Leitartikel

„Søren Krarup in memoriam“

Søren Krarup in memoriam

Søren Krarup in memoriam

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Pastor Søren Krarup war eine über Jahrzehnte in Dänemark höchst umstrittene Person, aber nach seinem Tode würdigen selbst alte Gegner seine Persönlichkeit. Der frühere Chefredakteur und Leiter des deutschen Sekretariats in Kopenhagen von 1983-2007, Siegfried Matlok, beschreibt historische Verdienste, die sich Søren Krarup bei der Kommunalreform für die deutsche Minderheit erworben hat. Matlok verrät, was die Öffentlichkeit gar nicht weiß: Ohne ihn hätte es heute ganz anders ausgesehen!

Nachrufe sind – bei aller Trauer über den Verlust – oft mit etwas Vorsicht zu lesen. Das gilt auch für die zahlreichen Beileidsbekundungen anlässlich des Todes von Pastor Søren Krarup, der im Alter von 85 Jahren verstorben ist. Und doch, hier ist nicht nur zwischen den Zeilen zu bemerken, wie sehr viele den Gegner, Erzfeind von einst, in Nachrufen würdigen. Dass DF-Parteigründerin Pia Kjærsgaard Krarups herausragende Bedeutung für ihre Partei hervorhebt – die er ja übrigens 2022 nach dem DF-Austritt seiner Tochter Marie Krarup ebenfalls aus Protest verlassen hatte – und besonders seine intellektuelle Strahlkraft nicht nur für sich persönlich betont, ist nicht überraschend. Bemerkenswerter ist jedoch, dass jene, die ihn jahrzehntelang bekämpften, ja verteufelten, heute sein Lebenswerk mit Anerkennung und Respekt sogar als Leuchtturm in der dänischen Politik quittieren.

Als junger Pastor in Seem bei Ripen (Ribe) trat er frühzeitig in die Fußstapfen seines theologischen Vaters und setzte dessen Zeit- und Kampfschrift „Tidehvervet“ fort, deren Leitlinien der evangelisch-reformierte Schweizer Theologe Karl Barth Krarup nationalkonservativ interpretierte. In Dänemark im Gegensatz zu Grundtvig und nicht zuletzt im Widerstand gegen die Kulturradikalen (Brandes). Krarup war nicht Politiker, auch nie Parteipolitiker, aber er hatte frühzeitig eine politische Botschaft: Die liberale Ausländerpolitik mit der enormen Einwanderung in den 80er-Jahren betrachtete er als eine große Gefahr für das dänische Volk und für die dänische Kultur, ebenso wie er übrigens als Anhänger eines Europas der Vaterländer bei der Volksabstimmung 1972 und später stets die EWG/EU als für die Nation bedrohlich bekämpfte. Dass er dennoch in die aktive Politik einstieg, in die Dänische Volkspartei, bedeutete für ihn, dass er auf Christiansborg als Politiker eine neue, medial breite Plattform erhielt, die er gemeinsam mit seinem Vetter, dem Pastor Jesper Langballe, nutzte; manche nannten die beiden spöttisch „Dänen-Ayatollahs“.

Die Dänische Volkspartei erlebte ihren Höhenflug, als die Partei 2015 mit 21,7 Prozent sogar die größte bürgerliche Partei des Landes wurde. Da DF in den Jahren der Venstre-geführten Regierungen unter Fogh und Lars Løkke parlamentarische Mehrheits-Garantien übernahm, hatte sie in der Rolle als Zünglein an der Waage großen politischen  Einfluss. Paradox genug erst ausgebremst, als die Sozialdemokraten DF „rechts“ zu überholen begannen und seitdem unter der Regie von Mette Frederiksen eine stramme Ausländerpolitik führen, die den humanistischen Idealen früherer Zeiten oft genug widerspricht. So konnte Krarup nach seinem Verzicht auf die Folketingsmitgliedschaft (2001-2011) zuletzt nicht ohne eine gewisse Genugtuung feststellen, dass der berühmte Systemwechsel 2001 mit seiner Wende heute in großen Teilen der Ausländer- und Asylpolitik seine handschriftlichen Züge trägt.

Obwohl DF bei Folketingswahlen hohe Stimmenanteile in der deutschen Volksgruppe verbuchte, war Krarup auch in der deutschen Minderheit nicht unumstritten. Im Gegenteil, junge „Himmelstürmer“ protestierten gegen ihn bei einem Besuch im Generalsekretariat des Bundes deutscher Nordschleswiger, was ihn persönlich verletzte. Dennoch hat er großen Einfluss auf die Geschicke der deutschen Minderheit genommen.

Als damaliger Kopenhagener Sekretariatsleiter musste ich im politischen Spiel um die Kommunalreform, die nach den Worten des damaligen Hauptvorsitzenden Hans Heinrich Hansen sogar das Überleben der Volksgruppe gefährden konnte, auch DF ins Boot holen, was mir auch von der sozialdemokratischen Opposition mit folgenden Worten empfohlen wurde: Du musst mit Krarup sprechen.

Ich führte mehrere Gespräche mit Krarup – ein großer wertschätzender Kenner deutscher Kultur, der mir übrigens als Ex-Fußballer alle Namen der deutschen Weltmeister-Elf von 1954 in Bern aufzählen konnte. Und Krarup, der mit meinem Onkel, dem dänischen Pastor in Glücksburg, Werner Matlok befreundet war, sicherte mir sofort ohne Wenn und Aber seine parlamentarische Unterstützung zu. Obwohl bei manchen in den eigenen Reihen als Deutschen-Feind verschrien, verfolgte er nationalpolitisch die Devise: Was ich der dänischen Minderheit wünsche, das gilt auch für die Rechte der deutschen Minderheit. Streitfragen wie seine Südschleswig-Politik mit dem ewigen Traum „Genforening“ oder die von DF herbeigeführten ersten Grenzkontrollen wurden strittig ausgetragen, änderten aber nichts an seiner Bereitschaft, uns aktiv zu helfen. Wenn man bedenkt, dass der damalige Innenminister Lars Løkke der Minderheit anfangs nur einen sogenannten Insel-Ausschuss praktisch ohne Rechte zubilligen wollte, dann ist es Krarup zu verdanken, dass in der Kommunalreform am Ende Lösungen gefunden wurden, die Zukunftssicherung gewährten – und die auch noch unsere eigenen Erwartungen weit übertrafen. Bei Gesprächen mit Krarup  wurde zwischen uns ein Text vereinbart, der dem zuständigen Innenministerium per Fax zugeleitet wurde und der Løkke unmissverständlich signalisierte, was Mehrheitsbeschaffer DF zum Schutz der deutschen Minderheit von ihm politisch verlangte.  

Es gab später Leute in der Minderheit, die die Ansicht vertraten, man hätte auf jede DF-Hilfe verzichten können, um saubere Hände zu bewahren, aber das war parlamentarisch naiv, denn ohne Krarup hätten wir niemals einen solchen Kompromiss zwischen Regierung, Folketing und Volksgruppe erreicht. Auch in Schulfragen war er entscheidend behilflich, ja Unterrichtsminister Bertel Haarder musste sogar nach wenigen Stunden die nach einem Vergleich bereits verkündeten Einsparungen gegen die Schulen der deutschen Minderheit rückgängig machen, nachdem Krarup sein Veto eingelegt hatte – übrigens mitten beim Tapezieren der eigenen Wohnung.  

Und noch eine Episode ist mir in bester Erinnerung: Als der deutsche Botschafter in Kopenhagen mich in die Residenz Vestagervej 9 einlud, um mir ehrenvoll einen deutschen Orden zu verleihen, schickte ich ihm auf seinen Wunsch auch eine dänische Gästeliste: mit Namen wie Poul Schlüter aber auch mit Søren Krarup. Der Botschafter lehnte die Teilnahme von Krarup strikt ab, weil er nach Ansicht Berlins dadurch (außen-)politisch in Bedrängnis geraten könnte, doch „unter der Hand“ bat er mich, im Folketing zu sondieren, wie eine Nicht-Einladung von Krarup aufgefasst werden könnte. Die Antwort des von mir vertraulich befragten Folketingspräsidenten lautete unmissverständlich: Wenn Krarup nicht eingeladen wird, dann kommt überhaupt kein dänischer Folketingsabgeordneter zum Empfang. So kam Søren Krarup dann mit Schlüter und seinen Kollegen aus den anderen Parteien doch noch in die Residenz – ohne peinlichen diplomatischen Protokollschaden.

Politisch war ich wahrlich meistens uneinig mit Krarup, aber als damaliger Sekretariatsleiter kann ich heute nur dankbar dafür sein, dass dieser Erz-Däne minderheitenpolitisch weit über seinen und den Schatten anderer sprang und so uns als deutscher Minderheit den heutigen Spielraum zur eigenen kulturellen Entfaltung gesichert hat, den wir seitdem so erfolgreich verwertet haben.  

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