„Hope and Despair“

Grenzenlose Erinnerungskultur bislang ohne Minderheit

Grenzenlose Erinnerungskultur bislang ohne Minderheit

Grenzenlose Erinnerungskultur bislang ohne Minderheit

Flensburg
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Hedwig Wagner
Professorin Hedwig Wagner betreut das Projekt vonseiten der Europa-Universität Flensburg. Foto: EUF

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Das Interreg-Projekt „Hope and Despair“ soll bis Ende 2026 in Ergebnisse münden. Die Universität Flensburg soll die deutschen und dänischen Projektpartner bei der Gedenkstättenarbeit und der digitalen Erinnerungskultur unterstützen. Professorin Hedwig Wagner über die ersten Schritte eines Projekts, bei dem die deutsche Minderheit noch nicht dabei ist.

„Ich bin 2016 an die Europa-Universität gekommen, weil ich mich schon immer für Grenzen interessiert habe“, sagt Hedwig Wagner. Nun betreut die Professorin für Europäische Medienwissenschaft ihr erstes Interreg-Projekt. „Hope and Despair“ (Hoffnung und Verzweiflung) soll die Erinnerungskultur zwischen Deutschland und Dänemark aufrechterhalten und eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gedenkstätten zum Ziel haben.

Hilfe bei Gedenkstättenarbeit

„Hope and Despair“ soll bis Ende 2026 in Ergebnisse münden. Die Universität soll die deutschen und dänischen Projektpartner bis dahin dabei unterstützen, wie Gedenkstättenarbeit funktioniert und wie eine digitale Erinnerungskultur anhand konkreter geschichtlicher Ereignisse möglichst authentisch vermittelt werden kann. 

Dabei geht es um eine Stärkung der Zusammenarbeit der Gedenkstätten über die Grenze hinweg, die es in dieser Form bisher nicht gegeben hat. Und noch mehr: „Das Projekt soll unter anderem die Frage beantworten, ob es eine europäische Erinnerungskultur gibt, eine europäische Identität“, sagt Wagner dem „Nordschleswiger“. 

Wir waren bei allen Projektpartnern zu Beginn vor Ort, und es wurde deutlich, dass bislang eine rein nationale Sicht vorherrscht.

Hedwig Wagner

Verschiedene Sichtweisen beleuchten

Die transnationale Erinnerungskultur, also auch die deutsch-dänische, müsse avanciert werden. „In lokaler und regionaler Forschungsliteratur wird sehr differenziert, da muss das Europäische erst noch ankommen“, sagt Wagner. „Da ist noch viel Arbeit zu leisten.“ Die Zusammenarbeit bei „Hope and Despair“ soll daher auch die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Zweiten Weltkrieg beleuchten und im besten Fall eine gemeinsame Erinnerungskultur schaffen.

„Wir waren bei allen Projektpartnern zu Beginn vor Ort, und es wurde deutlich, dass bislang eine rein nationale Sicht vorherrscht“, sagt Wagner. Aus deutscher Sicht etwa sei die Erinnerungskultur besonders wichtig.

„Wir haben dieses Projekt initiiert, weil es so viel Potenzial für eine spannende Zusammenarbeit zwischen deutschen und dänischen Gedenkstätten und auch zwischen den verschiedenen Erinnerungskulturen gibt“, umriss Projektleiterin Sune Gudiksen von der Design Skole Kolding das Ziel des Projekts bei einer früheren Veranstaltung an der Europa-Universität im März.

Verschiedene Zielgruppen

Praktisch soll das Projekt verschiedene Zielgruppen erreichen. „Es gibt im Prinzip drei Sichtungen“, sagt Wagner. „Die eine hat Kulturtouristinnen und -touristen zum Ziel, also Paare ab 50 Jahren ohne Kinder, die an Kulturgeschichte interessiert sind und die dafür auch für einen Kurzurlaub kommen“, so die Hochschuldozentin. Diese wollten keine fertigen Pakete buchen, sondern frei wählen, welche Angebote sie nutzen wollen.

Der zweite Arbeitskreis richtet sich an Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte, sagt Wagner. Dabei sollen auch außerschulische Bildungseinrichtungen einbezogen werden. „Die Zielgruppe hat einen anderen Blick als die Menschen im Alter 55+.“ 

Ein dritter Bereich werde eine Ausstellung sowie Special Events umfassen. „Das kann eine Wanderausstellung sein und so etwas wie ein Kultur- und Geschichtsfestival.“ Außerdem soll eine App erarbeitet werden, die die Orte in Nord- und Südschleswig verbindet. 

Flensburger Geschichte

Die Universität möchte Flensburg gerne als zusätzlichen Standort mit hineinnehmen. Zwar sei hier keine Gedenkstätte im eigentlichen Sinne zu finden, so wie es bei den Projektpartnern in Fröslee (Frøslev), Husum-Schwesing oder Ladelund der Fall ist, die letzten Tage des Dritten Reiches in Flensburg seien jedoch besonders geschichtsträchtig, so Wagner. „Wir müssen hier einen Ansatzpunkt und eine Herangehensweise finden – wer waren die Täter, wer die Opfer.“ In keinem Falle wolle man eine Pilgerstätte für Neonazis schaffen. „Wir sollten aber zeigen, dass Flensburg ein Ort ist, an dem in den letzten Kriegstagen einiges schiefgegangen ist.“

Heute gibt es in Flensburg keine offizielle Stadtführung, die sich mit Flensburg in den letzten Kriegswochen beschäftigt. Das moniert auch der Journalist und Historiker Hans Christian Davidsen, der zu dem Thema ausführlich im Januar auf der Sankelmark-Tagung sprach. Dieser Teil der Geschichte Flensburgs sei zu unsichtbar, so die Kritik des Kulturredakteurs von „Flensborg Avis“. 

Wagner fragt sich in dem Zusammenhang, wie Flensburg die Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren im kommenden Jahr angehen sollte. Sie selbst habe als Zugezogene seit 2016 über die Geschichte recherchiert und kennt auch die deutsche Minderheit in Nordschleswig.  

Um das Grenzland noch besser zu verstehen, lernen Wagner und zwei weitere Mitarbeitende am Projekt seit zwei Jahren Dänisch. Um neben den touristischen Zielen mehr über das, was auf der anderen Seite passiert, zu erfahren, müsse man sich aktiv bemühen. 

Ich vermute, dass wir nicht ganz ins Bild des Projekts gepasst haben.

Hauke Grella

Minderheit bisher kein Teil des Interreg-Projektes

Die Minderheit während der Naziherrschaft ist allerdings kein Teil des Interreg-Projektes. „Hope and Despair ist eher an die Mehrheitsgesellschaft adressiert, was nicht heißen soll, dass die Minderheit ausgeschlossen wird.“ Vielmehr seien die Projektpartner offizielle Gedenkstätten, was die Bildungsstätte Knivsberg (Knivsbjerg) und das Deutsche Museum Nordschleswig nicht sind, vermutet Wagner. 

Museumsleiter Hauke Grella hätte eine Teilnahme nicht ausgeschlagen, wie er auf Nachfrage sagt. „Wir wissen heute, dass viele Angehörige der Minderheit nachweislich im Konzentrationslager Neuengamme gearbeitet haben und auch aus Ladelund gibt es Gerüchte.“ Es wäre also spannend gewesen. „Ich vermute, dass wir nicht ganz ins Bild des Projekts gepasst haben“, so Grella. Die Gedenkstätte am Knivsberg sei ein Monument des Umgangs mit der Geschichte, aber kein Ort, an dem – wie etwa in Fröslee – etwas historisch passiert ist. „Daher ist der Fokus bei Hope and Despair eventuell ein anderer.“

Ergänzung denkbar

Aufklären kann Sune Gudiksen, Projektleiter an der „Design Skolen Kolding“. „Solche Projekte werden zunächst von einer Reihe von Partnern, die die Energie und die Kräfte haben, zusammengestellt und dann dort ausgebaut, wo es sinnvoll ist.“ So habe man zum Beispiel einige Standorte in Flensburg und Kiel hinzugenommen. 

„Es ergibt unmittelbar Sinn, den Knivsberg und das Deutsche Museum Nordschleswig als weitere Ergänzung zu bekommen“, so Gudiksen, der Grella direkt zu Gesprächen eingeladen hat. 

„Ich hoffe, dass wir durch das Interreg-Projekt auf längere Sicht zusammenarbeiten werden und dass es weitere Projekte geben wird“, so Hedwig Wagner. 

 

Der Artikel wurde am 3. April um die Aussagen von Sune Gudiksen ergänzt. 

Wer ist bei „Hope and Despair“ dabei?

  • Museen
    • Billund Kommunes Museer 
    • Museum Kolding
    • Frøslev-Lager Museum
    • KZ-Gedenkstätte Ladelund
    • KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing 
    • Jüdisches Museum Rendsburg
    • KZ-Gedenkstätte Neuengamme
  • Hochschulen
    • Designskolen Kolding
    • UC SYD Sonic College 
    • Europa-Universität Flensburg 
    • Fachhochschule Kiel
  • Tourismusagenturen
    • Destination Trekantområdet
    • Destination Sønderjylland
    • Tourismusagentur Flensburger Förde

 

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