Geschichte
Besuch im KZ Ladelund: Was vom Grauen übrig blieb
Besuch im KZ Ladelund: Was vom Grauen übrig blieb
Besuch im KZ Ladelund: Was vom Grauen übrig blieb
Nur wenige wissen, dass auch in Schleswig-Holstein Konzentrations-Außenlager und zahlreiche Lager für Zwangsarbeiter existierten. Wie eine Schulklasse den Exkurs in die Vergangenheit erlebt.
Barfuß und mit dünnen Lumpen am Körper hievten die Häftlinge Schaufel um Schaufel Erde aus dem Graben. Die Körper bibbernd im novemberkalten Grundwasser. Nass gingen sie abends schlafen, um am nächsten Morgen mit gefrorenen Hosen wieder aufzuwachen. Wenn sie denn überhaupt aufwachten.
Als der Gedenkstättenleiter Raimo Alsen die Bedingungen im Konzentrationslager Ladelund schildert, kann man das Entsetzen in den Gesichtern vieler Schüler, die heute mit ihren Lehrern in die Gedenkstätte gekommen sind, deutlich sehen. Sie gehen in die 9. Klasse der Gemeinschaftsschule Schafflund, sind 15, 16 Jahre alt und gehören einer Generation an, in der kaum noch Familienangehörige aus dem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte erzählen können – weil selbst die Großeltern erst nach dem Krieg geboren wurden oder noch zu klein waren, um sich an die Erlebnisse zu erinnern. Und der Pädagoge weiß: „Gedenkstätten sind verunsichernde Orte.“
Im Geschichtsunterricht haben die Schüler das Thema Nationalsozialismus behandelt, Pflichtstoff in Klasse 9. Ihr Lehrer Martin Hansen setzt dabei auch auf Filme. „Die Schüler reagieren immer heftig, haben nicht selten Tränen in den Augen“, erzählt er. „Aber so ein Besuch hier ist noch viel wichtiger. Sie müssen das vor Ort sehen und erleben.“
Namen und Nummern
Deshalb bringt der Pädagoge drei Personen ins Spiel, die er mit großformatigen Bildern vorstellt: den bereits erwähnten Pastor Johannes Meyer, den überlebenden Häftling Jannes Priem (2013 verstorben) und den sadistischen Lagerkommandanten Hans Griem. Alle drei spielen auch in der Ausstellung eine Rolle, sie stehen exemplarisch für die grausame Episode in diesem eisig kalten nordfriesischen Spätherbst 1944.
Raimo Alsen erzählt auch von den Kapos – Häftlingen, die zu Mitarbeitern der Lagerleitung wurden und zur Aufgabe hatten, andere Häftlinge zu schlagen, die zu langsam arbeiteten. „Die Kapos wussten: Wenn sie nicht genug prügeln, verlieren sie ihren Status wieder“, erklärt der Pädagoge das perfide System.
Als die Schüler sich schließlich in der Ausstellung umsehen, bildet sich nach und nach eine immer größere Menschentraube an einer Info-Tafel mit dem Titel „Das Lagersystem“. Zuerst steht dort ein Junge, vertieft in die Schleswig-Holstein-Karte, die übersät ist mit kleinen gelben Punkten. Jeder einzelne steht für ein Zwangsarbeitslager.
Davon gab es Hunderte im Land. Schüler kommen hinzu, bleiben ebenso hängen. Das Erstaunen, gemischt mit Entsetzen, steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Finger wandern über die Karte. „Guck mal, da wohne ich. Da war auch sowas“, sagt ein Mädchen und zeigt auf den Ort Stadum.
Das ist genau die Reaktion, die sich Raimo Alsen bei der Konzeption der Schau gewünscht hat. Ein Moment der Erkenntnis, ein Gedankenanstoß, weil die Schüler merken, dass Geschichte auch bei ihnen vor der Haustür spielt.
Er gesellt sich zu der Schülergruppe und erklärt: „Das waren natürlich nicht alles so große Lager wie hier.“ „Na das reicht ja schon“, sagt der Junge, der als Erster gefesselt vor der Karte stand, und geht mit einem Kopfschütteln weiter. „Einfach krass“, platzt es aus seiner Mitschülerin heraus.
Wie wird mit der Geschichte umgegangen?
„Mit 15, 16 Jahren sind Schüler in der Lage, das Thema von der psychologischen Entwicklung her zu durchdringen“, sagt Raimo Alsen. Zum Schluss, im Stuhlkreis, wirft er ein Foto in die Mitte. Ein großer Gedenkstein mit der Aufschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Dieser Stein liegt dort, wo das eigentliche Lager einst stand – rund einen Kilometer von der Ausstellung und den Gräbern entfernt. Rundherum stehen ein paar alte Bäume und eine Informationstafel, ansonsten wächst Getreide, so weit das Auge reicht. Denn die letzte Baracke wurde 1970 abgerissen. „Nicht uninteressant, dass da nichts mehr zu sehen ist, oder?“, fragt er in die Runde. „Das zeigt, wie man hier mit Geschichte umgegangen ist.“
Würde, Ethik, Erinnerungskultur – all das spielt bei einem Rundgang durch die Gedenkstätte eine große Rolle. Doch Alsen weiß, dass Heranwachsende mit diesen Begriffen oft noch wenig anfangen können. Jedoch hofft er, dass sie eines aus ihrem Besuch in Ladelund mitnehmen: „Dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist und man immer dafür kämpfen muss.“