Leitartikel

„Erwin kontra Umfaller“

Erwin kontra Umfaller

Erwin kontra Umfaller

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Erwin Andresen von der Schleswigschen Partei hatte den Vorschlag, selbst den Bürgermeisterposten zu übernehmen, abgelehnt - und damit für sich und seine Partei die wichtigste Entscheidung getroffen. Nämlich für Glaubwürdigkeit und Vertrauen, meint Seniorkorrespondent Siegfried Matlok.

Die Kommunalwahlen 2021 nähern sich endlich ihrem Abschluss. Die Ergebnisse für Parteien und Personen liegen zwar seit dem Wahltage längst fest, auch die meisten Konstituierungen mit den Bürgermeister-Entscheidungen sind getroffen, aber erst auf der Ziellinie werden wir in den nächsten Tagen erfahren, ob es bei den Abstimmungen im Stadtrat eventuell gegenüber den veröffentlichten Absprachen doch noch weitere große Überraschungen gibt.

Zwei Tendenzen sind jedenfalls festzustellen:

1) Die Tendenz zum Umfallen und damit zum persönlichen Handeln im Widerspruch zu den eigenen Aussagen im Wahlkampf hat bei Personen, aber leider auch bei Parteien nach dieser Wahl spürbar zugenommen.

2) Die landespolitischen Unterschiede, die man links und rechts auf Christiansborg beobachten kann, sind auf kommunaler Ebene „für die Katz“, hier spielen die ideologischen Gegensätze kaum noch eine Rolle; jedenfalls weit weniger als bei den Wahlen vor vier Jahren. Das muss zwar nicht unbedingt ein Nachteil sein für die kommunale Demokratie, aber Wählertäuschungen sind natürlich Gift für ein stabiles Zusammenarbeits-Klima in den Rathäusern.

Eine dritte bedenkliche Tendenz ist – vielleicht – bereits auf dem Wege, bedingt durch die beiden vorher genannten Faktoren. Die niedrige Wahlbeteiligung – trotz massivster öffentlicher Kampagnen, die manchmal im Rundfunk und Fernsehen schon propagandistische Züge enthielten –  hat die Sofa-Wähler in Dänemark zur größten Kommunal-Partei gemacht. Und vielleicht geht es beim nächsten Mal noch mehr bergab, weil viele Wähler durch die „Umfaller“ schlicht und recht die Nase voll haben.

Wie dieser Form von – meist – persönlichem Machtstreben auch nach finanziell lukrativen Posten ein wirksamer Riegel vorgeschoben werden kann, ist politisch und rechtlich kaum zu beantworten, da natürlich jeder gewählte Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet ist. Auch seinem schlechten? Persönliche Ehrenerklärungen sind mündlich und schriftlich auch nicht das wert, was auf einem solchen Papier stehen könnte. Die einzige demokratische Antwort bleibt also die Wahl in vier Jahren, bei der die Wähler dann jene bestrafen können, von denen sie enttäuscht und getäuscht worden sind.

Das alles hat nichts mit den oft dramatischen Verhandlungsverläufen zu tun, die für Außenstehende in der Wahlnacht ein überraschendes Ergebnis gebracht haben. Sowohl bei der Wahl in Tondern als auch in Apenrade, bei der beide Bürgermeister persönlich hohe Stimmerfolge erzielten und sich bereits als Wahlsieger fühlten, gab es am Ende eine Bürgermeister-Entscheidung gegen ihren Willen.

Politik ist nicht immer fair, aber recht hat in der Politik schließlich die Mehrheit, und die ist auch gerechtfertigt, wenn in diesem Prozess öffentliche Wahlversprechungen nicht gebrochen worden sind. Wenn Wahlsieger plötzlich als Wahlverlierer dastehen, kann man vor diesem Hintergrund so manches Kopfschütteln eines gestürzten Bürgermeisters verstehen, der diese für ihn menschlich und politisch enttäuschende Konstituierungsabsprache nicht akzeptieren will und – sagen wir es ganz ehrlich – auch auf Rache sinnt.

Das ist in Apenrade der Fall, wo Venstre-Bürgermeister Thomas Andresen das drohende Schicksal in letzter Minute dadurch abzuwenden versuchte, dass er statt eines konservativen Bürgermeisters in der Makrelen-Stadt den Spitzenkandidaten der Schleswigschen Partei, Erwin Andersen, als neuen Bürgermeister vorschlug, mit anderen Worten eine neue Mehrheit zu etablieren versuchte, um den aus seiner Sicht geplanten Putsch zu verhindern. 

Welch ein Angebot für die Schleswigsche Partei, die – wenn Erwin Andresen es angenommen hätte – sogar zwei der vier nordschleswigschen Bürgermeister hätte stellen können; also Apenrade neben Popp in Tondern.

Das wäre dann wohl doch zu viel des Guten gewesen, aber entscheidend ist, dass Erwin Andresen sich eben nicht durch die süße Macht locken ließ, sondern Haltung bewies.

Ein Wort ist ein Wort, die Absprache mit dem neuen Bürgermeister bleibt unangetastet, lautete seine Antwort.

Mag sein, dass Erwin Andresen mit seiner persönlichen Stimmenzahl nicht zufrieden sein konnte, aber auf seine klare Ablehnung dieses Traum-Angebots kann er stolz sein. 

Er hat damit für sich und seine Partei die wichtigste Entscheidung getroffen – für Glaubwürdigkeit und Vertrauen, ja  sogar vorbildlich für das ganze Land. 

So wurde aus Erwin ein ErWIN!

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