Leitartikel

„Container und Corona“

Container und Corona

Container und Corona

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Siegfried Matlok, ehemaliger Chefredakteur des „Nordschleswigers“, vergleicht die Corona-Maßnahmen in Dänemark und in Deutschland.

Wer im Grenzland lebt, vergleicht gern mal die Corona-Lage mit dem Nachbarland. Dänemark und Deutschland haben bisher besser als viele andere Nationen die Covid-19-Krise gemeistert, obwohl es in beiden Ländern durchaus Unterschiede bei verschiedenen Maßnahmen gegeben hat. Am sichtbarsten ist der Unterschied bei den Gesichtsmasken, man vergleiche einen Bummel durch Flensburg mit einem Gang durch die nordschleswigschen Innenstädte. Der Mundschutz ist in Dänemark noch (!) tabu, in Deutschland im öffentlichen Raum längst Vorschrift. Wer ein Restaurant südlich der Grenze aufsucht, wird als „Eintrittskarte“ zunächst einmal einen Fragebogen ausfüllen müssen mit allen Angaben zur Person. Natürlich nicht digital, sondern handschriftlich, um so eine mögliche Abwehrkette bei eventueller Ansteckung zu sichern.

Dass Covid-19 noch längst nicht besiegt ist, sieht man in diesen Tagen mit sogenannten Hotspot-Ausbrüchen sowohl in Deutschland als auch in Dänemark; vom übrigen Ausland, nicht nur in Europa, ganz zu schweigen. Schon wird drohend eine zweite Welle angekündigt, obwohl die Folgen der ersten noch gar nicht überwunden sind. Dass schon jetzt ein hoher Preis an Menschenleben gezahlt worden ist, wird in der Diskussion oft genug vergessen, und die wirtschaftlichen Konsequenzen sind selbst von Experten noch nicht abzuschätzen. In Deutschland spricht man von einer „Jahrhundertrezession“, das Bruttoinlandsprodukt sank im jüngsten Quartal „bereinigt“ sogar um 11,7 Prozent. In Dänemark sind die Zahlen etwas günstiger, beide Länder behaupten sich besser als der EU-Durchschnitt. Dass Dänemark sogar günstiger dasteht als Export-Weltmeister Deutschland hängt damit zusammen, dass der dänische Export breiter aufgestellt ist, vor allem die Arznei-Ausfuhren haben den dänischen Export vor einem Einbruch bewahrt.

Die politischen Spitzen auf Christiansborg wollen in Kürze zusammentreten, um über weitere Maßnahmen zu beraten. Die elektronischen DAN-Karten glühen, der private Verbrauch liegt weiter höher als im Februar, auch höher als in Deutschland und Schweden: Die Sommerhäuser sind nicht nur an der jütischen Westküste ausgebucht, und die dänischen Inseln stöhnen bereits unter dem enormen Zustrom an fast kostenlosen Fahrgästen. Bemerkenswert sind bisher zwei Faktoren: Die Zahl derer, die mit Lohnkompensation, also Kurzarbeiter-Geld, nach Hause geschickt worden sind, lag anfangs bei 230.000, inzwischen sind es nur noch 50.000. Gleichzeitig ist das sogenannte Hilfspaket für Unternehmen, die erhebliche Einbußen durch Corona zu verzeichnen haben, bisher nur mit 3,1 Milliarden in Anspruch genommen worden, obwohl der Staat rund 65 Milliarden Kronen (!) bereitgestellt hat. Also, alles paletti? Nein, denn wenn die Lohnkompensationen bald auslaufen, dann ist leider zu befürchten, dass die Firmen Tausende Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit schicken werden. Besorgniserregend ist auch eine Umfrage, die trotz des gestiegenen Privatverbrauchs bei den Familien eine deutliche Unsicherheit gegenüber der eigenen ökonomischen Zukunft verrät, eine Unsicherheit, die angesichts drohender Arbeitslosigkeit und internationalen Konflikten wahrlich nicht unbegründet erscheint. Der inländische Verbrauch kann auf Dauer keinen soliden Aufschwung sichern und Dänemark allein schon gar nicht retten. Eine Exportnation wie Dänemark benötigt global Abnehmer für seine guten (aber auch teuren) Produkte. In Dänemark sind zurzeit mehr als 800.000 Beschäftigte direkt oder indirekt vom Export abhängig, und sechs von zehn befragten Industrie-Unternehmen verweisen darauf, dass sie aktuell eine schlechtere Auftragslage haben als in Normalzeiten. Eigene dänische Beschlüsse werden kaum helfen, allerdings hat der aus Deutschland stammende und hoch anerkannte Wirtschaftsprofessor Philipp Schröder aus Aarhus darauf hingewiesen, dass gelockerte Reiseaktivitäten Exportaufträge begünstigen. Oft genug wird nach seinen Worten übersehen, „dass ein physischer Kontakt eine typische Voraussetzung ist, bevor man einen Container mit Waren abschicken kann“.

Blickt man auf das Königreich, sieht man zurzeit eine Spaltung wie wohl nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte. Bisher beschwerte sich das sogenannte „Udkantsdanmark“ stets und nicht zu Unrecht darüber, dass Kopenhagen als Hauptstadt politisch und ökonomisch bevorzugt wurde. Dieser Zentralismus ist durch Corona vorübergehend gebrochen. Kopenhagen blutet, titelte kürzlich „Berlingske“ unter Hinweis darauf, dass die Hotels u. a. wegen der Sechs-Tage-Übernachtungsregel einen Rückgang von 80 Prozent verzeichnen und der strategisch bedeutsame Kopenhagener Flughafen allein rund 6.000 Arbeitsplätze verloren hat. Bitte nicht hämisch lächeln, denn ein Gleichgewicht zwischen Kopenhagen und Provinz wird nicht etwa dadurch hergestellt, dass es Kopenhagen schlechter geht. Der Wirtschaftsfaktor Hauptstadt ist als Motor für das ganze Land unersetzlich!

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