Ex-SPD-Chef von SH im Interview

Ralf Stegner macht im Bundestag jetzt Außenpolitik

Ralf Stegner macht im Bundestag jetzt Außenpolitik

Ralf Stegner macht im Bundestag jetzt Außenpolitik

SHZ
Berlin/Kiel
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Er sitzt künftig im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags: Ralf Stegner. Foto: Thomas Imo/Imago Images

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Der neu in den Bundestag eingezogene SPD-Politiker spricht über seine Pläne in Berlin, den Start der Ampelkoalition, die kommende Landtagswahl in Schleswig-Holstein – und sein spezielles Verhältnis zu Robert Habeck.

Nach zweieinhalb Jahrzehnten in der Landespolitik ist Schleswig-Holsteins früherer SPD-Partei- und Fraktionschef Ralf Stegner in den Bundestag gewechselt. Er hat bei der Wahl im September den Wahlkreis Pinneberg gewonnen und so dafür gesorgt, dass eine seit 1953 geltende Regel weiter Bestand hat: Wer in Pinneberg gewinnt, stellt auch den Kanzler. Zum Interview kommt der 62-Jährige, der auch schon Bundesvize der SPD war, in ein Sitzungszimmer im Bundestag.

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Herr Stegner, in Schleswig-Holstein waren Sie 25 Jahre lang in Spitzenämtern in Partei oder Regierung tätig – jetzt sitzen Sie im Bundestag ganz hinten in der letzten Reihe, wie Ihr FDP-Dauerrivale und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki gerade gern herumerzählt. Wie schwer fällt Ihnen das?

Ich kenne Berlin ja sehr gut und bin neben Berlins Bürgermeister Michael Müller wahrscheinlich auch der einzige Neue im Bundestag, der dort schon geredet hat – wenn auch als Landesminister. Außerdem fühlt es sich gut an, als direkt gewählter Abgeordneter der größten Fraktion hier zu sein. Das unterscheidet mich ja vom Kollegen Kubicki, der das meines Wissens noch nie geschafft hat.


Aber Sie waren in Schleswig-Holstein lange Partei- und Fraktionschef der SPD – ist es da nicht eine herbe Umstellung, wenn man plötzlich nur noch Hinterbänkler ist?

In der Demokratie gibt es keine Hinterbank und bei uns sind die Sitzplätze auch noch nicht verteilt. Natürlich bringe ich viel Erfahrung mit – aber trotzdem buhlt man nicht gleich um jeden Posten oder fährt die Ellenbogen aus. Ich habe mit Fraktionschef Rolf Mützenich besprochen, wo mein Platz sein kann. Und da kommen interessante Aufgaben auf mich zu. Ganz vorne steht die Arbeit für meinen Wahlkreis Pinneberg. Thematisch möchte ich mich künftig gerne in der Außenpolitik engagieren. Da kann ich mich zum Beispiel um die transatlantischen Beziehungen kümmern.

Als außenpolitischer Experte sind Sie bisher allerdings nicht aufgefallen. Warum die Entscheidung für dieses Feld?

Weil ich da etwas bewirken kann. Ich habe eine Menge internationale Erfahrung – nicht nur, weil ich drei Jahre in den USA gelebt habe. Ich war für die Friedrich-Ebert-Stiftung schon in etlichen Teilen der Welt, war oft in Amerika, in Russland, ich habe als Bildungsstaatssekretär Kulturabkommen mit Vietnam und Finnland ausgehandelt. Kurzum: Ich habe mich schon immer für Außenpolitik interessiert – auch wenn das öffentlich nicht so sichtbar war, weil ich andere Hauptaufgaben hatte. Außerdem finde ich, dass von der deutschen Außenpolitik künftig mehr gefordert ist, als das in der Großen Koalition möglich war. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir uns wieder an die Spitze der Friedensbewegung in Europa setzen.


Ihr Parteifreund Heiko Maas war für Sie also kein guter Außenminister?

Ich kritisiere nicht unseren Außenminister, sondern das was in der Großen Koalition insgesamt ging. Da war mit der Union wie in einigen Bereichen viel Stillstand. Und das will das Ampelbündnis jetzt ändern.

In der Außenpolitik zeichnet sich schon ein erster Riss in der Ampelkoalition ab: Außenministerin Annalena Baerbock will gegen Russland und China eine klarere Kante zeigen als die bisherige Regierung, Kanzler Olaf Scholz ist vorsichtiger. Wo stehen Sie?

Man sollte Diplomatie nicht mit dem Megafon betreiben, aber man sollte gerade auch in Menschenrechtsfragen nicht prinzipienlos sein. Ich habe von Egon Bahr gelernt, dem klugen Mitgestalter von Willy Brandts Entspannungspolitik, dass Geografie und Geschichte nicht veränderbar sind. Wir haben eine besondere Verantwortung für eine gute Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn, denen Deutschland im letzten Jahrhundert viel Leid angetan hat. Und wir dürfen unsere Grundwerte nicht an der Garderobe abgeben. Das gilt für Gespräche mit Polen und Ungarn ebenso wie für Gespräche mit der Türkei, China oder Russland. Es gilt aber auch der Satz von Egon Bahr: „Wir sollten nicht nur mit denen reden, die unsere Werte vollständig teilen – sonst sind wir mit Norwegen und Island alleine.“ Das ist ein bisschen wenig.


In der SPD ist die Freude über die neue Ampel-Regierung gerade riesig – aber warum eigentlich? Die großen Herzenswünsche der Sozialdemokratie wie höhere Steuern für Reiche, ein Ende der Zweiklassenmedizin oder eine Abkehr von der schwarzen Null sind mit der FDP genauso wenig möglich, wie sie es mit der Union waren.

Das sehe ich anders. Erstens sind die Kernthemen der SPD gute Arbeit, stabile Renten, bezahlbares Wohnen, anständige Pflege – und wir kriegen jetzt einen Mindestlohn von 12 Euro, massive Verbesserungen bei der Pflege und auch Fortschritte beim Wohnen. Zweitens sind die Mitglieder der SPD über Jahre durch Umfragen, Wahlergebnisse und manchmal auch durch Mitbewerber oder öffentliche Meinung gedemütigt worden. Es gab im Sommer nur Nachrufe – und wir waren ja wirklich in der Todeszone: Hätten die Grünen uns überholt und wir nur 15 Prozent bekommen, wäre das eine existenzielle Gefahr gewesen. Dass wir dann nicht nur stärkste Fraktion geworden sind und den Kanzler stellen, sondern auch viele Wahlkreise direkt gewonnen haben, hat uns wieder zur Volkspartei gemacht und dazu geführt, dass unsere Leute selbstbewusst und hochmotiviert sind.

Olaf Scholz sagt, er will mit der FDP und der Ampel nicht nur vier Jahre regieren, sondern mindestens acht. Sie auch? Oder träumen Sie noch von Rot-grün-rot?

Eine Regierung, die sich vornimmt, wiedergewählt zu werden, macht jedenfalls bessere Arbeit als eine, in der man gleich anfängt, sich gegenseitig zu beharken. Man sollte die Ampel nicht unterschätzen – sie ist ein progressives Bündnis, mit dem es einen Aufbruch in der Gesellschaftspolitik gibt, der mit der Union nie möglich gewesen wäre. Nicht zuletzt die jungen Leute profitieren davon: Wir gehen den Klimaschutz beherzt an, wir werden das Wahlalter auf 16 senken und eine Ausbildungsplatzgarantie schaffen. Die Linkspartei dagegen ist momentan in einer vergleichbaren Situation wie die Union und so schwach, dass sie für uns derzeit keine Option ist.


Vizekanzler ist jetzt Ihr früherer grüner Koalitionspartner Robert Habeck. Haben Sie ihm schon gratuliert?

Ja, das habe ich. Als Wirtschafts- und Klimaschutzminister hat er ja ein sehr ambitioniertes Ressort – das wird äußerst harte Arbeit, die Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien durchzusetzen. Das werde ich mit Interesse beobachten. Sein rhetorisches Talent wird ihm helfen, aber da ist auch viel handwerkliches Können gefordert.

Nach der Bildung der schleswig-holsteinischen Jamaika-Regierung 2017 haben Sie Habeck „Wortbruch“ vorgeworfen, weil Sie glaubten, dass er trotz anderslautenden Aussagen schon vor der Landtagswahl zusammen mit Wolfgang Kubicki ein Jamaika-Bündnis vorbereitet habe. Seitdem haben Sie immer wieder gegen ihn gestänkert und ihn als „Küstenphilosophen“ verspottet. Sind Sie jetzt wieder Freunde?

Ich habe nichts gegen Robert Habeck. Er ist einer der herausragenden Politiker der Grünen und kann ein bisschen Spott gut vertragen. Dass ich mit meiner Einschätzung allerdings Recht hatte, dafür war Wolfgang Kubicki in Ihrer Zeitung der Kronzeuge. Aber das ist Schnee von gestern. In Berlin sind wir jetzt wieder zu viert, ich habe all meine Spielkameraden aus Kiel wieder – auch Johann Wadephul von der CDU.


Schauen wir kurz nach Kiel, auf die Landtagswahl in Schleswig-Holstein im kommenden Mai: Ihre Nachfolgerin in Partei und Fraktion, Serpil Midyatli, hat die Spitzenkandidatur dem früheren Grünen Thomas Losse-Müller überlassen. Hätten Sie das auch gemacht?

Der Weg war überraschend, aber die Entscheidung richtig. Thomas Losse-Müller hat gute Aussichten, gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Daniel Günther zu gewinnen, weil er einerseits Regierungserfahrung hat, aber andererseits auch internationale Erfahrung mitbringt, die Günther fehlt. Und er ist ein Angebot auch für Parteien jenseits der SPD. Das scheint bei Günther zwar auch so zu sein, der ja nicht ungeschickt den Landesschwiegersohn gibt – aber die Jamaika-Bilanz ist schwach und die gestrige CDU und auch er selbst sind in Wirklichkeit lange nicht so progressiv, wie sie tun.

Zuletzt hatten bei Landtagswahlen allerdings die Ministerpräsidenten immer einen großen Amtsbonus und wurden stets wiedergewählt.

Aber inzwischen hat ja ein Erdbeben stattgefunden. Die SPD hat in Schleswig-Holstein bei der Bundestagswahl 28 Prozent geholt, die CDU nur 22, wir haben acht von elf Wahlkreisen gewonnen, die CDU nur zwei. Da spricht nicht viel für einen Erdrutschsieg der CDU bei der Landtagswahl. Außerdem macht die grüne Basis in Schleswig-Holstein auf mich nicht den Eindruck, als ob sie Sehnsucht nach einer erneuten Koalition mit der CDU hat. Und wenn wir jetzt in Berlin ordentlich regieren, sind in Kiel die Aussichten für Rot-Grün oder Rot-Grün-Gelb oder Rot-grün-blau mit dem SSW nicht so schlecht.


So gut war der Start der Ampel allerdings nicht: Dass sie die epidemische Notlage von nationaler Tragweite bei rasch steigenden Infektionszahlen beendet hat, stieß auf viel Kritik.

Ich glaube auch, dass das ein kommunikativer Fehler war – dabei haben wir ja im Bundestag die richtigen gesetzlichen Maßnahmen beschlossen. Das habe ich auch in der Fraktion deutlich gemacht. Das war ein billiger Punkt für die Union. Zwar war der jetzt abgelöste Gesundheitsminister Jens Spahn der erste, der die Aufhebung wollte. Aber er hat dann seinen Kurs korrigiert – und wir wirkten in der Ampel auf einmal so, als glaubten wir, die Notlage sei wirklich zu Ende. Das passte nicht zur Kommunikation von unserem neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der immer betont hat, dass das ein harter Winter wird.

Der Bundestag wird bald über eine allgemeine Impfpflicht entscheiden. Sind Sie dafür?

Ja, das bin ich – ich werde ihr im Bundestag zustimmen. Und dass wir die Impfpflicht brauchen, liegt an der zu niedrigen Impfquote. Das ist nicht zuletzt Schuld der AfD, die im Bundestag dauernd gegen das Impfen aufwiegelt. Vor einem Jahr sind Menschen gestorben, weil wir noch keinen Impfstoff hatten. Heute sterben auch freiwillig Ungeimpfte auf überlasteten Intensivstationen, weil Coronaleugner und Impfgegner mit ihrer Hetze Menschen von der lebenswichtigen Impfung abhalten.

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