Erderwärmung

Der Klimawandel löst in der Arktis tödliche Erdrutsche aus

Der Klimawandel löst in der Arktis tödliche Erdrutsche aus

Der Klimawandel löst in der Arktis tödliche Erdrutsche aus

Kopenhagen
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Eine Flutwelle spülte 2017 mehrere Häuser in Nuugaatsiaq im nördlichen Grönland ins Meer. Ein Forscherteam kommt zu dem Ergebnis, dass solche Katastrophen sich häufen werden. Foto: Arktisk Kommando/Ritzau Scanpix

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Bereits vor 70 Jahren kostete eine Flutwelle, die durch einen Erdrutsch ausgelöst wurde, einen Menschen in Grönland das Leben. Ausgelöst wurde er durch den schmelzenden Permafrost, wie eine neue Studie zeigt. Und das Problem wird laufend größer. 

Malik Niemann ist ein erfahrener Hubschrauberpilot. Er hat unter schwierigsten Verhältnissen in Grönland unzählige Rettungseinsätze geflogen. Als er am Abend des 17. Juni 2017 in Uummannaq im nordwestlichen Grönland in seinen Hubschrauber stieg, war er jedoch nicht auf die Eindrücke vorbereitet, mit denen er wenig später konfrontiert werden sollte.

„Es war das Schlimmste, das ich je gesehen habe“, sagt er drei Tage später dem Medium „Sermitsiaq.AG“ über den Anblick, der sich ihm bot, als er auf die Ortschaft Nuugaatsiaq zuschwebte.

Gespenstiger Anblick

Wenige Stunden zuvor war 32 Kilometer von dem 100-Seelen-Dorf entfernt ein 1.000 Meter langer und 300 Meter breiter Erdrutsch in den Karrat Fjord gestürzt. Sieben Minuten später erreichte eine etwa zehn Meter hohe Flutwelle Nuugaatsiaq. Die Häuser wurden von den Wassermassen wie Bauklötze durch die Gegen geschleudert, einige von ihnen in den Fjord hinausgezogen.

„Es war völlig unwirklich, fast wie in einem Geisterfilm“, berichtet Niemann, der die ihm gut bekannte Ortschaft kaum wiederzuerkennen vermochte.

Die Bewohnerinnen und Bewohner entdeckte er frierend und schockiert auf einem höher gelegenen Gelände. Eine Familie von vier Personen hatte es nicht geschafft; sie verschwand mitsamt ihrem Haus im Fjord.

 

Der Erdrutsch, der für Nuugaatsiaq schwerwiegende Folgen hatte Foto: Arktisk Kommando/Ritzau Scanpix

Der Tsunami 1952

Es war nicht das erste Mal, dass ein durch einen Erdrutsch ausgelöster Tsunami in Grönland Menschen das Leben gekostet hat. 1952 ertrank ein Fischer, nachdem ein Erdrutsch vom Niiortut-Berg an der grönländischen Westküste ins Meer gestürzt war.

Das Institut für geologische Studien in Dänemark und Grönland, GEUS, konnte jetzt die Ursache des Erdrutsches klären: Es ist der Klimawandel. Eine zweite, noch beunruhigendere Erkenntnis ist, dass die Erdrutsche und damit die Flutwellen in Zukunft häufiger werden.

„Studien historischer Erdrutsche in der Arktis sind wichtig, um zu verstehen, wie hoch das Risiko ist, dass ähnliche Ereignisse in der Zukunft eintreffen“, sagt Kristian Svenning, Seniorforscher bei GEUS, laut der Homepage des Instituts.

Der Permafrost schmilzt

Er ist Hauptautor einer Studie des 1952-Erdrutsches, die kürzlich in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Science of The Total Environment“ veröffentlicht worden ist. Das Wissen über diese durch Erdrutsche ausgelösten Tsunamis in der dünn besiedelten Arktis ist spärlich. In Grönland ist neben dem 2017-Erdrutsch bislang nur ein weiterer im Jahr 2000 untersucht worden.

Historische Fotos geben Aufschluss: Der Vergleich zwischen vor und nach dem Erdrutsch hilft dem Forscherteam, den Umfang einzuschätzen. Der grüne Pfeil zeigt die spätere Abbruchkante. Foto: GEUS

In mühsamer Kleinarbeit haben Svenning und sein Team nach 70 Jahren die Ursachen des Niiortut -Erdrutsches zusammengestückelt: Der Permafrost war bis tief in den Berg hinein geschmolzen.

„Normalerweise können die saisonbedingten Schwankungen den Permafrost maximal bis zu einer Tiefe von 10 bis 15 Metern beeinflussen. Die Bruchfläche des Erdrutsches befand sich jedoch 80 Meter tief im Berghang“, erläutert der Seniorforscher.

Nur Erderwärmung kommt als Auslöser in Frage

Seine Erkenntnis: Der Erdrutsch wurde nicht durch die Sommerwärme, sondern durch ein generelles Schmelzen des Permafrostes ausgelöst.

„Wir schlussfolgern, dass der Niiortuut-Erdrutsch geschah, weil der Permafrost nach zwei bis drei Jahrzehnten der Erderwärmung seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen kritischen Punkt erreicht hatte. Das Gleiche war bei einem fast identischen Erdrutsch im Juni 2021 der Fall, der sich im gleichen Gebiet ereignete“, so Svenningsen.

Der Erdrutsch im Video:

Das Forscherteam sieht die Erdrutsche als Zeichen, dass der Permafrost immer schneller taut. Sie erwarten daher, dass immer mehr Erdrutsche und Tsunamis vom Klimawandel ausgelöst werden.

Das Problem wird dadurch verschärft, dass der Temperaturanstieg in der Arktis doppelt so hoch ist, wie im globalen Durchschnitt. Dagegen tragen die arktischen Regionen nur in bescheidenem Umfang zum CO2-Ausstoß bei. Schmilzt der Permafrost wird in einigen Regionen Methan freigesetzt, dass seinerseits zum Klimawandel beiträgt. 

In Nuugaatsiaq konnten Malik Niemann sowie zwei weiterer Hubschrauberpiloten die überlebenden Bewohnerinnen und Bewohner bergen. In ihren Heimatort zurückkehren können sie nicht: Ein weiterer Berghang droht in den Karrat Fjord zu stürzen. Ein Warnsystem, dass frühzeitig genug einen kommenden Erdrutsch registrieren kann, gibt es nicht.

Die Flutwelle, die Nuugaatsiaq zerstörte, im Video: 

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Leitartikel

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
„Europäischer Erdrutsch“