Leitartikel

„Når befrielsen kommer: Die Zeit heilt alle Wunden“

Når befrielsen kommer: Die Zeit heilt alle Wunden

Når befrielsen kommer: Die Zeit heilt alle Wunden

Apenrade/Aabenraa
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Jacob (Pilou Asbæk) mit seinem Sohn Søren (Lasse Peter Larsen) unter Geflüchteten.
Jacob (Pilou Asbæk) mit seinem Sohn Søren (Lasse Peter Larsen) unter Geflüchteten. Foto: Andreas Bastiansen/Nordisk Film

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Der größte dänische Film des Jahres lässt einen nachdenklich im Kinosaal zurück. Er zeigt das Dilemma einer Nation, die am Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen Deutschenhass und Menschlichkeit taumelte. Umso bedeutender ist es, dass Deutsche und Dänen heute friedlicher als je zuvor miteinander umgehen, schreibt Journalist Gerrit Hencke in seinem Leitartikel.

Während der Abspann läuft und das Licht im Kino wieder angeht, bleibe ich sitzen. Gerade habe ich „Når befrielsen kommer“ gesehen. Es ist der dänische Film des Jahres, und er wirkt nach. Er wirkt auch nach, als ich mit dem Fahrrad aus Sonderburg zurück nach Flensburg radele. Bei strahlendem Sonnenschein bewege ich mich durch das Grenzland. In der Fußgängerzone höre ich zuvor Menschen Deutsch und Dänisch sprechen. Hier erfährt zumindest in diesem Augenblick niemand mehr Ressentiments oder ethnischen Hass aufgrund der eigenen Herkunft. Für mehrere Generationen ist es das Normalste der Welt, sich frei in beiden Ländern bewegen zu können. Das war nicht immer so. 

Vor 83 Jahren haben meine Vorfahren Dänemark besetzt. Fünf Jahre lang. Der Zweite Weltkrieg ist unbestritten das wohl dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. In den letzten Wochen vor Kriegsende und kurz danach spielt „Når befrielsen kommer“. Der Film zeigt, wie schon vor der Befreiung am 5. Mai 1945 die Spannungen und der Widerstand gegen die deutschen Besatzer wuchsen.

Mit der Ankunft deutscher Vertriebener aus den Ostgebieten, die in Dänemark auf Anweisung der Wehrmacht unter anderem in Schulen, Sporthallen, Versammlungshäusern und Privathäusern untergebracht werden mussten, wuchs der Widerstand in der dänischen Bevölkerung weiter – auch im Wissen um das baldige Ende des Krieges. Der Flüchtlingsstrom wurde von vielen als „zweite Besatzung“ empfunden.

Das Verständnis

„Når befrielsen kommer“ zeigt eindrücklich den Hass auf Deutsche, der in Teilen der dänischen Bevölkerung während der Besatzung aufkam. Im Kinosessel sitzend, stelle ich mir die Frage, ob es den Menschen wirklich zu verübeln war. Wenn im eigenen Dorf Wehrmachtsoldaten Ausweise der Bewohnerinnen und Bewohner willkürlich kontrollieren. Wenn der deutsche Kommandant Däninnen und Dänen wütend auffordert, gefälligst Deutsch zu reden, wenn sie mit ihm im Raum sind. Die mit ansehen müssen, wie der Arzt des Dorfes während seiner Sprechstunde von Deutschen erschossen wird, weil er mutmaßlich der Widerstandsbewegung angehörte. Ich glaube, nicht.

Und so kann ich irgendwo auch Widerstandskämpfer Birk (Morten Hee Andersen) verstehen, der mehr als einmal deutlich macht, was er von den deutschen Flüchtlingen hält und ihnen jegliche Unterstützung verweigert. Als Zuschauender entwickelt man selbst eine Art Wut auf das arrogante und machtbesessene Verhalten der Deutschen.

Die Menschlichkeit

Doch da ist auch die andere Seite. Nicht die der Wehrmacht, sondern die der Geflüchteten. Hochschulleiter Jacob (Pilou Asbæk) und seine Frau Lis (Katrine Greis-Rosenthal) müssen rund 500 Menschen zunächst in der Turnhalle der Schule aufnehmen. Anfangs ebenfalls noch mit ablehnender Haltung, sehen sie zunehmend, wie die Geflüchteten leiden. Wie die Besatzer ihr eigenes Volk im Stich lassen. Wie Geflüchtete in ihrer Sporthalle fortan an Diphterie sterben, weil es nicht genügend Essen und keine Medizin gibt. Geschwächte Kinder sind es, die unter ihren Augen sterben, aber auch Ältere. Insgesamt 62, davon 27 Kinder. Jacob und Lis entschließen sich zu helfen. Weil es die dänische Ärztekammer nicht tut. Weil es viele im Dorf nicht tun. 

Die Fassungslosigkeit

In der Folge werden Jacob, Lis und ihr Sohn selbst zur Zielscheibe – weil sie „den Deutschen“ helfen. Sie werden als Dänen vom eigenen Volk als „Tyskersvin“ und „Vaterlandsverräter“ bezeichnet und von der Dorfgemeinschaft nach und nach ausgeschlossen. Auch hier bleibt man etwas fassungslos zurück. Denn eigentlich zeigt das Paar nur eins: Menschlichkeit. Das fällt zwar auch ihnen anfänglich nicht leicht, weil sie ebenfalls unter der Besatzung leiden. Das Dilemma, in dem sich damals viele Menschen befanden, lässt einen auch als Zuschauender daher nicht kalt. Unweigerlich überlegt man, wie man selbst gehandelt hätte. Mit dem heutigen Blick lässt sich das wohl nur schwer beantworten. Die Zeiten waren eben andere. 

Doch es sind noch immer Menschen, die da über die Ostsee flüchteten. Menschen, die ihre Heimat, Eltern, Kinder oder sonstige Angehörige verloren haben. Die aus Angst vor Tod, Vergewaltigung oder Gefangenschaft vor der Roten Armee flüchteten. 250.000 Deutsche kamen so aus den Ostgebieten nach Dänemark. Traumatisiert, krank, hungrig. Allein 10.000 Kinder sterben in der Folge auf dänischem Boden. Nicht durch Waffengewalt, sondern aufgrund von Krankheit und Unterversorgung.

Die Unschuldigen

Dabei sind es vor allem die Jüngsten, die unverschuldet in diese Situation geraten sind. Die nichts dafür können, dem „falschen“ Volk anzugehören. Sicher, die Kinder wurden, wie auch viele Erwachsene, über Jahre indoktriniert und manipuliert. Doch stellt sich auch die Frage: Selbst wenn sie alle brennende Verfechter des Nationalsozialismus gewesen wären, hätte man ihnen deshalb Hilfe verweigern und sie sterben lassen sollen? Ich glaube, nicht.  

Der Film zeigt anschaulich, wie Däninnen und Dänen zum Ende des Zweiten Weltkriegs miteinander und gegeneinander arbeiteten. Wer half, war Kollaborateur und wurde nach der Befreiung von Widerstandskämpferinnen und -kämpfern im Rahmen der Rechtsabrechnung in Internierungslager gebracht und verurteilt. Das traf auch viele Männer in der deutschen Minderheit. Denn der Zorn der dänischen Bevölkerung entlud sich auch über die Volksgruppe, die zu Beginn der Besatzung die Wehrmacht frenetisch willkommen hieß. Die Organisation der Minderheit selbst war bis zum Schluss mit dem Naziregime gleichgeschaltet.

Das Heute

Viele haben heute glücklicherweise den Nationalismus überwunden, Wunden geheilt und Vergangenes aufgearbeitet. Dennoch ist die Forschung gerade zu diesem Kapitel deutsch-dänischer Geschichte noch lange nicht am Ende. Das ist gut so, denn das Geschehene sollte nie in Vergessenheit geraten. In der dänischen Geschichte ist diese Zeit ein schwarzer Fleck, auf den der Film etwas Licht wirft. 

Dass Deutsche und Dänen heute wieder friedlich miteinander umgehen, das ist von unschätzbarem Wert. Das zeigt sich nicht zuletzt hier im Grenzland. Angefangen in der Fußgängerzone von Sonderburg.

Die in diesem Kulturkommentar vorgebrachten Inhalte sind nicht von der Redaktion auf ihre Richtigkeit überprüft. Sie spiegeln die Meinung der Autorin oder des Autors wider und repräsentieren nicht die Haltung des „Nordschleswigers“.

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