Nordfriesland

Was Northvolt mit dem Dockkoog zu tun hat und was sich die Husumer Wirtschaft wünscht

Was Northvolt mit dem Dockkoog zu tun hat

Was Northvolt mit dem Dockkoog zu tun hat

Jonna Marlin Lausen/shz.de
Husum
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Moderierte die Interviews mit den Akteuren aus der Husumer Wirtschaft: Ken Blöcker Unternehmerverband Unterelbe-Westküste (UVUW). Foto: Jonna Marlin Lausen/shz.de

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Was kann Husum von der Northvolt-Ansiedlung in Heide lernen, welche Synergien geschaffen werden? Was sind die Gefahren? Welche Themen sind jetzt dran, wo muss ein künftiger Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin ran?

Wird Heide zum „Clean-Energy-Valley“? Den Namen, der unweigerlich an die Erfolgsgeschichte Silicon-Valley anknüpfen möchte, hat sich das schwedische Unternehmen Northvolt, das in Heide eine Batterie-Fabrik für Elektroautos ansiedeln möchte, sicherheitshalber schon mal geschützt. „Heide ist nun kein Valley“, sagt Dirk Burmeister, Vorstand der Entwicklungsagentur Heide AöR, die maßgeblich an der Bewerbung Heides als Standort und den Planungen für die Umsetzung des Milliarden-Projekts mitwirkt.

Doch kann man durchaus sagen, dass das Konzept „Ökosystem Heide“, also ein Standort für integrierte CO2-neutrale Energie und Wertschöpfung, den Northvolt-Chef Peter Mikael Carlsson letztendlich überzeugt hat. „Wir haben das Wasserstoffprojekt in der Raffinerie in Heide und eine Abfahrt weiter entsteht Northvolt“, so Burmeister. Beide Projekte würden sich schon jetzt vernetzten, Synergien schaffen, überlegen, wie man zusammenarbeiten kann.

„Aus dem Rathaus heraus geht so etwas nicht“

Und noch etwas verrät Burmeister vor den rund 100 Gästen, die das Husumer Commerzium zum Thema „Was erwartet Husums Wirtschaft von der kommenden Bürgermeister/in-Ära“ geladen hatte: Ohne die Stadtland-Konzeption und vor allem ohne die Gründung einer professionellen Entwicklungsagentur – in Heide wurde die AöR 2010/11 gegründet – wären weder Northvolt-Ansiedlung noch Wasserstofffabrik in Heide möglich gewesen. „Aus dem Rathaus heraus geht so etwas nicht“, so Burmeister. Wohlwissend, dass die Entwicklungsagentur ebenfalls eine Behörde ist, aber eine ausgelagerte, die sich ausschließlich mit Entwicklung beschäftigt. Andere Möglichkeiten, anderes Tempo.

Und auch die Aufgaben, die, sofern es tatsächlich losgeht – eine endgültige Entscheidung wird das Unternehmen Ende des Jahres treffen – auf Heide zukommen, seien ohne sie nicht möglich. Ein Blick in die nordschwedische Kleinstadt Skellefteå verdeutlich, was auf die Region zukommt, denn hier hat Northvolt das erste Batteriezellenwerk Europas in Betrieb genommen und im Mai erste Zellen aus dem Werk an Kunden ausgeliefert. Die Zahl der Mitarbeiter dort soll auf bis zu 4000 ansteigen. Allein die Wohnprojekte, die deshalb in der Stadt gerade realisiert werden, seien enorm, so Burmeister. „Da ist keine Straße ohne Baukran.“ Die Stadt mit rund 32.700 Einwohnern könnte bis 2040 auf 100.000 anwachsen, zählt Burmeister weiter auf und sorgt für ein Raunen in der Menge. Er spannt den Bogen zu Heide und Nordfriesland: „Wir müssen Wohnen und Leben anders denken, zum Beispiel eine Siedlung mit Tiny-Häusern bauen.“

Kampf um Fachkräfte kann durch Northvolt verstärkt werden

Das Commerzium der Stadt Husum hatte Burmeister nicht grundlos zu dieser Dikussion geladen. Denn hier sollte die Wirtschaft Impulse geben, Wünsche äußern mit Blick auf die anstehende Bürgermeisterwahl im Mai 2023. Die zwei Kandidaten, die sich bereits geoutet haben – Isabell Thomas (WGH) und Martin Kindl (CDU) – lauschen aufmerksam, als die fünf Diskutanten sich jeweils einem Kurzinterview mit Ken Blöcker zur Zukunft Husums stellen.

Schöpft Husum das Potenzial aus, fragt Blöcker Stephan Frense, den Geschäftsführer der Arge Netz. „Ich würde mir wünschen, dass wir hier im Norden besser zusammenarbeiten würden. Wenn wir die Husum Wind in der Messe haben, warum können dann nicht Gastronomen, Hoteliers und Kaufleute an einen Tisch kommen und dafür sorgen, dass die Gäste alle in Husum bleiben?“ Es sei ein Unding, dass Gäste in St. Peter-Ording oder gar Hamburg untergebracht werden müssten, da in Husum kein Platz sei. Zudem warnt Frense vor einer möglichen Staubsaugerwirkung durch Northvolt: „Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig die Arbeitskräfte wegnehmen, sondern gezielt etwa in Bayern nach Fachkräften suchen und denen gute Ausbildungschancen im Bereich Erneuerbare Energien anbieten.“

Digitalisierung in Behörden ein Problem

Auf mangelnde Digitalisierung insbesondere in Behörden geht Thomas Holst ein, der Geschäftsführer von BT North Digital. Alle Behörden würden vom Dienstleister Dataport ausgestattet werden, das sei mittlerweile vertraglich gesichert. Das Problem: Kauft eine Stadt eine Online-Dienstleistung, heißt das noch lange nicht, dass die Verwaltung digitalisiert sei. „Wenn eine Behörde ein PDF ausfüllt und es am Ende doch gedruckt und ins hausinterne System eingetippt wird, dann ist das mitnichten digital“, so Holst. Eine umfangreiche Digitalisierung brauche Performance, also Mitarbeiter, die das umsetzen, Mitarbeiter, die eine Behörde von Dienstleistern zukaufen müsse.

Mehr Touristen und mehr Ferienwohnungen für Husum?

Warum Husum mehr Touristen bauche, will Moderator Ken Blöcker von Peter Cohrs wissen: „Wir liegen inmitten eines perfekten Standorts für sanften Tourismus“, so Cohrs. Und da sei es nur intelligent, sich diesem auch zuzuwenden. Entscheidend sei es, bei allen Projekte, die ohnehin wichtig für die Einheimischen sind wie Dockkoog, Schwimmbad oder öffentliches W-Lan, immer auch den Tourismus mitzudenken. Das gleich gelte für Wohnraum: „Wir brauchen mehr Wohnraum und mehr Ferienhäuser.“

Aus Hamburg nach Husum ziehen – nur mit Home Office möglich?

Tourismus und der Wettbewerb um Gäste, wie kann Husum punkten? Stefan Schmidt vom Auto-Vertrieb Kielsburg im Husumer Gewerbegebiet sieht gerade in der Randlage auch die Chance. Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen, mitten im Weltnaturerbe und mit den Inseln vor der Tür, dafür müsse getrommelt werden. „Die Menschen ziehen aus den Ballungszentren wieder ins Randgebiet und das müssen wir nutzen“, so Schmidt. Dabei spiele Home Office, dezentrales Arbeiten, eine zentrale Rolle.

Gewerbesteuern, Wachstum und Fördertöpfe

Hagebaumarkt-Geschäftsführer Ole Singelmann macht auf steigende Zinsen und Baupreise aufmerksam. „Ja, wir wollen als Gewerbegebiet wachsen, aber wir müssen da auch eine gewisse Schnelligkeit erreichen“, sagt Singelmann klar in Richtung Bauamt. Ansiedlungs- und umsiedlungswillige Unternehmen gebe es. Wie denn die Kommunikation zwischen Wirtschaft und Verwaltung funktioniere, will Blöcker wissen, um noch einmal die Aufmerksamkeit in Richtung Bürgermeisterwahlkampf zu lenken. Singelmann sieht da durchaus Verbesserungspotenzial, Reaktionszeiten müssten schneller werden und viel mehr auf Wachstumsmöglichkeiten und dahingehend auf Fördertöpfe geschaut werden. Der Anteil an Gewerbesteuern sei stark zurückgegangen, dabei seien diese die wichtigste Einnahme. „Wo Gewerbsteuern fließen, da läuft es“, sagt der Hagebau-Chef.

Auch das Publikum wird immer wieder aktiv in die Diskussion einbezogen – via Umfrage-Tool, das sich jeder mit einem QR-Code aufs Handy laden kann. Braucht Husum eine Wachstumsstrategie? Ja, lautet die einhellige Antwort der Zuschauer, die das Ergebnis live auf einem Bildschirm verfolgen können. Und welche Themen seien noch wichtig für die Entwicklung Husums? Wieder tippen die Zuschauerinnen und Zuschauer fleißig auf dem Handy: Befindlichkeiten beenden, autofrei Innenstadt, Dockkoog entwickeln, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, neuer Badesteg – da fällt jedem etwas ein und die Aufgaben für den neuen Bürgermeister sind offensichtlich.

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