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Vorschlag für frühe Geschlechtsänderung scheidet die Geister

Vorschlag für frühe Geschlechtsänderung scheidet die Geister

Vorschlag für frühe Geschlechtsänderung scheidet die Geister

Ritzau/nb
Kopenhagen
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Pia Kjærsgaard von der Dänischen Volkspartei bezeichnet den Vorschlag der Regierung als „kompletten Wahnsinn“. Foto: Søren Bidstrup/Ritzau Scanpix

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Der Vorschlag der Regierung, eine juristische Geschlechtsänderung bereits ab dem 1. Lebensjahr zu ermöglichen, stößt auf sehr unterschiedliche Reaktionen unter den politischen Parteien. Die einen nennen den Vorschlag „Wahnsinn“, von anderen kommt Unterstützung.

Während die Dänische Volkspartei den Vorschlag der Regierung, Kindern ab dem 1. Lebensjahr die Möglichkeit für eine juristische Geschlechtsänderung zu geben, als „kompletten Wahnsinn“ bezeichnet, weckt er bei den Radikalen und der Einheitsliste, die zugleich Stützparteien der Regierung sind, Begeisterung.

Der Gesetzesvorschlag soll „Jyllands-Posten“ zufolge im Oktober ins Folketing eingebracht werden und die Aufhebung einer unteren Altersgrenze für eine Änderung des juristischen Geschlechts im CPR-Register ermöglichen.

Entsetzen bei Dänischer Volkspartei

„Ich fasse es ganz einfach nicht, dass eine Regierung so etwas vorschlagen kann. Das ist ein Übergriff gegenüber kleinen Kindern. Das kann man ganz einfach in keiner Weise zulassen“, sagt Pia Kjærsgaard, wertepolitische Sprecherin der Dänischen Volkspartei.

„Es gibt nur zwei Geschlechter. Punkt. Dann gibt es einige, die auf die eine oder andere Art weder das eine noch das andere Geschlecht sind, und um die müssen wir uns kümmern. Aber wir müssen uns davor hüten, die ganze Bevölkerung so merkwürdig zu machen, dass man bereits von Geburt an über eine juristische Geschlechtsänderung spricht“, sagt sie.

Ich fasse es ganz einfach nicht, dass eine Regierung so etwas vorschlagen kann. Das ist ein Übergriff gegenüber kleinen Kindern. Das kann man ganz einfach in keiner Weise zulassen.

Pia Kjærsgaard, Dänische Volkspartei

Freude bei der Einheitsliste und den Radikalen

Bei der gleichstellungspolitischen Sprecherin der Einheitsliste, Pernille Skipper, fällt die Reaktion hingegen gänzlich anders aus. Sie freut sich darüber, dass der Gesetzesvorschlag „endlich“ komme.

„Ich finde, dass der Vorschlag, die Grenze auf null Jahre zu setzen, ein Ausdruck von Respekt für das Recht der Familien und Kinder ist, selbst über ihre eigene Geschlechtsidentität zu bestimmen, ohne dass sich die Gesellschaft auf eine bevormundende Art und Weise einmischt, wann man bereit ist, zu dieser Frage Stellung zu beziehen. Das ist ja individuell sehr verschieden“, sagt Pernille Skipper.

Ich finde, dass der Vorschlag, die Grenze auf null Jahre zu setzen, ein Ausdruck von Respekt für das Recht der Familien und Kinder ist, selbst über ihre eigene Geschlechtsidentität zu bestimmen.

Pernille Skipper, Einheitsliste

In der Praxis kaum Nulljährige, die Geschlecht ändern wollen

Die Radikalen haben genau wie die Einheitsliste Druck gemacht, dass der Gesetzesvorschlag ins Folketing eingebracht wird.

„In der Praxis wird es wohl kaum Nulljährige geben, die ihr Geschlecht ändern. Aber es gibt ja einige im Kindergartenalter oder wenn sie in der Schule beginnen, die sich anders als das Geschlecht fühlen, mit dem sie geboren wurden. Deshalb finden wir nicht, dass es eine Altersgrenze geben sollte“, sagt die gleichstellungspolitische Sprecherin der Partei, Samira Nawa.

Entscheidung kann wieder rückgängig gemacht werden

Sowohl Pernille Skipper als auch Samira Nawa verweisen darauf, dass der Beschluss für eine Änderung des juristischen Geschlechts auch wieder rückgängig gemacht werden kann.

In der Praxis wird es wohl kaum Nulljährige geben, die ihr Geschlecht ändern. Aber es gibt ja einige im Kindergartenalter oder wenn sie in der Schule beginnen, die sich anders als das Geschlecht fühlen, mit dem sie geboren wurden.

Samira Nawa, Radikale Venstre

„Es geht ja um eine Zahl (im Personenregister, Red.). Es handelt sich nicht um eine Operation, aber die Leute reden manchmal so, als ob das endgültig wäre“, so Pernille Skipper.

Venstre fordert Altersgrenze von 15 Jahren

Bei Venstre vertritt man die Auffassung, dass die Altersgrenze für eine juristische Geschlechtsänderung bei 15 Jahren liegen sollte.

„Venstre möchte sehr gerne den Kindern und Jugendlichen helfen, die einen ernsthaften Wunsch nach einer Geschlechtsänderung haben. Aber gleichzeitig möchten wir Kinder vor übereilten Entscheidungen schützen“, sagt die gleichstellungspolitische Sprecherin der Partei, Maja Torp.

Børns Vilkår unterstützt jetzt den Vorschlag

Auch vonseiten der Organisation Børns Vilkår kommt jetzt Unterstützung für den Vorschlag der Regierung.

Zu einem früheren Zeitpunkt hatte sich die Organisation zwar für eine Altersgrenze von sechs Jahren ausgesprochen mit Verweis auf die Möglichkeit von Kindern, mit dem Geschlecht in der Schule starten zu können, mit dem sie sich identifizieren.

Wir wissen, dass es von entscheidender Bedeutung für das spätere Wohlergehen im Leben sein kann, wenn einem als LGBT-Person nicht auf eine ordentliche Art und Weise begegnet wird.

Ingrid Hartelius Dall, Børns Vilkår

„Allerdings haben wir auch von älteren Kindern am Kindertelefon gehört, dass sie Probleme damit hatten, die notwendige Dokumentation vorzuweisen, beispielsweise am Flughafen, wo sie beinahe darum gebeten wurden, sich zu entkleiden, da es keine Übereinstimmung zwischen ihrem Aussehen und dem, was in ihrem Pass steht, gab. Und wir wissen, dass es von entscheidender Bedeutung für das spätere Wohlergehen im Leben sein kann, wenn einem als LGBT-Person nicht auf eine ordentliche Art und Weise begegnet wird“, erläutert die Seniorberaterin Ingrid Hartelius Dall von Børns Vilkår den Umschwung der Organisation.

Altersgerechte Beratung vorgesehen

Zudem unterstreicht sie, dass der Vorschlag der Regierung vorsieht, dass das Kind eine altersgerechte Beratung erhält. Bereits dadurch würde eine Grenze dafür gezogen, wie früh man überhaupt eine juristische Geschlechtsänderung durchführen könne.

Gleichzeitig sei es wichtig, dass die Änderung auch wieder rückgängig gemacht werden könne, wenn sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellt, dass es nicht um das Geschlecht, sondern um etwas anderes ging.

Zudem sei es nach Auffassung von Ingrid Hartelius Dall wichtig, bei schwierigen Fragen wie diesen die erforderliche Fachkenntnis einzuholen.

„Glücklicherweise gibt es Menschen, die sehr viel über dieses Thema wissen. Wenn man Zweifel hat, fordere ich deshalb dazu auf, dass man sich an seinen Arzt wendet, der einen an eine Spezialabteilung verweisen kann, die sich fachgerecht darum kümmert“, sagt sie.

Wenn man die Eltern und Kinder getroffen hat, an die sich dieser Vorschlag richtet, dann weiß man, dass das Thema mit großem Leid und großen Frustrationen verbunden sein kann.

Christian Rabjerg Madsen (Soz.), Innen- und Wohnungsminister

Wichtige Möglichkeit für Betroffene

Auch Innen- und Wohnungsminister Christian Rabjerg Madsen (Soz.), in dessen Ressortbereich das CPR-Register fällt, unterstützt das Aufheben einer unteren Altersgrenze für eine juristische Geschlechtsänderung.

„Es geht hierbei um das Ändern einiger Zahlen in einer CPR-Nummer. Und wenn man das bereut, dann kann man die Entscheidung wieder rückgängig machen“, sagt er.

„Es geht hier um eine persönliche Wahl, die Kinder und Eltern nach einer fachlichen Beratung treffen können. Und wenn man die Eltern und Kinder getroffen hat, an die sich dieser Vorschlag richtet, dann weiß man, dass das Thema mit großem Leid und großen Frustrationen verbunden sein kann“, so der Minister.

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