuellen Identität oder Orientierung – ist diese die eine, die recht konkret vorab beantwortet werden kann. 

Wer die Geschlechtergerechtigkeit unserer Gesellschaft als erstrebenswert erachtet, sollte sich bewusst sein, dass das eigene Kind – egal welchen Geschlechtes – vorherrschende Gesellschaftsstrukturen reproduzieren kann. 

Gemeinsame Diskussion

Da kann es helfen, sich als werdende Eltern damit zu beschäftigen und zu diskutieren, ob und inwieweit das beim Umgang und der Erziehung eine Rolle spielen soll. Zumal die Sicht darauf zwischen den Elternteilen sehr unterschiedlich sein kann. 

Die Schwangerschaft gibt Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, inwiefern die Elternteile selbst Reproduzierende bestehender Strukturen sind. Und mit welchen Verhaltensmustern sie, in Anbetracht ihrer neuen Aufgabe, vielleicht brechen wollen. Wer einmal versucht hat, seine Ernährung umzustellen, oder das Gendern in den eigenen Sprachgebrauch einzubauen, weiß, wie schwer es ist, sich einmal Erlerntes wieder abzugewöhnen. 

Aber das eigene Verhalten und die Entscheidung für proaktive und indirekte Erziehungsmaßnahmen spielen von Anfang an eine Rolle. Die Ungleichheit der Geschlechter ist eng verknüpft mit der Sozialisation von Kind auf. 

Kleine Reaktionen können Rollenbilder festigen. Das beginnt bei Kleinigkeiten: Wildes, lautstarkes Verhalten, das sich für ein Mädchen nicht schickt, oder Jungs beizubringen, dass sie nicht weinen sollen, weil sie Jungs sind. Auch die Auswahl der Gute-Nacht-Geschichten beeinflusst das Bild, das Kinder von der Gesellschaft bekommen. 

Je früher, desto besser

Eltern sollten sich gemeinsam fragen, wie sie ihre Tochter zu einem Mädchen und einer Frau erziehen wollen, die nicht erst durch schlechte Erfahrungen lernt, für ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden einzustehen. Oder wie sie ihren Sohn zu einem Jungen und Mann erziehen, der sich frei von toxisch männlichen Eigenschaften entwickelt, und der alle Geschlechter als gleichwertig betrachtet und behandelt. 

Die Strukturen in der Gesellschaft und bei sich selbst zu erkennen ist ein langer Prozess, mit dem man nicht früh genug beginnen kann. 

Sicher können Eltern sich mit Fragen wie diesen auseinandersetzen, wenn es so weit ist. Und das Geschlecht nicht zu kennen, bedeutet nicht, dass Eltern sich diese Fragen nicht trotzdem schon vor der Geburt stellen können. Aber Eltern bereiten sich doch auf alles Mögliche vor, wollen schon in der Schwangerschaft alles Mögliche über ihr Kind erfahren.

Warum also nicht auch das Geschlecht? Es ist letztlich doch einer der Unterschiede zwischen uns Menschen, der uns am stärksten im Alltag begegnet und herausfordert.

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