Diese Woche in Kopenhagen

„Eine Kanzlerin wird vermisst“

„Eine Kanzlerin wird vermisst“

„Eine Kanzlerin wird vermisst“

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Kanzlerin Angela Merkel hat ihren Rückzug angekündigt. Viele Gegenspieler werden ihr keine Träne hinterher weinen, doch viele machen sich bereits jetzt schon Sorgen, wer künftig der „Anker Europas“ sein wird, meint der Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit in Dänemark, Jan Diedrichsen.

Es wird einige Zeit her sein, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in der ihr täglich vorgelegten Pressemappe so viele Lobeshymnen auf sich selbst hat lesen dürfen. Falls sie solche Artikel überhaupt liest; ihr Tagesablauf lässt kaum Raum für eine solche Stärkung des eigenen Egos. Doch die Bundeskanzlerin wird mitbekommen haben, wie sie derzeit mit Respektbekundungen schier überhäuft wird. Ein Beispiel: Als in Helsinki der Parteitag der EPP, der Politik-Familie der Konservativen in Europa, die deutsche Bundeskanzlerin gesprochen hatte, wollten das Klatschen – stehende Ovationen – kein Ende nehmen. Diese Respektbekundungen sind bei einigen sicher auch durchmischt mit einem leisen „endlich“. Die Kanzlerin hat nicht nur Freunde. 

Nach der Wahlniederlage der CDU in Hessen, hat die 64-Jährige angekündigt, im Dezember nicht erneut als Parteivorsitzende der CDU anzutreten. Merkel will jedoch bis 2021 Bundeskanzlerin bleiben. Doch machen wir uns nichts vor, die Nachfolgediskussion hat begonnen. Gnadenlos wird hinter den Kulissen gerungen. Respekt nach außen – aber der Machtkampf über ihre Nachfolge wird beinhart geführt. Das ist ein Spiel, welches Angela Merkel zur Perfektion zu spielen vermag.

Sonst hätte sie sich nicht über eine Dekade lang im Zentrum der deutschen und europäischen Macht halten können. Über 100 Ratsgipfel hat sie hinter sich. 13 Jahre war sie ein Fixpunkt der deutschen und der europäischen Politik. Eine sehr gute, fachkundige Biografie über die „ewige Kanzlerin“ ist von dem Süddeutschen-Journalisten Steffan Kornelius, der Merkel jahrelang begleitet und beobachtet hat. Er kann Geschichten berichten, die illustrieren, wie aufreibend der Job und wie hart es ist, bereits am Sonntag darüber nachdenken zu müssen, dass man sich im Laufe der Woche mit den Erdogans, Orbans und Trumps dieser Welt abmühen muss. Merkel war mit drei amerikanischen Präsidenten befasst, mit vier britischen Premierministern und vier französischen Präsidenten. Lars Løkke Rasmussen und Anders Fogh Rasmussen sowie Helle Thorning-Schmidt waren ihre dänischen Ansprechpartner. 

Donald Trump, Vladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan, Viktor Orbán, Jaroslaw Kaczynski und Matteo Salvini - sie alle werden Merkel wohl keine Träne hinterher weinen, sondern eine Gegenspielerin verlieren. Die oben genannten Männer erkennen in Merkel die Personifizierung einer „Globalistin“, die im Multilateralismus die einzige Chance für das politische und wirtschaftliche Fortbestehen des Westens sieht.  Dem US-Präsidenten, den Rechtspopulisten in Osteuropa und in Italien sowie den Befürwortern des Brexit in Großbritannien aber auch den Grenzfetischisten in Dänemark ist die Kanzlerin eine Lieblingsgegnerin. 

Hätte es 2015 die sog. Flüchtlingskrise nicht gegeben, an der sich der Politikbetrieb und Teile der Gesellschaft weiterhin atemlos abarbeiten, wäre Angela Merkel wohl kaum für eine vierte Amtszeit in den Ring gestiegen. Es wird noch viel über dieses Jahr und die Folgen für ihre Kanzlerschaft und die Zukunft Europas im Allgemeinen zu schreiben geben – nicht zuletzt in den Geschichtsbüchern. 

Doch derzeit scheinen die meisten Medien und sogar einige politische Kontrahenten eher mit Sorge erfüllt: Was passiert nun? Was geschieht mit Deutschland - dem „Anker Europas“?   Der „Economist“ aus London schreibt:  „Wenn Führung gefordert ist, sollte weder der EU noch der Welt eine längere Periode teutonischer Lähmung willkommen sein“.
Die Kanzlerin will noch bis 2021 bleiben – und schon jetzt wird sie vermisst.

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