Deutsch in Kopenhagen

Lektor: Größere Freiheit in Dänemark

Lektor: Größere Freiheit in Dänemark

Lektor: Größere Freiheit in Dänemark

Kopenhagen
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Florian Wöller hat den Frederiksberg Have fast direkt vor der Haustür. Foto: Walter Turnowsky

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Der Theologe Florian Wöller ist gemeinsam mit seiner Frau vor knapp zwei Jahren von München nach Kopenhagen gezogen. Ihnen gefällt es in der dänischen Hauptstadt. Doch während der Corona-Krise spüren sie auch die Einsamkeit.

Wir treffen uns in Frederiksberg Have, denn hier geht Florian Wöller jeden Vormittag mit seiner Tochter Charlotte spazieren. Zunächst guckt sie interessiert, doch nach wenigen Schritten ist sie im Kinderwagen eingeschlafen.

Neue Serie: Deutsch in Kopenhagen

Dieser Artikel ist der erste einer neuen Serie im „Nordschleswiger“. Alle vier Wochen bringen wir ein Porträt einer oder eines Deutschen in Kopenhagen. Es kann auch eine Firma oder eine Institution sein.

Hast du einen Vorschlag für ein solches Porträt, dann schreibe gerne an wt@nordschleswiger.dk.

Derzeit macht ihr Papa ein Semester Elternzeit, doch ansonsten arbeitet er als Lektor in der Abteilung für Kirchengeschichte an der Kopenhagener Universität. Und die Stelle ist auch der Grund, weshalb er mit seiner Frau im Sommer 2019 von München nach Kopenhagen gezogen ist. 

Flache Hierarchien und Freiheit

Drei Dinge seien entscheidend gewesen, sich um die Stelle in Dänemark zu bewerben.

„Zum einen herrschen in Deutschland an den Universitäten strenge Hierarchien mit jeweils einem Professor an der Spitze. Ein Austausch mit Kollegen anderer Abteilungen findet ziemlich selten statt. Hier in Dänemark diskutiere ich laufend mit Kollegen über diverse Themen“, erzählt der Theologe.

Hier hört man mir zu, wenn ich etwas zu sagen habe und nicht, weil ich einen Titel habe.

Florian Wöller, Lektor in Theologie

Auch sei man in Deutschland sehr eng auf sein Fachgebiet festgelegt.

„Hier in Dänemark habe ich viel größere Freiheit. Ich kann andere Fachbereiche mit einbeziehen. Meine Spezialisierung ist das Mittelalter, aber sollte ich mich in einigen Jahren dafür interessieren, mich zum Beispiel mit dem 18. Jahrhundert zu befassen, kann ich dies einfach tun“, sagt er.

Als Drittes sage ihm zu, dass Titel wie Professor oder Doktor kaum eine Rolle spielen.

„Hier hört man mir zu, wenn ich etwas zu sagen habe und nicht, weil ich einen Titel habe.“

Unterrichtet auf Dänisch

Wöller hat die Stelle an der Kopenhagener Uni bereits 2018 angetreten, ist jedoch zunächst von München aus gependelt. Ein Jahr später kam dann der Umzug.

„Wir hatten wirklich das Gefühl, freundlich empfangen zu werden. An der Universität waren die Kollegen sehr entgegenkommend. So spielte sich zunächst nur meinetwegen alles zweisprachig ab.“

Mittlerweile hat er Dänisch so gut gelernt, dass er auch in der Sprache unterrichtet.

Wir sind derzeit doch recht einsam, denn Besuche bei Freunden in Deutschland sind aufgrund der Grenzrestriktionen momentan eigentlich nicht möglich.

Florian Wöller, Lektor in Theologie

Kontakt ist schwer

Doch bei aller Offenheit und Freundlichkeit fehlt dennoch etwas. Zwar gibt es geselliges Beisammensein unter Kollegen oder mal einen Kaffeeplausch mit Nachbarn. Ein eigentliches soziales Leben mit einem dänischen Umfeld sei es jedoch bislang nicht gelungen aufzubauen. 

„Ich kann nicht genau sagen, woran das liegt.“

Während der Corona-Krise hat sich dies zu einem Problem entwickelt.

„Wir sind derzeit doch recht einsam, denn Besuche bei Freunden in Deutschland sind aufgrund der Grenzrestriktionen momentan eigentlich nicht möglich. Die Großeltern haben Charlotte nur ein einziges Mal gesehen“, berichtet der 39-Jährige.  

Vertrauen und Gemeinschaft

Nach dem Umzug hat er so einige Unterschiede zwischen Deutschland und Dänemark bemerkt.

Ich habe eine Fernsehdokumentation über Glück gesehen, in der ein Experte sagte: ‚Kontrolle ist gut, aber Vertrauen ist besser‘. Das finde ich eigentlich sehr schön.

„Mir ist positiv aufgefallen, dass ‚tillid‘ und ‚fællesskab‘ eine große Rolle spielen“, sagt er und wählt bewusst die dänischen Ausdrücke.

„Ich habe eine Fernsehdokumentation über Glück gesehen, in der ein Experte sagte: ‚Kontrolle ist gut, aber Vertrauen ist besser‘. Das finde ich eigentlich sehr schön“, sagt er und entdeckt ein Schild auf dem steht, man danke dafür, dass die Besucher die Vögel nicht füttern.

„Da hast du ein gutes Beispiel. In Deutschland würde ‚Füttern verboten‘ auf dem Schild stehen. Das ist nicht nur ein rhetorischer Unterschied.“

Wöller bemerke dies auch im Unterricht an der Universität.

„Hier kann ich den Studierenden große Freiheit gewähren, denn sie können damit umgehen. Wenn ich in Deutschland den Rahmen für eine Arbeit nicht sehr genau abstecke, dann geht das schief.“

Geringerer Stellenwert von Kultur

Doch nicht alle Unterschiede fallen zugunsten der neuen Heimat aus. 

Die Ausbreitung der Kultur in alle Gesellschaftsschichten hat in Dänemark von meiner Warte aus gesehen nicht die gleiche Bedeutung wie in Deutschland.

Florian Wöller, Lektor in Theologie

„Für mein Empfinden wird die Universität zu stark wie ein Betrieb geleitet. In dem Bezug ist die Leitung sehr hierarchisch, und das geht nicht nur vom Rektorat, sondern vor allem auch von der politischen Ebene aus. Dieses Management-Denken prägt auch andere Bereiche und widerspricht eigentlich dem Gedanken des gegenseitigen Vertrauens.“

Auch beim Stellenwert der Kultur sieht er Unterschiede.

„Meines Erachtens ist Kultur, was eine Gemeinschaft zusammenhält. Aber die Ausbreitung der Kultur in alle Gesellschaftsschichten hat in Dänemark von meiner Warte aus gesehen nicht die gleiche Bedeutung wie in Deutschland.“

Florian Wöller

Geboren 1982 und aufgewachsen in Hannover.

Studium der Theologie und Philosophie in Münster, Rom und Berlin.

Berufliche Stationen in Basel und München.

Seit 2018 Lektor für Kirchengeschichte an der Universität Kopenhagen.

Zukunftsperspektive

Insgesamt fällt der Vergleich für ihn vorläufig jedoch zugunsten von Dänemark aus. Sowohl die Arbeit als auch der gesellschaftliche Umgang miteinander sagten ihm zu.

Er und seine Frau haben abgesprochen, nach zwei Jahren, also im Sommer, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen.

„Ich kann mir gut vorstellen, bis auf Weiteres hierzubleiben. Es gibt jedoch ein Aber. Sollte es eine erneute Corona-Krise geben, müssen wir zurück zu unserem Freundes- und Bekanntenkreis in Deutschland ziehen“, betont Wöller.

Inzwischen blinzelt die kleine Charlotte und lächelt zunächst den Papa und dann auch den fremden Journalisten an. Demnächst wird sie in der Kita anfangen. Dort wird sie wahrscheinlich ihre ersten dänischen Freunde finden. 

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