Leitartikel

„Die bunte Politik“

Die bunte Politik

Die bunte Politik

Nordschleswig/Sønderjylland
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2019 war so viel los wie noch lange nicht in der dänischen Politik, schreibt Chefredakteur Gwyn Nissen.

2019 war ein politisches Jahr sondergleichen. Wahljahre haben es normalerweise in sich, doch was 2019 an Polit-Krimis und -Possen serviert wurde, war schon einzigartig – und nicht alles gereichte den Politikern zu Ehre.

Das Jahr begann mit dem großen Warten – vor allem auf Regierungschef Lars Løkke Rasmussen, der als Staatsminister sozusagen das Aufschlagsrecht hatte und den Wahltermin bestimmen konnte. Eigentlich war die Folketingswahl längst überfällig, denn es bestand nur wenig Hoffnung für den blauen Block, an der Macht zu bleiben. Und so zog es sich hinaus bis zum 5. Juni – wenige Tage nach der Wahl zum Europaparlament. Dort gehörte die liberale Venstre zu den großen Gewinnern, und Lars Løkke Rasmussen holte auch bei der anschließenden Folketingswahl alles heraus, was herauszuholen war.

Doch der rote Zug war abgefahren – ohne die bürgerlichen Parteien und ohne Løkke, der im Wahlkampf noch versucht hatte, eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten anzukurbeln. Doch die hatten den Sieg schon vor Augen und brauchten ihn nicht. Und Venstre brauchte den Spitzenmann anscheinend auch nicht, denn nach einem unschönen Machtkampf verließ Lars Løkke Rasmussen die dänische Politik durch die Hintertür, und zog seinen Gegner und designierten Nachfolger gleich mit: Kristian Jensen stand mit Tränen vor der Kamera, hat inzwischen auch seine Familie verlassen, und bildet nun mit der Musikerin Pernille Rosendahl das „Paar des Jahres“. Was für eine persönliche Wende.

Dabei drehte sich der Wahlkampf gar nicht so sehr um Venstre und die Sozialdemokraten, sondern um den islamfeindlichen Rasmus Paludan. Der Neue – der gar nicht so neu war, denn die Jugend kannte ihn und seine extremen Meinungen bereits aus Youtube im Internet – bekam viel Medienaufmerksamkeit und stellte den eigentlich viel bekannteren zweiten Einzelgänger, Klaus Riskær Pedersen, gänzlich in den Schatten. Aber es reichte für die beiden – übrigens vorbestraften – Politiker nicht zum Einzug ins Folketing. Das wäre im Folketing dann auch eine Nummer zu bunt geworden.

Nun blieb es bei der Enttrohnung Løkkes, der Kernschmelze bei der Liberalen Allianz, wo nicht einmal der Parteivorsitzende gewählt wurde (auch er stand mit Tränen vor der Kamera), und der Wählerklatsche für die rechtspopulistische Dänische Volkspartei.

Natürlich musste 2019 mit weiteren politischen Bomben enden. Uffe Elbæk verlässt seine Freunde in der Alternative, über die man viel sagen und lachen kann, aber die Partei hat in Dänemark das Klima auf die politische Tagesordnung gesetzt. Und Elbæk war in allen Belangen ein bunter Klecks in der oftmals grauen Politik. Nur stand er sich manchmal selbst im Wege.

Und sollte der Parteivorsitzende Kristian Thulesen Dahl nach der verkorksten Folketingswahl im Juni geglaubt haben, dass die Dänische Volkspartei nun ganz unten angekommen sei, dann haben sich seine Probleme seit Montag noch weiter erhärtet: Die Meinungsumfrage von Gallup für „Berlingske“ bescherte DF das bisher schlechteste Umfrageergebnis seit 20 Jahren. Von 21,1 Prozent der Wähler bei der Folketingswahl 2015 sind nur noch 7,8 Prozent der Partei treu geblieben. Thulesen Dahl müsste bereut haben, dass er Morten Messerschmidt ins Folketing-Team geholt hat, obwohl dieser in einen EU-Skandal verwickelt ist.

Ach ja, fast hätten wir es vergessen: Mette Frederiksen wurde Staatsministerin und hat einen ganz soliden Start hingelegt. Aber das geriet 2019 fast zur Nebensache. 2020 wird politisch im Vergleich zu 2019 erblassen. Aber vielleicht dreht es sich dann auch wieder um Politik und um die Sache – und nicht so sehr um die Personen, die uns regieren.

 

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