Leitartikel

„Dosenbier bewusst vernichten!“

Dosenbier bewusst vernichten!

Dosenbier bewusst vernichten!

Apenrade/Flensburg
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Die riesigen Mengen an Aludosen in einem Grenzshop. Viele davon finden Umweltverbände jährlich auf Wiesen und Feldern im Grenzland. Foto: Karin Riggelsen

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Wenn die Aufhebung der Pfandbefreiung kommt, dann profitiert die Umwelt am meisten, schreibt Journalist Gerrit Hencke in seinem Leitartikel. Dennoch sollte man die möglichen Auswirkungen auf den Grenzhandel nicht außer Acht lassen.

Dosenbier erfreut sich in Deutschland und Dänemark trotz Pfand großer Beliebtheit. In Deutschland gibt es sogar Fanseiten mit Sprüchen für das mit Aluminium umhüllte Gebräu. „Make Dosenbier Great Again!“, heißt es da, oder: „Eine Palette reicht für zwei – wenn einer nichts trinkt.“ Passend für das Grenzland wäre der Spruch: „Ich bin nur wegen des Dosenbieres hier!“

Denn dort gibt es 2023 noch einen pfandfreien Raum, wo die Gesetze beider Länder bislang nicht gelten. Dort bieten Grenzshops ihren Kundinnen und Kunden aus Skandinavien an, Bier und Softdrinks zu kaufen, ohne dass darauf Pfand erhoben wird. Diese Ausnahme scheint seit Jahren unüberwindbar, obwohl es bereits mehrere Anläufe gab, das Pfand-Schlupfloch zu stopfen. Zuletzt war es 2015 so konkret wie nie zuvor. Doch es passierte nichts.

Dabei gibt es in beiden Ländern ein für Verbraucherinnen und Verbraucher simples und funktionierendes Rückgabesystem. Wer in Deutschland die leere Bierdose zum Pfandautomaten bringt, bekommt die 25 Cent zurück, die er beim Kauf bezahlt hat. Die Dose wird recycelt und das Aluminium kann erneut verwendet werden. In Dänemark gibt es eine Krone für das Behältnis.

Ende bereits vor 2029?

Der dänische Einzelhandelsverband (Dansk Erhverv) und die Naturschutzverbände kämpfen seit Jahren gegen die Befreiung und für eine Pfandlösung. Knackpunkt sind die verschiedenen Pfandsysteme auf beiden Seiten der Grenze sowie die ungeklärte Frage nach einem gemeinsamen deutsch-dänischen Modell.

Zuletzt gab es im September eine Abfuhr vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Doch nun könnte das Ende doch noch besiegelt werden. 

Die EU will ab 2029 die Pfandfreiheit aufheben. Der dänische Umweltminister Magnus Heunicke (Soz.) möchte das gern noch schneller erledigt haben. Dass das klappt, daran kann man nach den bisherigen Versuchen Zweifel haben, vom Tisch ist das Thema somit jedoch nicht. 

Einiges spricht für Abschaffung 

Dass das Ende für den pfandfreien Einkauf im deutschen Grenzland kommt, wäre aus zwei Aspekten richtig und wichtig. Das Problem: Zwar führen die meisten Menschen die Dosen später einem Recyclingsystem zu, viel zu viele Leute schmeißen die leeren Büchsen dennoch in die Natur.

Jährlich landen laut dem dänischen Naturschutzverband (Dansk Naturfredningsforening) 75.000 Dosen in Wäldern, Knicks und an Stränden – und das allein in Nordschleswig und Südjütland. Wird eine Dose nicht aufgesammelt, liegt sie dort je nach Witterung 80 bis 200 Jahre, bis sie vollständig korrodiert ist. 

Es ist also zum einen die Umweltbelastung bedenklich, zum anderen ist bereits die Herstellung der Aludosen ökologisch fragwürdig, da sie unter hohem Energie- und Chemikalienaufwand geschieht. Trotz guter Recyclebarkeit ist die Aludose keine gute Wahl für Klima und Umwelt. Besser sind da Einweg- und Mehrwegflaschen.

Wettbewerbsnachteile in Dänemark

Und dann ist da noch der dänische Einzelhandel, der durch die Pfandfreiheit in den Grenzshops Wettbewerbsnachteile hat. Die Branchenorganisation Dansk Erhverv sieht in dem Grenzhandelsboom eine Wettbewerbsverzerrung, die Auswirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit dänischer Geschäfte hat. 

Eine Analyse zeigt, dass dem Einzelhandel aufgrund des starken grenzüberschreitenden Handels ein jährlicher Zusatzumsatz von zwischen 3,5 und 5,8 Milliarden Kronen entgeht. 20 bis 25 Prozent des dänischen Verbrauchs an Softdrinks, Süßigkeiten und Schokolade stammte 2022 aus dem Grenzhandel. 650 Millionen Dosen mit Bier und Softdrinks werden von dänischen Kundinnen und Kunden jährlich eingekauft. Und so ist des einen Nachteil des anderen Vorteil. Im deutschen Grenzland ist der Handel mit den Dosen ein gewinnbringendes Geschäft – zulasten der Natur allerdings.   

Auswirkungen in Deutschland unklar

Unklar ist, wie groß die Auswirkungen auf den Grenzhandel tatsächlich wären, würde die Pfandfreiheit fallen. In Südschleswig sind von Flensburg bis Aventoft laut der Interessengemeinschaft der Grenzhändler (IGG) mehr als 3.000 Vollzeitbeschäftigte in den 15 Mitgliedsunternehmen beschäftigt. Jährlich werden Umsätze von rund 800 Millionen Euro (5,96 Mrd. Kronen) erwirtschaftet. Außerdem profitierten laut der Lobby-Organisation weitere Einzelhändler im deutschen Grenzland von den Besucherinnen und Besuchern aus Dänemark und den anderen skandinavischen Ländern.

Es ist zwar davon auszugehen, dass das Einkaufen im Grenzland für Kundinnen und Kunden aus Dänemark trotz Pfanderhebung attraktiv genug bleibt, denn bei einem Einkauf bei Fleggaard, Priss, Nielsen Discount oder Calle lassen sich weiterhin Steuern auf Lebensmittel und Getränke sparen. Hundertprozentig sicher kann sich aber niemand sein, weshalb man die ganze Branche bei der Entscheidung nicht außer Acht lassen darf.

Es bleibt zu hoffen, dass die Kundinnen und Kunden am Ende einfach auf die dann angebotenen Mehrwegflaschen umsteigen oder die Dosen beim nächsten Einkauf wieder in den Wertstoffkreislauf geben, wenn es dafür eine Pfandrückzahlung gibt. Für Grenzlandbewohnerinnen und -bewohner wäre dies ja kein großes Problem. Die Branche selbst wird sicher auch schon konkrete Lösungen in der Schublade haben. 

Einen Gewinner wird es nach Jahren des Hin und Her bei einer Abschaffung aber in jedem Fall geben: die Umwelt. Und so gibt es auch einen Spruch auf der oben genannten Webseite, den man auch anders verstehen kann. Dort heißt es: „Dosenbier bewusst vernichten!“

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