Leitartikel

„Goethe und Tesfaye “

„Goethe und Tesfaye “

„Goethe und Tesfaye “

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Natürlich bestehen zwischen Sozialdemokraten und DF noch immer nicht unwesentliche Unterschiede in der Ausländer- und besonders in der Integrationspolitik, aber der Umgang miteinander verrät eben, dass bei der zu erwartenden Königinrunde nach der Wahl auch Konstellationen zwischen S und DF parlamentarisch möglich sind, meint Siegfried Matlok.

„Sag mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist“, heißt es in „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ bei Goethe. Diesen lehrreichen Satz sollte man sich im Hinblick auf die baldige Folketingswahl gut merken. Jede Reaktion in den und vor allem zwischen den Parteien wird zurzeit schärfstens überwacht und analysiert, um eventuelle Vorteile für sich oder Schwächen des anderen frühzeitig zu erkennen.  Das gilt auch für das zwischenmenschliche Verhältnis unter den Politikern, denn zweifelsohne spielen diese menschlichen Beziehungen in der dänischen Politik eine viel größere Rolle als z. B. in der deutschen. 

Auch ein nicht unwesentlicher Grund für den oft grenzüberschreitenden Konsens im Folketing. Was sich da bewegt und verändert ist vor allem am Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und Dansk Folkeparti zu beobachten, vielleicht sogar mitentscheidend für die politische Lage und Regierungsbildung nach der Wahl. Wenn Mette Frederiksen und Kristian Thulesen Dahl sich für die Fotografen umarmen und politisch signalisierend annähern, dann schrillen die Alarmglocken bei Løkke & Co, obwohl der DF-Chef ja mit einer Koalitionsaussage zugunsten von Løkke in die Wahl gehen will. Wer sich an frühere Zeiten – und die sind gar nicht mal so lange her – erinnert, der weiß, wie sich die Politiker von S und DF einst gehasst haben, ja politisch sozusagen bespuckt haben.

Pia Kjærgaard war der Staatsfeind Nummer eins der Sozialdemokraten, und unvergessen bleibt die Aussage des damaligen sozialdemokratischen Staatsministers Poul Nyrup Rasmussen im Folketing an die Adresse von DF, dass DF „nie stubenrein wird“. Ein solcher Satz würde Mette Frederiksen heute niemals über die Lippen rutschen, denn die Partei hat unter ihrer neuen Führung eine Vollbremsung durchgeführt. Alles ausgehend von der taktischen Erkenntnis der Sozialdemokratie, dass die Partei nach Niederlagen (angeblich) nur dann an die Macht kommen kann, wenn sie in der Ausländerpolitik den Abstand zu DF entscheidend verkürzt, um so auch traditionelle S-Wähler wieder zurückzuholen. 

Diese Frederiksen-schen Kehrtwende ist natürlich nicht per Befehl an die Genossen durchzuführen, sondern muss auch von der Partei, vor allem aber auch von ihren eigenen Fraktionskollegen auf Christiansborg mitgetragen werden. Während sich Politiker von S und DF einst spinnefeind waren  und kaum ein Wort – jedenfalls kein gutes – miteinander wechselten, ist der Ton 2019 ein ganz anderer. Ein deutliches Beispiel lieferte gestern abend eine Diskussions-Sendung des Fernsehkanals DK4, die Morten Messerschmidt und Dan Jørgensen als gemeinsame Moderatoren haben. Besonders der Gästeauftritt des nach vorn stürmenden sozialdemokratischen Politikers Mattias Testfaye war bemerkenswert. Er, der in Aarhus geboren wurde, dessen  Mutter Dänin ist und dessen Vater als Flüchtling als Äthiophien nach Dänemark kam, ist in letzter Zeit immer wieder dadurch aufgefallen, dass er große Teile der Ausländerpolitik von DF öffentlich mitträgt, sich jedenfalls nicht davon distanziert wie es in früheren Zeiten per roter Automatik der Fall gewesen wäre.

Der gelernte Maurer berichtete vor laufenden Kameras, sein Name würde hier im Lande immer wieder falsch ausgesprochen, aber eines Tages erlebte zu seiner großen Überraschung, als er den Rednerstuhl des Folketings betrat, dass sein Name erstmalig richtig ausgesprochen wurde – ausgerechnet von der Folketingspräsidentin Pia Kjœrsgaard! Gewiss, eine unpolitische Randbemerkung und doch zeigt sie – wie übrigens auch die Diskussion zwischen Meserschmidt und Dan Jørgensen – dass es im persönlichen Bereich keine unüberwindbaren Hindernisse zwischen ihnen mehr gibt. Natürlich bestehen zwischen Sozialdemokraten und DF noch immer nicht unwesentliche Unterschiede in der Ausländer- und besonders in der Integrationspolitik, aber der Umgang miteinander verrät eben, dass bei der zu erwartenden Königinrunde nach der Wahl auch Konstellationen zwischen S und DF parlamentarisch möglich sind.

Man denke nur an eine Situation, in der Lars Løkkes Wiederwahl etwa von den Mandaten der neuen Partei „Ny Borgerlige“ abhängig sein wird und der Regierungschef von Venstre lieber das Handtuch wirft. Dann schlägt die Stunde von DF!  

Goethes oben genanntes klassisches Zitat hat übrigens eine Fortsetzung, die oft vergessen wird, die man sich aber auf Christiansborg gut merken sollte: „...weiß ich, womit du dich beschäftigst, so weiß ich, was aus dir werden kann.“

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