Deutsch in Kopenhagen

„Ich habe mich mit meiner deutschen Seite versöhnt“

„Ich habe mich mit meiner deutschen Seite versöhnt“

„Ich habe mich mit meiner deutschen Seite versöhnt“

Kopenhagen
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Gyde Sørine Bichel Foto: Walter Turnowsky

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Die Südschleswigerin Gyde Sørine Bichel war sich schon früh sicher, dass sie nach Dänemark ziehen wird. Zum Teil war dies auch eine Flucht aus Deutschland. Jetzt lebt sie seit 40 Jahren nördlich der Grenze.

Wir treffen uns in einem Café im Kopenhagener Stadtteil Valby, in dem Gyde Sørine Bichel wohnt. Hier haben sich seinerzeit bereits Kjeld, Yvonne und Sohn Børge wohlgefühlt, doch das tut hier eigentlich nichts zur Sache.

Hier soll es darum gehen, warum sie als Südschleswigerin nach Dänemark gezogen ist und wie ihr Verhältnis zum Deutschen sich entwickelt hat.

„Es war mir eigentlich immer klar, dass ich nach Dänemark gehen werde. Mein Bruder war schon hergezogen, und ich konnte mir gar nicht vorstellen, in Deutschland zu bleiben“, sagt sie.

Serie: Deutsch in Kopenhagen

Dieser Artikel ist Teil einer Serie im „Nordschleswiger“. Alle drei bis vier Wochen bringen wir ein Porträt einer oder eines Deutschen in Kopenhagen. Es kann auch eine Firma oder eine Institution sein.

Hast du einen Vorschlag für ein solches Porträt, dann schreibe gerne an wt@nordschleswiger.dk

Umzug

Bichel gehört zu den Menschen, die sich die Antwort auf Fragen des Journalisten genau überlegen und auch in der Antwort Zweifel und Überlegungen zulassen.

„Für mich war es kein Emigrieren, für mich war es ein Umzug zur gleichen Sprache, an einen Ort, den ich schon als Kind häufig besuchte.“

Die Kindheitserinnerungen an die schönen Urlaube in Dänemark waren eine der Ursachen, weshalb es sie nach Dänemark zog.

Minderheit als Zuflucht

Aufgewachsen ist die 1956 geborene Frau in Schleswig. Im Elternhaus wurde Deutsch gesprochen. Da ihr Vater jedoch Teil der dänischen Minderheit war, besuchte sie den dänischen Kindergarten und die dänische Schule. Sie war bei den dänischen Pfadfindern dabei.

„Ich fühlte mich in der dänischen Minderheit wohl. Sie bot mir einen Zufluchtsort in einem Deutschland mit seiner Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Damals war es wichtig für mich, Dänisch zu sprechen. Ich war eine richtige Südschleswigerin und mehr Dänisch als vor allem Deutsch.“

Der Kalte Krieg

Doch nicht nur die jüngere dunkle deutsche Vergangenheit zog sie zum Dänischen. Auch die damalige Situation des Kalten Krieges empfand sie in Deutschland als bedrohlicher und drückender. Die Grenze zur DDR war nicht weit entfernt, der Gedanke eines Angriffs durch die Sowjetunion präsent.

„Ich erinnere mich noch an die Kuba-Krise. Damals war ich sechs Jahre alt“, erzählt Bichel über die 13 Tage im Oktober 1962, als die Welt am Rande eines Atomkriegs stand.

Doch war der Wunsch, nach Dänemark zu gehen, nicht nur eine Flucht vor dem Deutschen. Es war auch der Wunsch einer jungen Frau nach Freiheit, nach dem Abenteuer, nach Neuem.

„Und so zog ich dann als 17-Jährige mit einem Koffer und einer großen Tasche nach Dänemark.“

Der Wandel

In Dänemark angekommen, arbeitete sie zunächst an unterschiedlichen Orten, um Geld für eine Ausbildung als Kindergärtnerin zu verdienen. Als diese ihr dann doch nicht zusagte, jobbte sie wiederum.

Und dann entschied sie sich für einen Berufsweg, der vielleicht bereits einen kommenden Wandel in ihr andeutete: Sie bildete sich an der Handelshochschule in Kopenhagen zur Übersetzerin aus.

„Als ich so 30 bis 40 Jahre alt war, begann ich, das Deutsche wieder anzunehmen. Durch meine Kindheit und Jugend bin ich auch vom Deutschen geprägt worden. Ich empfand nun eine Freude darüber, dass ich von dort stamme und diese nicht ganz definierbare Deutsche mitbekommen habe. Auch die Tatsache, dass ich zweisprachig aufgewachsen bin, empfinde ich als Bereicherung.“

Eine Reise

Der Prozess begann, als sie sich eine Zeit lang in Australien aufhielt.

„Manchmal muss man sehr weit wegreisen, um sich selbst wiederzufinden, sich selbst zu spüren“, meint Bichel.

Wenn sie seither im Zuge ihrer Arbeit oder auch privat Deutsche getroffen hat, hat ihr das häufig Freude bereitet.

„Heute denke ich, dass ich durch mein Heranwachsen etwas mehr Ballast als andere mitbekommen habe. So empfand ich das damals nicht, aber so empfinde ich es heute.“

Die Versöhnung

Und so sieht die reife Frau die Dinge nun ganz anders als das Mädchen, das so schnell wie möglich aus Deutschland wegwollte.

„Jetzt stehe ich dazu. Ich habe mich ganz damit versöhnt, auch mit Deutschland und der Vergangenheit des Landes, obwohl es ja nicht meine Vergangenheit ist.“

Am meisten aber interessieren sie die Menschen. Von wo sie stammen, bedeutet ihr weniger. Reisen gehört zu Gyde Sørine Bichels großen Leidenschaften.

„Heute bin ich vielleicht Dänin, aber auch Europäerin, aber vor allem Weltbürgerin. Ich kann mich in vielen unterschiedlichen Ländern zurechtfinden.“

Diesen Sommer ist sie in Rente gegangen. Als eines ihrer kommenden Projekte plant sie eine Reise nach Peru. Dafür lernt sie schon mal Spanisch.

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