Energiewende

Ökostrom fließt von der schleswig-holsteinischen Küste in den Süden

Ökostrom fließt von der schleswig-holsteinischen Küste in den Süden

Ökostrom fließt von der SH-Küste in den Süden

Carlo Jolly, SHZ
Sahms
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Grüner Strom aus dem Norden, hier die Westküstenleitung bei Klixbüll, soll in den Süden zu den großen Kunden gelangen. Foto: Christian Charisius/SHZ

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Dass Bayern vom Energiewende-Musterland Schleswig-Holstein profitiert, ist kein Naturgesetz. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus.

In Bayern oder Baden-Württemberg dürfte wohl kaum jemand die Gemeinde Sahms in Schleswig-Holstein kennen – dabei wird das 450-Einwohner-Dorf am Flüsschen Steinau im Herzogtum Lauenburg einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Süddeutschen am Ende des Jahrzehnts über die neuen Stromautobahnen via Hamburg und Niedersachsen grüne Energie von der Küste bekommen. Die Übertragungsnetzbetreiber Tennet und 50Hertz planen am Rande des Dorfs, das noch 1987 zum schönsten im Lauenburgischen gekürt worden war, das größte Umspannwerk Deutschlands.

„Das bedeutet für uns, dass am Ende des Hasselhoopweges ein circa 35 Hektar großer Netzverknüpfungspunkt entstehen wird“, verkündet Bürgermeister Helmut Brüggmann dazu ohne große Begeisterung auf der Dorf-Homepage. Entstehen werden je ein Umspannwerk von Tennet und 50Hertz sowie ein kleineres von Schleswig-Holstein-Netz. Eine Fläche von insgesamt 70 Fußballfeldern wird die ganze Anlage dann einnehmen.

Allein 20 weitere Umpannwerke für Solarstrom von der Küste

Sahms ist zwar nicht überall, wird sich aber in etwas kleinerer Variante noch mindestens rund 20-mal in Schleswig-Holstein wiederholen. So viele zusätzlichen Umspannwerke sind nötig, um allein den prognostizierterten Aufwind beim Solarstrom im Norden bewältigen zu und die zusätzlichen Srommengen einspeisen und nach Süden und Westen weiterleiten zu können. Andernfalls drohen auch den Photovoltaik-Anlagen immer mehr Abschaltungen, wie sie seit Jahren bei Windrädern üblich sind.

Ökostrom im Norden für Wärme und Mobilität nutzen

Es gäbe allerdings noch eine ganz andere Möglichkeit. Denn es ist kein Naturgesetz und auch keine EU-Richtlinie, die vorschreiben, dass schleswig-holsteinische Bürgerwindparks oder Solarfarmen ihre Energie ins Netz einspeisen. Sie könnten ihre Energie ebenso direkt für die Häuser und Carports um die Ecke bereitstellen.

Zwar wird im Energiewende-Musterland Schleswig-Holstein längst mehr als doppelt soviel grüner Strom erzeugt, wie verbraucht wird. Das stimmt aber nur für den Strom und die bisherigen Verbräuche, nicht aber für der Erfordernisse der E-Mobilität der Zukunft – und schon gar nicht mit Blick auf die Wärme.

Der Norden hätte bundesweit den günstigsten Strom

Statt in großen Kraftwerken wie bei den Stadtwerken Kiel oder Flensburg Strom und Fernwärme immer noch aus Erdgas oder Kohle zu erzeugen, könnten zum Beispiel Großtauchsieder aus Windstrom oder Solarstorm CO2-neutrale Ökowärme machen. Und technisch geht so etwas nicht nur in großen Städten: Jede Gemeinde könnte von ihrem Bürgerwindpark oder Solarfeld an der Kreisstraße Kabel zu einem Nahwärmenetz und E-Ladestationen legen.

Schleswig-Holstein hätte dazu den günstigsten Strom der Republik: Billiger als regional erzeugten grünen Strom auch vor Ort zu verbrauchen, geht es nicht. Und auch den grünen Wasserstoff, von dem plötzlich alle reden, kann man mit Elektrolyseuren sehr gut dezentral vor Ort aus Wind- und Sonnenstrom produzieren.

Netzentgelte hier besonders hoch

Die Wirklichkeit sieht aber leider anders aus. Für den Energiewendemusterschüler Schleswig-Holstein zahlen seine Privathaushalte und Unternehmen seit Jahr und Tag nicht die niedrigsten, sondern die höchsten Strompreise der Republik. Das liegt daran, dass der starke Netzausbau im Norden die von den hiesigen Stromkunden zu zahlenden Netzentgelte in die Höhe treibt. Die errechnen sich aus den Kosten für Bau und Betrieb der Stromnetze geteilt durch den Verbrauch – und sind daher in dünn besiedelten Gebieten mit hohen Netz-Investitionen besonders hoch.

Kein Schwarzenbeker braucht ein Umspannwerk in Sahms

Auch das ist allerdings kein Naturgesetz und keine technische Notwendigkeit. Schließlich investieren SH-Netz, Stadt- und Gemeindewerke nicht, um den Strom zum nächsten Bauernhof in der Marsch oder die Gemeinde auf der Geest zu transportieren. Vielmehr arbeiten sie zu großen Teilen dafür, dass die schöne grüne Energie in den Süden der Republik abfließt.

Kein Schwarzenbeker und auch kein Kieler braucht ein Umspannwerk in Sahms. Das wäre so, als würden die Bayern neue Züge bezahlen, die am Ende vor allem zwischen Husum und Hamburg oder zwischen Kiel und Lübeck verkehren würden.

Viele Bayern mögen aber keine Windkraftanlagen, die die schöne Landschaft verschandeln könnten. Voralpenland Oberfranken, Oberpfalz: Wenn überhaupt, muss solche eine Windkraftanlage ziemlich weit weg vom Dorf stehen – und möglichst einzeln: Genau fünf Windmühlen hat das zweitgrößte Bundesland so in den ersten vier Monaten des Jahres ans Netz gebracht. In Schleswig-Holstein waren es 56, also mehr als elfmal so viele.

Dabei hat Schleswig-Holstein alles andere als Nachholbedarf gegenüber den anderen Bundesländern. Der Primus der Energiewende liegt mit mehr als 7 Gigawatt Windstrom an Land schon heute ganz vorne.

In Sahms kann man für 17,50 Euro über die Homepage der Gemeinde T-Shirts der Kollektion: „Sahms! – wo sonst?!“ bestellen. Mit Deutschlands größtem Umspannwerk hat das aber nichts zu tun.

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