Leitartikel

„Kampfflugzeuge für die Ukraine nur eine Frage der Zeit“

Kampfflugzeuge für die Ukraine nur eine Frage der Zeit

Kampfflugzeuge für die Ukraine nur eine Frage der Zeit

Apenrade/Aabenraa
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F-16-Kampfjets im Formationsflug Foto: Karin Riggelsen

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Der Krieg in der Ukraine hat das alte Blockdenken zwischen West und Ost wieder zutage gefördert. Die Fronten sind verhärtet, und von einem Dialog sind die Kriegsparteien sowie deren Unterstützer weit entfernt. Weil Russland an seinen Absichten weiterhin festhält, ist die Frage daher nicht, ob Kampfflugzeuge an die Ukraine geliefert werden – sondern wann, schreibt Gerrit Hencke in seinem Leitartikel.

Die Lage in der Ukraine ist prekär. Es wird weiterhin schwer gekämpft. Seit mehr als einem Jahr wütet der von Russland begonnene Krieg vor allem im Osten und Süden des Landes. Viele Länder unterstützen die Ukraine seither mit Panzern, Luftabwehr, Munition, Maschinen und medizinischer Ausrüstung.

Die Unterstützung des Westens ist umstritten. Nicht wenige befürchten durch die Waffenlieferungen eine sich immer weiter drehende Eskalationsspirale und fordern einen Waffenstillstand sowie Friedensverhandlungen. Andere sind der Ansicht, dass nur mit einer Unterstützung der Ukraine der Frieden mit Waffen gesichert werden kann. Es gibt hier wohl kein Richtig und kein Falsch. Die Lage ist kompliziert, weil die Welt kompliziert ist. Und so gibt es viele Szenarien für ein Ende oder die Eskalation dieses Krieges.

Warum deshalb die Entscheidung, ob man der Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Kampfjets nachkommen soll, so sorgfältig abgewogen wird, liegt auf der Hand. Die Lieferung von Kampfpanzern war lange ein umstrittenes Thema, die der Flugzeuge ist es auch. Selenskyj hofft, mit den Jets der vierten Generation dem Krieg eine Wendung geben zu können und die Lufthoheit zu gewinnen. 

Daran gibt es zwar Zweifel, Polen und die Slowakei haben seinem Wunsch als bislang einzige Länder dennoch entsprochen und liefern der Ukraine ausgemusterte MIG-Kampfjets aus Sowjetzeiten. In Dänemark hingegen nimmt die Diskussion erst an Fahrt auf. Die Regierung erwägt, die in die Jahre gekommenen F-16-Kampfjets an die Ukraine abzugeben.

Dänemark besitzt 43 Maschinen des Typs. 30 waren im November vergangenen Jahres noch im Einsatz. Obwohl die Jets ­­‒ sie werden seit 1976 in Serie produziert − mittlerweile auch zum alten Eisen gehören, sind sie als bewährtes Mehrzweckkampfflugzeug noch immer gefragt. Die dänischen Maschinen sollen allerdings ausgemustert und durch moderne F-35 ersetzt werden.

Die Entscheidung solle noch vor dem Sommer fallen, sagt Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen (Venstre). Das Vorhaben soll mit den Alliierten abgestimmt sein, ein dänischer Alleingang ist ausgeschlossen. Doch auch US-Präsident Joe Biden und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sind skeptisch gegenüber der Lieferung von Kampfjets. 

Eine der Fragen, die sich die Verantwortlichen stellen müssen, lautet: Wie weit wird in den Krieg eingegriffen, wenn man etwa Kampfpanzer und nun sogar Kampfjets liefert? Gilt man damit bereits als Kriegspartei? Die einen sagen so, die anderen so. Fest steht: Die ukrainischen Pilotinnen und Piloten müssen an den Maschinen zunächst ausgebildet werden. Es wird davon ausgegangen, dass dies acht bis zwölf Monate dauert.

Hinzu kommt, dass Militärtechnik, wie die alten F-16-Maschinen, hohe Betriebskosten haben. Diese liegen bei einem Flugzeug des Typs bei 18.000 US-Dollar (ca. 122.800 Kronen) pro Stunde. Außerdem müssen Technikerinnen und Techniker in der Lage sein, die Maschinen zu warten und zu reparieren. Eine Beteiligung von Dänemark oder seinen Nato-Partnern ist daher ziemlich wahrscheinlich, um die Voraussetzungen für einen Betrieb zu schaffen. Das ist zwar noch keine Teilnahme an Kampfhandlungen, feuert aber die Kritik immer wieder an.

Ein weiterer Punkt ist, dass man die Ukraine mit den Jets in die Lage versetzen könnte, Ziele tief im russischen Staatsgebiet anzugreifen. Moskau würde dies als weitere Eskalation werten. Schon jetzt behauptet der Kreml, der Westen würde sich direkt am Krieg beteiligen. Kampfjets wären daher ein weiterer großer Schritt in der Eskalationsspirale. Die Folgen? Bisher nicht absehbar.

Eine andere Frage, die sich die Verantwortlichen stellen müssen, ist die der Konsequenzen einer Nicht-Lieferung. Wird die Ukraine nicht weiter unterstützt, fällt sie am Ende wohl komplett in russische Hand. Welche Auswirkungen und Folgen das für die ukrainische Bevölkerung sowie umliegende EU- und Nato-Länder hat, ist auch in diesem Fall nicht absehbar. Schon lange besteht die Befürchtung, Russland könnte bei einem Erfolg in der Ukraine vor anderen militärischen Übergriffen nicht haltmachen. Auch das Schicksal der ukrainischen Bevölkerung ist offen. Unter russischer Führung könnten vielen Menschen ernste Repressalien drohen – wenn nicht sogar der Tod.

„Frieden schaffen ohne Waffen“, das ist dieser Tage eine immer wieder zu hörende Forderung. Für Gespräche müssten jedoch beide Seiten bereit sein, zunächst einen Waffenstillstand zu akzeptieren. Doch wie erfolgreich können dann Friedensverhandlungen mit einem Staat sein, der die Ukraine überfallen hat, sie seither terrorisiert und das Völkerrecht bricht? Unter welchen Voraussetzungen wäre ein Wladimir Putin zu einem Friedensvertrag überhaupt bereit? Und die Ukraine? Schon die beiden Minsker Abkommen haben ihre Wirkung verfehlt.

Die US-Denkfabrik „Institute for the Study of War (ISW)“ geht in einer Analyse sogar davon aus, dass Putin gar kein Interesse an Verhandlungen hat. Demnach sei er überzeugt, dass seine Truppen durchaus einen „vollständigen Sieg“ erringen könnten und hält daher an Offensivoperationen fest. Der Westen soll kriegsmüde gemacht werden. Am Ende könnte dann Putin die Bedingungen für eine Verhandlungslösung diktieren, so die Befürchtung, sollte der Westen die Unterstützung einstellen. Auch UN-Generalsekretär António Guterres sagte im Januar noch, dass ernsthafte Friedensverhandlungen derzeit keine Chance hätten.

Wie gespalten auch die Bevölkerung in der Frage ist, zeigt eine Meinungsumfrage von Voxmeter für die Nachrichtenagentur „Ritzau“. Demnach sprachen sich im März nur 41 Prozent der Befragten dafür aus, der Ukraine dänische Kampfflugzeuge zur Verfügung zu stellen, wenn dies im Verbund mit anderen Ländern geschieht. 34 Prozent waren dagegen, und 25 Prozent hatten dazu keine Meinung. Deutlicher fällt das Credo gegen Waffenlieferungen bei einem Alleingang Dänemarks aus. 60 Prozent lehnen diese ab. In Deutschland ist die Mehrheit einer Umfrage aus dem Februar zufolge gegen Kampfjets für die Ukraine. 64 Prozent der Befragten lehnen das ab.

Trotz der offenbaren Ablehnung in der Bevölkerung wird deutlich, dass der Krieg das alte Blockdenken zwischen West und Ost wieder zutage gefördert hat. Dabei gehört es eigentlich in eine Schublade der Geschichte. Die Fronten sind verhärtet, und von einem Dialog sind die Kriegsparteien sowie deren Unterstützer weit entfernt.  

Angesichts der möglichen Szenarien in beide Richtungen ist die Zurückhaltung verständlich, aber sie kostet aktuell Menschenleben – jeden Tag. Weil ein Frieden in weite Ferne gerückt ist und Russland an seinen Absichten weiterhin festhält, ist die Frage daher nicht, ob Kampfflugzeuge an die Ukraine geliefert werden – sondern wann.

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