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Von Amrum nach Föhr: Die härteste Wattwanderung der Nordsee

Von Amrum nach Föhr: Die härteste Wattwanderung der Nordsee

Von Amrum nach Föhr: Die härteste Wattwanderung der Nordsee

Yannik Burgemeister/shz.de
Wyk auf Föhr
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Watt, soweit das Auge reicht. Die Wanderung „Kormoran-Extreme“ verlangt einiges ab. Foto: Yannik Burgemeister/shz.de

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Sie ist die längste Wattwanderung in der Nordsee: die „Kormoran-Extreme“. 14 Kilometer von Amrum zur Kormoran-Sandbank und weiter nach Föhr. Eine Gratwanderung zwischen hüfthohem Wasser, schmerzenden Füßen und einem Kollaps.

Dark Blome steht bis zur Hüfte im Wasser, kämpft gegen die Strömung an, indem er die Beine fest auf den Meeresboden stemmt. „Seid vorsichtig, mir ist hier schon mal ein kleines Mädchen abgetrieben“, sagt der erfahrene Wattführer zu seinen Schützlingen. Ein tiefer Priel ist die erste Hürde auf der 14 Kilometer langen Wattführung von Amrum zur Kormoran-Sandbank und weiter nach Föhr. Die längste Führung durch die Nordsee – und die härteste.

Die Tour beginnt in Norddorf auf Amrum um 9.30 Uhr, die ersten Meter verlaufen in Richtung Strand. Der gebürtige Amrumer Blome stoppt und erklärt den 39 Wanderern etwas über die Geschichte seiner Insel: „Dort drüben ist der Postberg. Süddeutsche werden darüber vielleicht lachen“, sagt Blome. „Aber wir Amrumer sind keine Höhe gewohnt. Auf einer Leiter brauchen wir schon Druckausgleich.“ Die Zuhörer schmunzeln. Sie kommen unter anderem aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Der Start ist eine Mischung aus Wissenschaftsvortrag und Stand-Up-Comedy: „Auf Amrum leben bis zu 10.000 Gänse. Und alle drei Minuten kackt so‘n Ding“, witzelt Blome. Der gelernte Bäcker ist seit 26 Jahren Wattführer, inzwischen hauptberuflich. Auf die Idee kam er im Ausland: „Ich habe viele Ranger kennengelernt und sie unheimlich um ihre Arbeit beneidet.“

Fünf Kinder und ein jüngeres Paar sind bei dem Trip dabei. Darüber hinaus besteht die Wandergruppe aus Menschen jenseits der 50. Wanderkleidung und bunte Rucksäcke prägen die Optik der Touristen.

Dann geht es den Wanderern an die Füße: „Ab hier würde ich die Schuhe ausziehen“, sagt Blome, der selbst mit kurzer Hose, Wanderrucksack und Spatengabel ausgestattet ist. Auf Amrum sind es 16 Grad, der Himmel strahlt blau. Das Wetter könnte kaum besser sein, findet ein Ehepaar aus Göttingen. Sie hat ihre rutschfesten Badeschuhe dabei, er wagt sich barfuß auf die Tour.

Keine Furcht bei den Wattwanderern

Der Respekt vor der längsten Wattwanderung der Nordsee hält sich in Grenzen: „Wir haben letztes Jahr schon eine Tour bei Dark mitgemacht. Ich glaube nicht, dass es heute besonders schlimm wird“, sagt Edith Pütz aus Baden-Württemberg. Die 67-Jährige wird begleitet von Jürgen Ullrich, mit 75 Jahren der älteste Teilnehmer der „Kormoran-Extreme“, wie Blome seine Tour einst nannte. Und auch die anderen Wattläufer – klein wie groß – reagieren gelassen, wenn sie auf die Länge der Wanderung angesprochen werden.

Die erste Gefahr im Watt entdeckt nach wenigen hundert Metern ein kleines Mädchen: „Da ist eine Qualle“, quietscht sie. Blome hält an, nimmt die Quallenreste in die Hand. Eine blaue Nesselqualle: „Wenn die zusticht, hilft Essig. Hab ich dabei.“ Aufpassen müsse man auch vor Feuerquallen, deren Tentakeln beim Berühren ebenfalls Schmerzen verursachen: „Dagegen hilft Rasierschaum.“

Blome ist in seinem Element. Mit einer auffälligen Zielstrebigkeit peilt er Zwischenstopps an, an denen er Tiere und Pflanzen aus dem Watt erklärt. Wellhornschnecke, Grünalge, Pazifische Auster. Vor letzterer warnt der 60-Jährige: „Passt auf, wo ihr hintretet.“ Von anderen Gefahren im Watt, wie beispielsweise dem Orientierungssinn raubenden Seenebel, ist heute keine Spur.

Durchs hüfthohe Wasser weiter Richtung Kormoransand

Vor dem tiefsten Priel der Tour, rund einen Meter tief, hat Blome vor der Tour gewarnt. Eine Ersatzunterhose sei ratsam, da man einen nassen Po bekommt, so der Wattführer. Heute schaffen es alle mehr oder minder problemlos durchs Wasser. Blome passt auf. Für den Notfall hat er ein langes Seil dabei. „Es gab Touren, da mussten die Männer den Frauen beim Durchqueren des Priels helfen“, erinnert er sich. Ernsthaft passiert sei jedoch noch nie etwas, auch das abgetriebene Mädchen konnte damals schnell wieder eingesammelt werden.

12.15 Uhr. Der Priel ist geschafft, die nordfriesische Sonne beginnt die Shorts der Wattwanderer zu trocknen. Dass eine solche Wanderung körperlich extrem herausfordernd ist, steht ob der Länge der Tour außer Frage. Dass Menschen dabei auch an ihre Grenzen gelangen, erfährt die Truppe von Dark Blome an diesem Tag hautnah. „Bei einer anderen Wattführung ist eine Frau kollabiert“, sagt Blome mit gedämpfter Stimme, seine Gruppe verschlägt es die Sprache. Wenige Meter weiter versammelt sich eine Menschentraube um eine Person am Boden. Kurz darauf wird sie auf einer weißen Plane weggetragen. „Hermann, brauchst du Hilfe?“, ruft Blome seinem Wattführer-Kollegen zu. Doch der kommt zurecht.

Nach dieser Schreckenssekunde geht es für die Reisegruppe Blome weiter. Doch dann machen sich auch bei ihnen die ersten Schwächesignale bemerkbar: „Mein Fuß tut weh“, sagt die jüngste Wattwanderin nach rund sieben Kilometern. Dafür hat Blome in seinem 14-Kilo-Rucksack allerdings eine Abhilfe parat. Mit einer Wattsocke wird der Kinderfuß vor weiterem Schaden durch Muscheln oder Steinen geschützt. Die Elfjährige freut‘s, ihre Mutter auch.

Wind und Sonne wechseln sich ab

13 Uhr. Die 39 Wattwanderer sind seit fast 5 Stunden unterwegs. „Das ist jetzt das schwierigste Stück“, sagt Blome. Der Ausblick auf die Sandmassen, die vor der Gruppe liegen, gleicht dem einer Wüste. Drei weiße Sandberge sind am Horizont zu sehen. Dazu kommt Gegenwind auf, durch den die Arme der Wanderer mit Gänsehaut übersät werden.

Die Gruppe hat sich inzwischen auf rund 150 Meter ausgedehnt. An der Spitze geht Blome voran, neben ihm Kinder, die ihn mit Fragen durchlöchern. Weit hinterher hängt unter anderem der 75-jährige Jürgen Ullrich. Anstatt das Tempo anzupassen, bleibt Blome regelmäßig stehen. „So kann ich kontrollieren, dass wir zu richtigen Zeit am richtigen Ort sind“, erklärt der Wattführer.

Angekommen auf Kormoransand, wird die Gruppe von einem schauerlichen Anblick begrüßt: ein halb skelettierter Seehund liegt am Südende der Sandbank. Wenige hundert Meter weiter sonnen sich die lebendigen Artgenossen. „Nicht zu nah rangehen“, mahnt Blome, als er sich auf der Sandbank hinsetzt. Pause. Ein allgemeines Durchatmen ist zu hören. Die letzten Meter waren kräftezehrend, auch wenn es niemand so recht zugeben möchte. „Alles in Ordnung“, so das allgemeine Fazit.

Blome kommt auf der Sandbank aus dem Schwärmen nicht heraus: „Es ist, als könnte man Sylt greifen.“ Er lässt den Blick über die drei Inseln schweifen, die Kormoransand umgeben. „Daran kann ich mich gar nicht sattsehen“, sagt Blome. Auch nach 26 Jahren Wattführer-Dasein nicht.

„Weiter geht‘s“, sagt Blome nach der Pause auf Kormoransand, „und bloß keinen Müll liegenlassen.“ Doch die Wandergruppe ziert sich noch etwas, die finalen Kilometer anzutreten. Das Sitzen im Sand tat dann wohl doch ganz gut.

Der letzte Abschnitt für die 40 Wanderer nach Föhr steht an. Rückenwind und die Aussicht, von Blome noch einen Wattwurm gezeigt zu bekommen, lässt die Beine dann doch weniger schwer erscheinen. Nach einem Vortrag über Wattwurm-Blut als Heilmittel präsentiert der Amrumer sein letztes Highlight.

„Die Welle ist zwei Minuten zu spät“, sagt Blome um 15.17 Uhr kurz vor dem Föhrer Ufer. Gemeint ist die Flut. Der Wattführer bittet seine Schützlinge, ruhig zu sein und sich in einer Reihe aufzustellen, damit jeder etwas von diesem Moment hat. Ein Plätschern ist zu hören, das mehr und mehr zum Rauschen wird. Besagte Welle hat ein Tempo von rund 20 Kilometern pro Stunde. Innerhalb weniger Augenblicke wird aus dem wüstengleichen Watt ein reißender Strom.

Die letzten Meter bis zum Ufer werden die Füße also noch einmal nass. Doch dann hat die Gruppe es geschafft – und Föhr erreicht. Ein kollektives Ausatmen ist zu hören, während die Touristen ihre Füße mit Wundsalbe einreiben und dann langsam ihre Schuhe anziehen.

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