Interview mit Grünen-Chef

Was Vizekanzler Robert Habeck in der neuen Ampel-Regierung plant

Was Vizekanzler Robert Habeck in der neuen Ampel-Regierung plant

Was Robert Habeck in der neuen Ampel-Regierung plant

SHZ
Berlin/Flensburg
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Bald neuer Superminister für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz: Robert Habeck. Foto: Kay Nietfeld/shz.de

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Der designierte Wirtschafts- und Klimaschutzminister spricht über die Corona-Pandemie, eine neue Kommission zur Zukunft der Küstenautobahn A 20 – und den Personalstreit in seiner Partei.

Falls die Mitglieder der Grünen und die Parteitage von SPD und FDP den Koalitionsvertrag der drei Ampelpartner absegnen, wird Grünen-Chef Robert Habeck in der zweiten Dezemberwoche neuer Vizekanzler und Superminister für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz. Im Interview spricht der 52-jährige Flensburger über den seinen neuen Job, die Koalitionsverhandlungen und den Personalstreit in seiner Partei.

Herr Habeck, um die Ministerposten gab es bei den Grünen am Donnerstag heftigen Streit. Sie haben mit den Realos durchgesetzt, dass Cem Özdemir Agrarminister wird, die Linken in der Partei waren für Anton Hofreiter. Ist die Spaltung der Partei in zwei Flügel wieder aufgebrochen, kaum dass die Grünen wieder regieren und Posten verteilen können?

Toni Hofreiter und auch Katrin Göring-Eckardt haben große Verdienste und die Fraktion über Jahre erfolgreich geführt. Und beide werden für das Gelingen der Koalition gebraucht und weiter eine wichtige Rolle spielen. Aber wenn man viele gute Leute hat und nur eine begrenzte Anzahl an Ressorts, dann ist die Auswahl immer ein schmerzhafter Prozess, der manchmal schwierige Entscheidungen erfordert. Doch jetzt haben wir uns sortiert.

Trotzdem war der Streit zwischen Flügeln offensichtlich.

Ich denke, allen ist bewusst, dass wir nur als geschlossene Partei in einer geschlossenen Regierung erfolgreich arbeiten können. Und ich bin mir sicher, dass wir es in den nächsten vier Jahren auch genauso halten werden.

Als Agrarexperte ist Cem Özdemir bisher nicht aufgefallen. Warum ist er der bessere Landwirtschaftsminister als der Biologe Hofreiter?

Es geht da nicht um besser oder schlechter, deswegen möchte ich meine Antwort nicht als Vergleich verstanden wissen. Cem Özdemir hat in seiner politischen Karriere immer vor allem an der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie gearbeitet. Und es gibt kaum einen Bereich, wo beides so eng zusammengehört. Außerdem ist die Landwirtschaft ein Gebiet, in dem unterschiedliche Erwartungen sehr hart aufeinanderprallen – das weiß ich aus eigener Erfahrung in Schleswig-Holstein. Cem Özdemir ist ein begnadeter Kommunikator, der es gut versteht unterschiedliche Interessen zusammenzubringen.

Jetzt entscheidet die grüne Basis über den Koalitionsvertrag. Sehen Sie die Zustimmung durch den Streit um die Ministerämter in Gefahr?

Nein, die Basis entscheidet nach den Inhalten. Außerdem ist ja auch unser Kabinettsvorschlag in mehrfacher Hinsicht ein ganz besonderer: Erstmals wird ein Kind einer türkischen Einwandererfamilie deutscher Bundesminister – und zwar nicht in einem Bereich, der mit Migrationsfragen verbunden ist, sondern im deutschesten Ressort überhaupt, wenn man so will. Mit Steffi Lemke kommt eine Ostdeutsche ins Kabinett, die profunde Kenntnisse im Umweltbereich hat. Anne Spiegel hat sich bereits als Ministerin für Familie, Frauen und Integration bewiesen. Claudia Roth prägt die Kulturszene des Landes schon seit vielen Jahren und wird als Kulturstaatministerin eine starke Stimme sein. Und dann sind Annalena Baerbock und ich auch noch dabei.

Wie hoch muss die Zustimmung der Basis sein, damit Sie beruhigt in die Ampelkoalition gehen können?

Der Koalitionsvertrag ist ein solides Fundament, um wirklich etwas bewegen zu können. Es wird einen deutlichen Vertrauensvorschuss für den Koalitionsvertrag und die künftige Regierung geben.

Auch in der Ampelkoalition zeichnet sich schon vor Amtsantritt ein Riss ab – und zwar in der Coronapolitik: Sie wollen notfalls wieder flächendeckende Lockdowns, die FDP nicht.

Wir sind uns völlig einig darüber, dass das, was nötig ist, jetzt getan werden muss. Wir müssen verhindern, dass das Gesundheitssystem kollabiert – und es ist schon am Anschlag. Immerhin können wir inzwischen dank der Impfungen differenzierter vorgehen als vor einem Jahr, mit den Regeln 3G, 2G, 2Gplus, mit dem Boostern und ja auch mit Kontaktbeschränkungen. Darauf setzt das Infektionsschutzgesetz, um Eingriffe in die Freiheit der Menschen möglichst mild zu halten. Wenn all diese Maßnahmen streng angewandt würden, könnten wir die vierte Welle der Pandemie verlangsamen. Wenn sie nicht angewandt werden, ist die Politik gezwungen, schärfere und pauschale Maßnahmen zu ergreifen. Und wir haben nur noch wenige Tage Zeit, um das abzuwarten.

Lockdowns würde aber wieder viele Betriebe und Existenzen gefährden. Können Sie das mit Ihrem neuen Job als Wirtschaftsminister vereinbaren?

Die Pandemie ist seit mehr als eineinhalb Jahren eine extreme Herausforderung für die gesamte Gesellschaft und auch für die Wirtschaft. Sollten, um das Gesundheitssystem zu schützen, pauschale Einschnitte nötig sein, gilt dasselbe wie bisher: Den betroffenen Betrieben wird geholfen werden.

Blicken wir kurz auf die Koalitionsverhandlungen zurück: Gab es Momente, in denen das Scheitern drohte?

Nein. Es war sehr intensiv, es gab alle Emotionen, die man sich ausmalen mag – Lachen und das Gegenteil von Lachen. Es gab Unterbrechungen, Bedenkzeiten, Auszeiten. Wenn es schwierig wurde, haben wir haben immer die Kurve gekriegt, zumal wir wussten, dass ein Abbruch große gesellschaftliche und demokratische Konsequenzen gehabt hätte. Denn was wäre die Alternative gewesen? Die Union hat ja derzeit nicht die Kraft für eine neue Regierung.

FDP-Chef Christian Lindner hat nach den Verhandlungen eine Lobrede auf den künftigen SPD-Kanzler Olaf Scholz gehalten. Wie ist Ihr Verhältnis zu den beiden?

Gut, vertraut und professionell. Wir verstehen uns alle drei untereinander ganz gut. Und wir haben in den Verhandlungen gelernt, wie der andere denkt. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es auch in der Regierung klappt.

Sie wollten ursprünglich Finanzminister werden. Trotzdem haben Sie zugunsten von Christian Lindner verzichtet. Warum?

Geld betrifft alle. Deshalb haben wie in der Finanzpolitik in den für uns wesentlichen Punkten verbindliche Vereinbarungen getroffen, die eine stabile Grundlage für die Koalition als Ganzes bilden. Für die Gestaltungskraft ist besonders wichtig, dass der Staat der Wirtschaft mit kräftigen Investitionen helfen wird, klimaneutral zu werden.

Jetzt werden Sie Superminister für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz. Was ist an Ihrem neuen Ressort so super?

Den Titel höre ich nicht gern, weil er so nach Superman klingt und nach riesengroß. Ich würde eher von einer Super-Aufgabe sprechen. Das Ministerium hat die Zuständigkeit für eine zentrale gesellschaftliche Frage unserer Zeit.- nämlich die Voraussetzungen für die gesamte Wirtschaft, vom kleinen Betrieb in Kappeln bis zum Dax Konzern in München - so zu schaffen, dass Wohlstand, gute Arbeit und Klimaschutz ineinandergreifen.

Was werden Sie als erstes anpacken, wenn Sie in zwei Wochen Ihr neues Amt antreten?

Zu allererst werde ich mich um die wirtschaftliche Lage unter den dann herrschenden Pandemiebedingungen kümmern – und da kann sich in zwei Wochen viel zuspitzen. Wir müssen der Wirtschaft weiter durch die Pandemie helfen, und da ist es gut, dass der geschäftsführende Wirtschaftsminister Peter Altmaier die Hilfen gerade verlängert hat. Dann werde ich mir einen Überblick über die Energieversorgungssicherheit in Deutschland verschaffen, vor allem über die Gasversorgung im Winter. Und als drittes kommt eine Bestandsaufnahme, wo wir bei der Energiewende wirklich stehen.

Enttäuscht sind in Ihrer Partei und der Klimaschutzbewegung viele darüber, dass die Grünen auch auf das Verkehrsressort verzichtet haben. Wäre das nicht strategisch wichtiger gewesen als etwa das Familienressort?

Wir werden jetzt drei zentrale Ministerien führen, mit denen wir die Transformation umfassend gestalten können. Dann das Außenministerium, das angesichts der großen Krisen entscheidend ist. Und wir haben uns für das Familienministerium entschieden, das künftig mit der Einführung einer Kindergrundsicherung ein zentrales Projekt der neuen Regierung zur Bekämpfung von Armut verantwortet. Damit können wir uns wirklich sehen lassen. Klar hätten wir gern auch noch das Verkehrsressort geführt. Aber dann hätten wir ein besseres Wahlergebnis gebraucht.

Über den Bau neuer Autobahnen hat sich die Ampel noch nicht geeinigt. Die Grüne Jugend und andere Klimaschützer kritisieren, dass es keinen Stopp für neue Projekte gibt, und wollen allen voran den 200 Kilometer langen Weiterbau der A 20 von Schleswig-Holstein nach Niedersachsen kippen. Sie wollen sich in der Koalition im Konsens mit Umwelt- und Wirtschaftsverbänden darüber einigen, welche Projekte gebaut werden. Soll zu denen auch die A 20 zählen?

Wir wollen für die Entscheidung über Autobahnprojekte in einen Dialogprozess mit Verkehrs-, Wirtschafts-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden eintreten. Ziel ist es, einen Infrastrukturkonsens zu erreichen. Im Prinzip soll das ähnlich laufen wie bei der Atomendlager-Kommission in der vorletzten Wahlperiode oder der Kohlekommission in der vergangenen Wahlperiode. Dabei soll die Politik gemeinsam mit den Verbänden und der Gesellschaft entscheiden, welche Autobahnen noch gebaut werden und welche nicht. Die Ergebnisse werden dann in einen neuen Bundesverkehrswegeplan einfließen, den wir perspektivisch zu einem Bundesmobilitätsplan umgestalten werden.

Der Bau und der Betrieb der A 20 würden laut Verkehrswegeplan jährlich 90.000 Tonnen CO2 zusätzlich verursachen. Können Sie solch ein Projekt Sie als Klimaschutzminister mittragen?

Meine persönliche Meinung ist bekannt: Dass die A 20 in Bad Segeberg endet und die Autos mitten durch die Stadt müssen, ist ein unsinniger Zustand. Aber alle sind noch mal aufgerufen kritisch darüber nachzudenken, ob die vor 25 Jahren geplante große Querung der Elbe eine sinnvolle Weiterführung ist. Und ob die Auswirkungen auf Natur, Umwelt und Klimaschutz noch vertretbar sind. Das will aber nicht ich jetzt entscheiden, sondern das wollen wir gemeinsam mit der Gesellschaft in der neuen Infrastrukturkommission besprechen.

Die Ampel hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, dass 2030 schon 80 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Quellen kommen soll. Was heißt das für die Windkraft? In Schleswig-Holstein geht die Branche davon aus, dass das Land dann mehr als die bisher in den Regionalplänen vorgesehenen zwei Prozent der Flächen für Windräder bereitstellen muss.

In unserem neuen Koalitionsvertrag steht, dass die erneuerbaren Energien künftig im öffentlichen Interesse sind – und das ist ein entscheidender Punkt. Denn damit sind sie privilegiert. Das kann in Schleswig-Holstein dazu führen, dass an mehr Stellen als bisher geplant alte Anlagen durch neue ersetzt werden dürfen. Und das kann in Bayern dazu führen, dass die sehr hohen vorgeschriebenen Abstände von Windrädern zu Wohngebieten unwirksam werden. Denn wenn es ein öffentliches Interesse gibt, ist eine solche Verhinderungsplanung nicht erlaubt.

Das könnte viel Ärger geben.

Wir kriegen das hin, auch wenn es anspruchsvoll ist. Mein Ziel ist es, den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht von oben zu verordnen, sondern mit den Ländern ins Gespräch zu kommen und dann zu sehen, was möglich ist. Wir werden diese große Transformation nur als Gesellschaft bestehen können. Und weil das mein Politikverständnis ist und weil ich glaube, zu wissen, wie man das hinbekommen kann, freue ich mich auf meine neue Aufgabe.

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