Umwelt und Natur

Dänisches Forschungsprojekt: Wenn KI vor Küstenverlusten warnt

Dänisches Forschungsprojekt: Wenn KI vor Küstenverlusten warnt

Dänisches Forschungsprojekt: Küstenschutz mit KI

Christoph Schumann/shz.de
Aalborg
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Møns Klint
Møns Klint geriet vor einiger Zeit in die Schlagzeilen, als große Teile der Kreidefelsen ins Meer stürzten. Foto: Victor Tenibor/Unsplash

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Studentinnen und Studenten aus Aalborg haben mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) am Beispiel des Vejle Fjords ein Modell erstellt, mit dem drohende Erdrutsche an den Küsten erstmals frühzeitig erkannt werden.

„Rolf“ suchte Dänemark erst Anfang Februar heim. „Pia“ traf die mehr als 7.000 Kilometer lange Küstenlinie Ende vergangenen Jahres. Die Herbst- und Winterstürme fügen den Ufern von Jahr zu Jahr größere Verluste zu. Und das gilt nicht nur für materielle Schäden in Form von ganz oder teilweise beschädigten Ferienhäusen, Booten oder Kaianlagen wie nach der Sturmflut im Oktober.

Vor allem Erdrutsche, wie jüngst an einer der bekanntesten Küstenlinien, bereiten Expertinnen und Experten zunehmend Sorge: Im Januar stürzte ein großer Teil der Steilküste von Møns Klint auf der Ostseeinsel Møn ins Meer. Insgesamt bildete sich an den Kreidefelsen, die erst seit Kurzem auf der Vorschlagsliste zum Unesco-Welterbe stehen, eine rund 200 Meter lange Halbinsel.

Møns Klint wurde aus Sicherheitsgründen für die Öffentlichkeit gesperrt

Kreide, Sand und Bäume sowie Teile eines Wanderweges wurden von der Naturgewalt weggerissen. Nun kommen Erdrutsche an Møns Klint, ähnlich wie an der nicht weit entfernten Steilküste Stevns Klint oder an den geologisch verwandten Kreidefelsen auf Rügen, häufig vor – allerdings nicht in diesem Ausmaß. Fast gleicht es einem Wunder, dass Touristinnen und Touristen, die den Erdrutsch auf Møn bei einem Strandspaziergang miterlebten, nicht verletzt wurden.

Møns Klint wurde aus Sicherheitsgründen für die Öffentlichkeit gesperrt, aber erst nachdem die Erdrutsche eingetreten waren und es also schon zu spät war. Denn noch ist es nicht möglich vorherzusagen, wann Erdrutsche dieser Art auftreten werden. Und angesichts des Klimawandels mit stärkerem Wind, besonders aber häufigerem und ergiebigerem Niederschlag, steigt die Gefahr ständig. Hinzu kommen menschengemachte Eingriffe in die Umwelt, wie die Versiegelung von Flächen durch Gebäude, Autobahnen oder Brücken.

Vorhersage von Erdrutschen: Vier Studierende entwickeln ein Modell

Helfen könnte jetzt modernste Computertechnik: Erstmals ist es einer Gruppe von vier Studierenden der Vermessungstechnik an der Universität Aalborg (AAU) gelungen, mit Hilfe Künstlicher Intelligenz ein Modell zu entwickeln, das die Wahrscheinlichkeit von Erdrutschen berechnet. 

Im Rahmen ihres Semesterprojekts beschäftigten sich die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dazu intensiv mit einer ausgewählten Region: der Steilküste Trelde Klint am Vejle Fjord.

„Es ging zunächst nur um einen Modellversuch, der zeigen sollte, ob KI hier wirklich sinnvoll einsetzbar ist oder nicht“, sagt Lars Bodum im Gespräch mit „shz.de“. Der Professor am Institut für Nachhaltigkeit und Planung (Institut for Bæredygtighed og Planlægning) ist aber bereits nach dem ersten Ergebnis von der neuen Methode überzeugt: „Das Modell hat großes Potenzial. Allerdings würde die Berechnung des Erdrutschrisikos für ganz Dänemark deutlich mehr Forschungsmittel erfordern.“ So war das studentische Projekt aus Ressourcengründen auf ein Gebiet am Vejle Fjord beschränkt.

KI ist besonders gut darin, im Chaos Muster zu erkennen

Um eine Karte des Erdrutschrisikos zu erstellen, wandten sich die Studierenden einem Zweig der Künstlichen Intelligenz zu, dem sogenannten maschinellen Lernen. Das bedeutet, dass der Computer auf der Basis eingegebener Daten allmählich schlauer wird. Die Studierenden hatten Zugang zu einer Karte von mehr als 3.000 früheren Erdrutschen in Dänemark, die sie in den Computer eingaben.

Künstliche Intelligenzen sind ja besonders gut darin, im Chaos Muster zu erkennen. So haben sie beispielsweise in der Medizin anhand riesiger Datensätze gelernt, auf Bildern Hautkrebs zu diagnostizieren. In der Justiz werden sie auf das Registrieren von Hasskriminalität im Internet trainiert. Gleiches taten nun die Geodäsie-Studierenden der AAU: Sie fütterten ihre Rechner mit genau den Bedingungen, die herrschten, nach denen Erdrutsche in der Vergangenheit auftraten.

„Wenn zum Beispiel bekannt ist, dass ein Wolkenbruch in einem bestimmten Gebiet einen Erdrutsch ausgelöst hat, kann der Computer die Wahrscheinlichkeit abschätzen, dass dieser nach einem ähnlichen Wolkenbruch erneut auftritt“, so Lars Bodum. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, umso besser wird die KI darin, die Wahrscheinlichkeit von Erdrutschen in ähnlichen Situationen zu berechnen.

Der Klimawandel erhöht das Risiko von Erdrutschen

Erdrutsche wurden in Dänemark bislang nicht so sehr als Bedrohung wahrgenommen wie etwa in Norwegen und den Alpenländern, wo die Gefahr aufgrund von Bergen und großen Flüssen viel größer ist. Dennoch hat der Geologische Dienst für Dänemark und Grönland (GEUS) bisher rund 3.200 größere und kleinere Erdrutsche kartiert. Und das Risiko von Erdrutschen wird aufgrund des Klimawandels mit feuchterem und stürmischerem Wetter steigen, sagen Geologen voraus.

„Andere Studien haben gezeigt, dass auch ein erhöhter Grundwasserspiegel in einem Gebiet durch stärkere lokale Niederschläge ein wichtiger Faktor für die Zahl und Größe nachfolgender Erdrutsche dort ist. Darum müssen wir die Entwicklung im Auge behalten und unsere Modelle besser an die heutige Realität anpassen, um das Risiko von Erdrutschen noch präziser vorhersagen zu können“, unterstreicht Lars Bodum.

Der Forscher ist davon überzeugt, dass das jetzt im kleinen Maßstab angewandte Projekt in großer Skala von Nutzen sein kann: „Das Ergebnis ist wissenschaftlich dokumentiert und veröffentlicht. Wenn es finanzielle Mittel gäbe, würden wir gern weiter daran arbeiten und aufs ganze Land schauen. Ich bin aber sicher, dass unser kleiner Versuch zum Beispiel in Zusammenarbeit mit den dänischen Umwelt- und Naturschutzbehörden die Überwachung und Prognose von Erdrutschen deutlich verbessern kann.“

Professor: Übertragbar auch auf deutsche Küsten

Auch an eine Übertragbarkeit etwa auf Deutschland mit ähnlichen Küstenlinien von Nordsee und Ostsee glaubt er. „Das Projekt könnte im Prinzip in allen Teilen der Welt relevant sein und ist eher Ausdruck der Tatsache, dass wir mit dem Zugang zu mehr Daten die Wahrscheinlichkeit geologischer und geophysikalischer Ereignisse besser vorhersagen können“, sagt Lars Bodum. „Das ist ein großer Unterschied und Vorteil gegenüber der Vergangenheit – denn bisher konnten wir die Ereignisse nur kartieren, wenn sie schon eingetreten waren.“

Ein weiteres Ziel der Forschenden in Aalborg ist die Verknüpfung von messtechnischen Beobachtungen mit aktuellen Klimaveränderungen im Zusammenhang mit Erdrutschen. Bodum: „An mehreren Orten in Dänemark werden im Vergleich zu früher relativ viele Erdrutsche beobachtet. Hier besteht ganz klar ein Zusammenhang mit zunehmenden Niederschlägen, steigendem Grundwasser sowie mehr und stärkeren Stürmen. Wir wissen jedoch nicht, wie schnell dies geschieht und an welchen konkreten Orten die Gefahr von Erdrutschen am größten ist. Da kann uns die KI weiterbringen.“

Erdrutsche am KI-Modell

Im Rahmen ihres Geodäsie- bzw. Vermessungstechnikstudiums kartierten vier Studierende der Universität Aalborg die Küstenregion Trelde Klint am Vejle Fjord. Mithilfe Künstlicher Intelligenz und auf Basis von mehr als 3.200 früheren Erdrutschen in Dänemark und auf Grönland erstellten sie eine Landkarte, die erstmals das Risiko kommender Küstenrutsche vorhersagt. Betreut wurde das Projekt des achten Semesters von Lars Bodum, Professor am Institut für Nachhaltigkeit und Planung. Das Ergebnis wird im Fachmagazin „International Journal of Geo-Information“ unter dem Titel veröffentlicht: „Landslide Susceptibility Mapping Using Machine Learning: A Danish Case Study

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